In Spanien könnte bald eine rechtsextreme Partei mitregieren, deren Ideologie noch immer von faschistischen Elementen geprägt ist. Dies würde die rechtspopulistische, EU-kritische Phalanx in Europa stärken.
Gemäss Meinungsumfragen wird der gemässigte spanische «Partido Popular» (PP) bei den Parlamentswahlen am Sonntag die meisten Stimmen erhalten. Das würde das Ende der linken Regierung von Ministerpräsident Pedro Sánchez bedeuten. Doch der PP erreicht aller Wahrscheinlichkeit nach nicht die nötige absolute Mehrheit, um regieren zu können. Fast alles deutet darauf hin, dass die «Volkspartei» eine Koalition mit der rechtspopulistischen, teils rechtsextremen Partei «Vox» eingehen wird.
Unter Pedro Sánchez ist das katholische Spanien zu einem liberalen Land geworden. Vieles, was die bisherige Regierung erreicht hat, wollen die Rechtsextremen rückgängig machen. Vox kämpft gegen das, was sie «Feminismus» und «Multikulturalismus» nennt. Sie fordert die Aufhebung von Gesetzen, die Frauen vor Gewalt schützen sollen, verurteilt Abtreibung, gilt als «schwulen-feindlich», will gleichgeschlechtliche Ehen verbieten und leugnet den Klimawandel.
Ihre Anhänger wollen zurück zu einem streng katholischen Zentralstaat. Autonomiebestrebungen in Katalonien und im Baskenland werden scharf verurteilt.
Illegal eingereiste Flüchtlinge will Vox aus dem Land schaffen. Gegen Migranten in den spanischen afrikanischen Exklaven Ceuta und Melilla will sie eine Mauer bauen. Und natürlich ist die Partei «EU-kritisch», um nicht zu sagen: «EU-feindlich». Brüssel sei ein «unnützes Monster», sagte Santiago Abascal, der Vorsitzende von Vox. Bei den Parlamentswahlen 2019 erzielte Vox 15,1 Prozent der Stimmen und ist damit die drittstärkste spanische Partei.
Unterstützung erhielt Vox jetzt einmal mehr von der italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni. Sie wünscht den Rechtsextremen «viel Glück». Ein Erfolg bei den Wahlen würde «einen Wandel in der europäischen Politik einleiten», sagt sie. Es sei von «entscheidender Bedeutung, dass eine konservative, patriotische Alternative geschaffen wird».
Der Ausdruck «Patriotismus» wird zum Leidwesen echter Patrioten oft als Chiffre für «Rechtspopulismus» und «Rechtsextremismus» verwendet.
Mit diesen klaren Worten zeigt Meloni, dass sie eben doch noch viel rechtspopulistisches, postfaschistisches Gedankengut mit sich schleppt. In Italien gibt sie sich gemässigt, in Spanien weniger. Wer würde dieser «konservativen, patriotischen Alternative» angehören? Melonis Koalitionspartner Matteo Salvini sprach kürzlich Klartext und nannte die AfD und Marine Le Pens «Rassemblement national». Und natürlich gehört auch Melonis «illiberaler» Freund Viktor Orbán dazu – und eben auch die spanische Vox und die rechtspopulistische Fauna in Schweden, Finnland, Flandern und den Niederlanden.
Sánchez und seine Arbeiterpartei (Partido Socialista Obrero Español (PSOE) werden die Wahl vermutlich verlieren, obwohl die linke Regierung viel Positives vorweisen kann. Vor allem in der Wirtschaftspolitik punktete sie. Spanien geht es heute besser als vielen anderen europäischen Ländern. Die Wirtschaft wächst stärker als in den anderen EU-Ländern. Die Arbeitslosigkeit und die Inflation sind gesunken. Eine Arbeitsmarktreform zeigt erste Früchte.
Durch eine kluge Appeasement-Politik war es Sánchez gelungen, die explosive Lage in Katalonien zu entschärfen. Er bewies Mut zur Versöhnung, was die Vox als «Kapitulation vor den Putschisten» bezeichnete.
Doch die Erfolge, die Sánchez vorweisen kann, gingen im Wahlkampf fast unter. Er zahlt zu einem grossen Teil die Zeche für das linkspopulistische Verhalten seines Koalitionspartners «Podemos», der nicht müde wurde, die Regierung mit überrissenen identitätspolitischen Forderungen zu erpressen.
Alberto Núñez Feijóo, der Parteichef des konservativen Partido Popular, ist ein gemässigter, realistischer Mann. Sollte er zusammen mit der Vox regieren müssen, stünde er wohl vor den aufreibendsten Zeiten seiner politischen Karriere. Zwar wäre die Vox nur die Juniorpartnerin in der Regierung, ein Anhängsel – doch ein Anhängsel mit Sprengkraft, das ihre rechtspopulistische Agenda durchsetzen will und den Partido Popular in eine Art Geiselhaft nehmen könnte.
Kommt die Vox an die Macht, droht auch der Katalonien-Konflikt wieder auszubrechen. Santiago Abascal, der Führer der Partei, scheint dies fast schon herbeizusehnen. Diese Woche sagte er, alles könnte in Katalonien «noch viel schlimmer werden», wenn der PP und Vox an die Macht kämen.
Vielleicht kommt es auch anders. Vielleicht erklärt sich Pedro Sánchez nach seiner erwarteten Niederlage bereit, eine konservative Minderheitsregierung unter Alberto Núñez Feijóo zu tolerieren. Dann bräuchte es die Vox nicht. Für Spanien wäre das die vernünftigste Lösung.
Sánchez hat viel erreicht. Wenn die Vox mit an die Macht kommt, droht vieles von dem zerstört zu werden. Also hätte der Sozialistenchef eigentlich Interesse daran, eine konservative Minderheitsregierung, die viele der Errungenschaften der letzten Jahre beibehalten will, zu tolerieren.
Doch Vernunft ist in der Politik oft ein Fremdwort. Für viele Linke wäre es ein Graus, den einstigen «Erzfeind» PP tolerieren zu müssen. Man spekuliert vielleicht eher darauf, dass sich der Partido Popular und die Vox in die Haare geraten – und es dann wieder Neuwahlen gibt.