Es ist ein Showdown, bei dem die Show entscheiden wird: Trump tritt auf in der Rolle des Rächers, der den Staat demontiert, um Amerika zu alter Grösse zu führen. Harris ist als schwarze Frau sein grösstmöglicher Kontrast. Ihr Optimismus erscheint als neue Kraft in diesem Fight.
Der Wahlkampf zwischen Kamala Harris und Donald Trump ist das grösste Politdrama seit Langem. Ein Sieg Trumps wäre eine Gefahr für das Weiterbestehen von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in den USA, könnte den Untergang der Ukraine besiegeln und drohte das schwache Europa der angestachelten Machtgier Putins auszuliefern.
Der Trump von 2024 ist nicht mehr jener von 2016. Er hat dazugelernt. Mit dem Ertrag seiner Präsidentschaft kann er ja nicht zufrieden sein, denn ausser der Kaperung des Obersten Gerichts gelang ihm kaum etwas von bleibender Wirkung. Das soll bei seiner zweiten Präsidentschaft ganz anders laufen. Deshalb bereitet er sich darauf vor, Tausende von Jobs an den Schaltstellen des Staatsapparats im Handstreich neu zu besetzen. Die Erfahrung, dass er als Präsident und Oberbefehlshaber von den ihm unterstellten Topkadern der Administration an der Ausführung mancher sprunghafter Entscheide gehindert wurde, will er nicht nochmals machen müssen. Am Anfang seiner Präsidentschaft war durchgesickert, «die Erwachsenen» in Trumps Umgebung hätten den tobenden Chef jeweils notdürftig im Zaum gehalten.
Trump hat sich inzwischen Berater geholt, die vermutlich in der Lage wären, den versprochenen Umsturz gegen den, wie er zu sagen pflegt, «tiefen Staat» sehr viel systematischer und effektiver über die Bühne zu bringen als beim handgestrickten ersten Versuch. Das 900 Seiten umfassende Drehbuch dazu, genannt «Project 2025», hat der konservative Thinktank «Heritage Foundation» unter Beizug von 400 Experten und Lobbyisten geschrieben. Mit dieser Anleitung soll es bei einem erneuten Amtsantritt Trumps Schlag auf Schlag gehen.
Die Heritage Foundation hat die geopolitischen Guidelines ausgearbeitet: Rückzug aus internationalen Organisationen, Abkehr vom Freihandel, Appeasement mit Russland, Front gegen den Rivalen China. Die Innenpolitik stünde ganz im Zeichen einer eigentlichen Zerschlagung des Staats und einer radikalkonservativen Wende. Für 50’000 Schlüsselstellen beim Militär und in den Verwaltungen hat der rund 550 Mitarbeiter zählende Thinktank schon im Frühjahr ein Bewerbungsportal eröffnet. Aus diesem Pool der Willigen sollen «unfolgsame» Leute rasch ersetzt werden. Angeblich besteht ausserdem die Absicht, Militär und Justiz für die Verfolgung von Trump-Gegnern einzuspannen.
Trump hat behauptet, er wisse nichts von einem Project 2025, doch seine Partei und namentlich sein Vize sind mit der Heritage Foundation eng verbandelt. Dass er sich im Sinne dieses Polit-Drehbuchs auf einen eigentlichen Umsturz vorbereitet und dabei viel gezielter vorgehen will als beim ersten Mal, hat er jedenfalls in mehreren Andeutungen zu erkennen gegeben.
Andeutungen – das ist ohnehin das Stichwort für diesen Wahlkampf. Trumps öffentliches «Programm» besteht aus den vier Buchstaben MAGA (Make America Great Again). Grossmäulige Versprechungen und vor allem die Ausrufung seiner eigenen Grossartigkeit sind die Hauptinhalte seiner Auftritte und Botschaften. Belastbare politische Aussagen finden sich bei Trump kaum.
Kamala Harris steht in dieser Hinsicht ein wenig besser da. Für Klarheit sorgt sie immerhin sie bei ihrem Engagement gegen Abtreibungsverbote und für Schusswaffenkontrollen. Die Steuern für die Reichsten will sie erhöhen, die Wohnungsnot bekämpfen und das Wahlrecht vereinheitlichen. Vage bleibt sie jedoch in der Wirtschaftspolitik und in der heiklen Frage einer Positionierung gegenüber Israel und Palästina.
Der Wahlkampf wird bislang nicht mit politischen Programmen bestritten. Möglich, aber wenig wahrscheinlich, dass die TV-Debatte am 10. September (und allfällige weitere Treffen) hier etwas mehr Aufschluss geben werden. Doch Trump hat eigentlich nie politisch argumentiert. Er ist Entertainer und arbeitet mit den Mitteln der Fankultur und des Ressentiments, was in einer von Fernsehen und Social Media geprägten Kommunikationswelt hervorragend funktioniert.
Trumps Kontrahentin spielt auf der gleichen Klaviatur, wenn auch mit anderen Melodien: Lebensfreude, Energie, Optimismus sind zu Markenzeichen der Kandidatin Kamala Harris geworden. Emblematisch ist Harris’ herzhaftes Lachen. Hat man Trump jemals lachen sehen? Die Demokratin hat eine neue Tonalität in den Wahlkampf gebracht, die an den Elan der ersten Obama-Kampagne erinnert. Die Wucht der von Kamala Harris und ihrem Vize Tim Walz ausgelösten Bewegung scheint Trump aus der Bahn geworfen zu haben. Er reagiert noch immer genervt und sichtlich ratlos. Abgesehen von immer noch ruchloseren Beschimpfungen und Geschmacklosigkeiten ist ihm bislang wenig eingefallen.
Trotz dem Erstarken des Harris-Lagers bleibt das Rennen offen. Wie wenig man sich auf Umfragen verlassen kann, mussten die Demokraten 2016 leidvoll erfahren. Die USA sind ein mittendurch gespaltenes Volk. Bis zur Wahl am 5. November (und bestimmt auch über diesen Tag hinaus) stehen sich zwei Welten gegenüber, die unterschiedlicher kaum sein könnten.
Auf der einen Seite der altbekannte Rächer der Verlierer, der Held der Verunsicherten, der mit dem Versprechen der Wiederherstellung vergangener Grösse und verlorengegangener Ordnung eine begeisterte Gefolgschaft hinter sich schart. Seine Waffen sind die grenzenlose Beliebigkeit im Umgang mit Fakten und das bösartige Niedermachen nicht nur der demokratischen Gegnerin und ihrer Leute, sondern auch aller ihm nicht bedingungslos ergebenen Exponenten des eigenen Lagers.
Auf der anderen Seite die nach Bidens Verfall in die Bresche gesprungene, um eine Generation jüngere Frau. Ihre elektrisierende Energie ist dem befreienden Moment entsprungen, in dem die Demokraten die Lähmung der immer klarer werdenden perspektivischen Amtsunfähigkeit Joe Bidens überwanden. Aus der blassen Vizepräsidentin wurde überraschend die mitreissende Kandidatin, die zudem mit der Auswahl ihres Running Mate ein gutes Händchen bewiesen hat.
Jetzt stehen zwei Monate des intensiven Wahlkampfs bevor. Wie Trump ihn führen wird, kann man abschätzen: mit grossspurigen Behauptungen («Ich hätte den Gazakrieg in 24 Stunden beendet» – «Wäre ich Präsident gewesen, so wäre Putin gar nicht in die Ukraine einmarschiert»), mit dreisten Lügen (die «gestohlene Wahl» von 2020) und mit unrealistischen Versprechungen (Deportation Hunderttausender von illegalen Immigranten nach Mexiko).
Wie Kamala Harris im Wahlkampf weiter agieren wird, ist eine etwas bange Frage. Den Hype um ihr erlösendes Auftreten kann sie nicht auf zwei Monate ausdehnen. Mit der Konkretisierung politischer Postulate wird sie vorsichtig sein, da viele Themen innenpolitisch konfliktträchtig sind (Israel und Palästina, Sozial- und Wirtschaftspolitik) und ihre eigene Anhängerschaft zu spalten drohen. So wird sie sich bemühen, einen Wahlkampf der einenden Symbole und der positiven Emotionen zu führen, ohne zu viel Konkretes preiszugeben. Fürs sie geht es darum, sich als Gegenpol zu Trump zu behaupten.
Es wird weiterhin ein Wahlkampf der Bilder, der Schlagworte und der Tiktok-Stories sein, genau wie es viele Wahlkämpfe der jüngsten Zeit von Indonesien bis Argentinien ebenfalls waren. Politik pflegt da höchstens am Rande vorzukommen. Kamala Harris scheint verstanden zu haben, dass sie ihren Gegner nicht politisch stellen und schlagen kann, weil das im herkömmlichen Sinn Politische im popkulturellen Setting eines Wahlkampfs kaum vorkommt. Sie wird deshalb zeigen wollen, dass sie cooler ist als Trump. Kamala ist «Brat», eine freche Göre, die sich vor nichts fürchtet – und gleichzeitig markiert sie mit ernster Miene die vertrauenswürdige Politikerin, die nahe bei den Menschen und ihrem vielfach beschwerlichen Alltag ist.
Man kann ihr nur wünschen, dass sie mit dieser Positionierung festen Stand gewinnt und sich gegen den versierten Entertainer Trump, der seine Rolle längst gefunden hat, durchsetzen kann.