«Andrea lässt sich scheiden» heisst der neue Film von und mit dem österreichischen Kult-Kabarettisten Josef Hader. Er erzählt von einer Dorfpolizistin, die ihre Lebensziele neu definiert. Doch ein tragisches Ereignis sorgt für Verunsicherung – und öffnet herb-komische Einblicke ins Provinzdasein.
Die erste Einststellung zeigt eine eher öde Landschaft mit einer schnurgeraden, leeren Strasse. So beginnen bisweilen Roadmovies aus dem ländlichen Nordamerika. Das von skurril-abstruser Provinztragik perlende Drama «Andrea lässt sich scheiden» spielt jedoch in der niederösterreichischen Provinz, im Weinviertel. Es ist die zweite Kino-Regiearbeit von und mit dem in seiner Art einzigartigen Kabarettisten Josef Hader.
Am Horizont erscheint zunächst winzig klein ein Polizeiauto, es fährt heran und parkiert. Ihm entsteigen die Beamtin Andrea und ihr Dienstkollege Georg. Offensichtlich stehen Geschwindigkeitskontrollen an, ein Routinejob.
Bald tuckert ein Traktor vorbei, da gibt es nichts zu beanstanden. Dann wird ein Raser gestoppt, mit Tempo 136 km/h. Das wird gebüsst, der Sünder – ein ehemaliger Schulkollege von Andrea – zahlt entnervt und braust, ohne aufs Wechselgeld zu warten, davon. Man erkennt: Die Polizei ist auch im Hinterland korrekt, selbst wenn man sich persönlich kennt.
Heimatfilm der anderen Art
Filmanfänge wie dieser skizzieren schon mal das Umfeld, in dem der Plot ins Rollen kommt, hier auch im übertragenen Sinne: Das Automobil erlangt in diesem Film durchgehend eine besondere Bedeutung. In einer vergleichbaren Gegend ist der faszinierend einfallsreiche, dann und wann auffallend knorrige, aber immer präzise Menschenbeobachter Josef Hader aufgewachsen.
Summa summarum ist «Andrea lässt sich scheiden» auch deshalb so etwas wie ein Heimatfilm der anderen Art geworden. Ohne klischeehaften Sauglattismus, dafür mit erzählerisch heimtückischen Ecken und scharfen Kanten. Hader kennt seine Pappenheimer, weiss, wie sie ticken. Dies dient ihm als Kabarettist, Autor, Schauspieler und Regisseur als Quelle für seine abstrusen Geschichten über das Leben – und mehr noch das Überleben.
Die Hauptfigur Andrea befindet sich in einer existenziellen Umbruchphase. Sie will sich endlich von ihrem Ehemann scheiden lassen. Vorübergehend wohnt sie beim alleinlebenden Papa in ihrem Mädchenzimmer, weil sie vorhat in die etwas belebtere Landeshauptstadt St. Pölten zu ziehen. Dort will sie einen interessanteren Posten bei der Kriminalpolizei antreten, darauf hoffend, dass sich auch ihr Privatleben lustvoller entwickeln wird als bisher im Dorf.
Wo allerdings noch ein Event ansteht: Georg, ihr noch wenig lebenserfahrener, etwas «hüftsteif» wirkender Dienstkollege, wird dreissig. Das bereitet dem Jubilar ein bisschen Sorge, weil in einem kleinen Ort natürlich alle erwarten, zur Party eingeladen zu werden. Was garantiert ins Geld geht!
Aufprall und Schock
Was soll‘s, es wird trotzdem ausgelassen gefestet. Wobei sich Andrea zurückhält und sich gegen die plumpe Anmache von Möchtegern-Platzhirschen reaktionsschnell zu wehren weiss. Zum Noch-Gatten, der sich noch immer Hoffnung auf Versöhnung macht, hält sie Distanz. Kein Wunder, dass er frustriert und stockbesoffen mit dem Auto heimfahren will, daran gehindert wird und zu Fuss von dannen torkelt.
War’s das jetzt, mit den beiden? Nicht ganz! Andrea fährt etwas später los, wird von einem Handyanruf abgelenkt, spürt einen Aufprall. Sie steigt aus, sieht einen Mann auf der Strasse liegen, leblos. Es ist ihr eigener! Unter Schock begeht sie Fahrerflucht, was natürlich keine Petitesse ist – und für eine Polizistin schon gar nicht.
Sofort stellt sich die Frage, ob sich Andrea als Verursacherin des Unfalls outen wird oder das Ganze zu vertuschen sucht. So oder so ist die Gesamtlage schwierig: Als Polizeibeamtin ist sie in die Ermittlungen involviert und als Ehefrau des Opfers natürlich sowieso.
Überraschende Wendung
Fans von Josef Hader können davon ausgehen, dass ihr Idol einige zündende Ideen in der Hinterhand hat, so wie man das auch von seinen Live-Auftritten kennt. Für den Film, bei dem er als Co-Drehbuchautor zeichnet, hat er für sich selbst eine süffige Rolle kreiert, die narrativ eine überraschende Wendung auslöst. Er spielt den Religionslehrer Franz. Ein eigenartiger Kerl, der bei der Polizei meldet, er habe Andreas Mann auf der Landstrasse überfahren. Zudem verweist er mit Nachdruck darauf, schuldig und zur Sühne bereit zu sein. Hader legt sich nicht nur in dieser Szene so entschlossen ins Zeug, dass einem mulmig zumute wird.
Die Einführung dieser Figur macht Sinn: Die aus moralischer Sicht zwiespältigen Folgen der emotionalisierenden Unfallszene rücken etwas in den Hintergrund. Dafür erhält Andrea mehr Handlungsspielraum. Sie kann, muss, will sich intensiver mit dem seltsamen Franz beschäftigen, mit dem sie ja nun schicksalshaft verbunden ist. Was auch ihre Begegnungen mit weiteren direkt Beteiligten prägt, ganz berührend etwa mit der trauernden Schwiegermama.
Schauspielerische Glanzlichter
Dass das funktioniert, ist dem stimmigen Einsatz des Ensembles geschuldet. Regisseur Josef Hader lässt ihm etliche interpretatorische Freiheiten. Zuvorderst der hinreissenden Birgit Minichmayr, einer facettenreichen Künstlerin, die zu den Stars in der deutschsprachigen Schauspiel-Bühnenszene zählt, bis in den exklusiven Kreis des Wiener Burgtheaters. Seit rund einem Vierteljahrhundert brilliert sie zudem in TV- und Filmproduktionen und setzt nun ein weiteres Glanzlicht.
Das gilt auch für den jungen Thomas Schubert als Polizist Georg. Er hat ein frappierendes Gespür für das Sichtbarmachen des Unsicheren, Unfertigen im Mann. Das berührt; ähnlich dem, was Schubert in Christian Petzolds feinsinnigem Drama «Roter Himmel» (2023) gezeigt hat.
«Andrea lässt sich scheiden» besticht mit Szenen von übersprungartiger Beredsamkeit und beredtem Schweigen. Josef Hader öffnet Blicke in die Innereien und Abgründe einer kleinräumigen Welt, mit Menschen in vertrackten Situationen, denen ein von lakonischer Melancholie umflorter, unberechenbarer Aberwitz eigen ist. Wohin die filmische Reise geht, das muss man im Kino selber sehen, hören und erspüren.
Übrigens: Für mit den Dialekt-Eigenheiten in der österreichischen Sprache nicht wirklich Vertraute gibt es eine gute Nachricht: Der Film ist im Kino mit deutschen Untertiteln zu sehen. Passt schon.
Spielzeiten und -orte: https://www.movies.ch/de/film/andrealaesstsichscheiden/