Zunächst die Faktenlage. Der heutige Bundesrat war Chef der Ammann Gruppe. Diese international tätige Firma benützte Konstruktionen in Jersey und Luxemburg, um ihren Finanzhaushalt zu regeln und natürlich auch zur Steueroptimierung. Wohlgemerkt liegen diese Orte innerhalb der EU. Und war und ist das alles legal. Also Fall abgeschlossen. Aber nein.
Die Kampfbegriffe für die Hatz
Briefkastenfirma, Kanalinseln, Steueroasen. Diese drei Kampfbegriffe genügen, ergänzt um feinsinnige Unterscheidungen zwischen «legal» und «legitim», Vorbildcharakter eines Bundesrats, und zusätzlich angereichert mit selbst festgelegten Kriterien für Moral und Anstand, um die Hetzjagd zu eröffnen. Statt einfach zu konstatieren, dass der Chef eines Unternehmens mit Schimpf und Schande weggejagt werden müsste, wenn er nicht alles tut, um unter Ausnützung aller legalen Möglichkeiten den Gewinn zu optimieren.
Das hat nichts damit zu tun, dass die Ergebnisse der Tätigkeit des Wirtschaftsministers Schneider-Ammann durchaus überschaubar sind, er wohl idealtypisch das gutschweizerische Mittelmass verkörpert, immer noch die beste Voraussetzung, um Bundesrat zu werden – und zu bleiben. Es geht auch gar nicht um parteipolitisch motivierte Angriffe (oder Verteidigungshandlungen). Aber alle Politiker müssten sich zuerst selbst an der Nase nehmen.
Politische Heuchelei
Viel verschärfter in Deutschland, aber zunehmend auch in der Schweiz, beschweren sich Politiker aus populistischen Motiven darüber, dass international tätige Firmen einer gewissen Grösse diverse legale Möglichkeiten haben, ihren Finanzhaushalt so zu regeln, dass Gewinne dort anfallen, wo sie am niedrigsten besteuert werden. Schon einem KMU ist das meist nicht möglich, weil die entsprechenden Steuergesetze und Bestimmungen dermassen kompliziert sind, dass es sackteures Know-how von Spezialisten braucht, um in diesem Dschungel einen legalen Weg zu finden. Für sie funktioniert hier Aufwand und Ertrag nicht.
Aber: Dass die gerne an den Pranger gestellten Grosskonzerne wie Google, Facebook, Amazon, Starbucks & Co. an vielen Geschäftsstandorten keine oder kaum Gewinnsteuern zahlen müssen, haben genau diese Politiker gesetzlich beschlossen und zu verantworten. Und ändern nichts dran. Welcher Abgrund an Heuchelei.
Gerade England, dessen Premierminister Cameron nicht müde wird zu wiederholen, dass man Steuerschlupflöcher gnadenlos schliessen müsse, besonders in der Schweiz, unterhält bedeutende Steueroasen auf seinem eigenen Territorium. Das ist einfach lachhaft. Gerade Deutschland, wo der Fraktionsvorsitzende der SPD im Bundestag gerade den Kampf gegen Steuerhinterziehung zur «Staatsraison» erklärt hat, lässt solche Gewinntransfers in andere EU-Länder wie Holland, Belgien, Luxemburg, England usw. weiterhin zu. Aber wehe, ein deutscher Steuerpflichtiger hat ein Konto in der Schweiz, bei diesen Schweinebackenbankern. Das ist lachhaft.
Gesellschaftliche Heuchelei
Zahlt jemand freiwillig mehr Steuern, als er muss? Bringt ein Angestellter mit Lohnausweis und überschaubarer Steuererklärung freiwillig nicht dennoch alle Abzüge in Anschlag, für die er berechtigt ist? Hat er niemals in bar seine Putzfrau bezahlt, sich vom Kollegen etwas reparieren lassen, mal selbst unter Freunden Hand angelegt? Auch das ist lachhaft.
Aber wenn der Unterschied zwischen «wir und die da oben», zwischen Normalbürger und Unternehmensleitern, kleiner KMU und Grossfirma bemüht wird, dann ist sich die Mehrheit einig: Meine kleinen Steuersünden sind lässlich, wenn ich legal etwas abziehe, dann ist das auch ethisch und moralisch völlig in Ordnung. Aber wenn es ein paar Nullen mehr hintendran hat, zwar immer noch legal ist, dann ist das aber anrüchig, zumindest illegitim, moralisch und ethisch verwerflich, desavouiert die Verpflichtung zur Vorbildfunktion eines Wirtschaftsbosses.
Letztlich läuft das auch bei Einzelpersonen auf die einfache Formel hinaus: Mehr als eine Million kann keiner legal verdienen. Unabhängig von der Wertschöpfung, die er ermöglicht, unabhängig von der Grösse seiner Firma, unabhängig von seinen Entscheidungen und ihren Auswirkungen.
Gefährliche Entwicklung
Ein Banker, der einen Bonus von einer Million dafür kassiert, dass er für die Besitzer seiner Bank, normalerweise Aktionäre, einen Schaden von mehr als einer Million angerichtet hat, hat diese Million selbstverständlich nicht verdient. Hat er, nach Abzug seines Bonus, einen Gewinn für die Aktionäre von mehr als einer Million geschaffen, kann man drüber reden. So einfach ist das.
In einer globalisierten Wirtschaft, wo nicht nur Geld, sondern auch Produktionsstandorte nicht auf ewige Zeiten in Granit gemeisselt innerhalb von Landesgrenzen verbleiben müssen, ist es brandgefährlich, eine populistische Stimmung aufzuheizen.
Schlimm oder schlimm
Oder konkret einer grauen Maus wie Schneider-Ammann oder dem Berner Steueroberaufseher Bruno Knüsel, dem von allen Kennern typisch schweizerische beamtenhafte Korrektheit attestiert wird, als verfilztes Duo zu denunzieren. Daraus entwickelt sich zumindest eine teuflische Logik. Entweder war wirklich alles korrekt und legal, aber dennoch eine Sauerei. Oder aber, trotz Nachprüfung bleibt das Ganze dennoch anrüchig und war ebenfalls eine Sauerei. Tertium non datur.
Eben: Viel Geld, Kanalinsel, Luxemburg, Steueroasen: Das reicht doch, der Fall ist klar. Dass die letzte Konsequenz wäre, dass die Oase Schweiz wieder zur Wüste wird, fällt niemandem auf. Obwohl das auf der Hand liegt.