Deutschland ist nicht das einzige Land, das sich schwertut, im Ukraine-Konflikt klar Farbe zu bekennen. Auch Delhi hat es bisher vermieden, sich für einen der beiden Widersacher – beide sind Bündnispartner Indiens – zu entscheiden. Allerdings hat ausserhalb der «Diplomatischen Enklave» Delhis die Krise um die Ukraine in der indischen Öffentlichkeit bisher kaum Beachtung gefunden. Dies änderte sich kurzfristig, als die saloppen Bemerkungen des deutschen Flottenchefs Kai-Achim Schönbach zu seiner Demission führten. Er hatte sie am Rande eines Seminars in einem Think-Tank in Delhi gemacht.
Vielleicht hatte er angenommen, dass ein paar beiläufige Bemerkungen, geäussert im Brackwasser der globalen Peripherie, in den Kapitalen der Grossmächte höchstens eine Wellenkräuselung auslösen würden. Kaum wieder zu Hause, landete Schönbach dann in einem politischen Tsunami, der ihm im Nu seinen Admiralshut wegspülte.
Möglichst keine Parteinahme
Erst dann realisierte auch das mässig interessierte Publikum, wie sehr sich die Krise um die Ukraine – die mit Russland bereits seit acht Jahren auf Kriegsfuss steht – zugespitzt hat. Dies hat auch mit der Regierung Modi zu tun, die die rasche Eskalation nicht nachzuvollziehen schien. Sie hat sich bisher in Schweigen gehüllt, sieht man von den rituellen Formeln der Regierungssprecher ab, die Regierung prüfe die Entwicklungen sorgfältig.
Der eigentliche Grund liegt wohl eher darin, dass Delhi sich schwertut, im diplomatischen Konflikt Partei zu ergreifen. Delhi ist ein alter und traditionell enger Bündnispartner Moskaus. Diese Partnerschaft hat sich in der post-sowjetischen Ära zweifellos gelockert. Sie ist dennoch weit mehr als ein historisches Legat. Noch immer ist das Arsenal der indischen Streitkräfte zu knapp zwei Dritteln mit russischen Waffen bestückt.
Dies schafft weit mehr als bloss eine Abhängigkeit von Ersatzteilen. Hinter der technischen Ausrüstung verbirgt sich auch eine relativ enge und eingespielte Zusammenarbeit der drei Waffengattungen, die viel weiter geht als ein blosser technischer Austausch. Neben der Ausbildung von Experten geht es auch um die Kenntnis von Einsatzstrategien und politische Grosswetterlagen. Als Russland 2014 die Krim annektierte, hielt sich Delhi bei der Verurteilung von Putins Husarenstück zurück. Es äusserte «Bedenken», sprach aber auch, beruhigend für Moskau, von Russlands «legitimen Interessen».
Notwendiger Zusammenschluss
Eine der saloppen Bemerkungen Schönbachs aber – dass nämlich der westliche Konfrontationskurs Russland in die Arme Beijings treiben könnte – wurde in Delhi zweifellos aufmerksam registriert. Denn für Indien ist und bleibt China der grösste weltpolitische Rivale und eine diplomatisch-militärische Herausforderung. Eine Allianz Moskau/Beijing würde Chinas hegemoniale Ansprüche in Asien noch untermauern und den Status Indiens als Regionalmacht schwächen.
Dies sei aber auch ein Argument für ein engeres Zusammengehen zwischen dem Westen und Indien, meinte der Strategie-Experte Raja Mohan im «Indian Express». Deshalb dürfe Indien den Wunsch der Nato nach politischem Sukkurs Delhis in der Ukraine-Frage nicht ignorieren. Auch Delhi ist klar, dass keine Einzelmacht (nicht einmal die USA) zu einem «Containment» Chinas fähig ist.
Das ist der entscheidende Grund dafür, dass sich Indien als Teil der westlichen indo-pazifischen Strategie im Rahmen der «Quad» eingebracht hat; dies obwohl es in diesem Zusammenschluss der beiden engsten asiatischen Verbündeten mit Washington – Australiens und Japans – höchstens eine Juniorrolle spielen kann. Es wäre daher froh, meint Raja Mohan, wenn auch Europa, das heisst. die EU, Teil einer westlichen china-kritischen Sicherheits-Architektur in Asien wäre.
Interessenkonflikte
Der Zufall wollte es, dass der Anlass für Admiral Schönbachs Kurzbesuch in Delhi ebenfalls mit dieser «pazifischen» Dimension zusammenhing. Er war eigentlich nach Mumbai gereist, wo die deutsche Fregatte RGS Bayern dem Flotten-HQ eine Höflichkeitsvisite abstattete. Es war deren letzter «Port of call» vor der Rückkehr in ihren Heimathafen; zuvor hatte sie während sieben Monaten im Indo-Pazifischen Raum Flagge gezeigt – die deutsche und die europäische.
Für Delhis China-Politik gibt es ein weiteres Argument, das im Ukraine-Konflikt für eine Unterstützung des Westens spricht. Von Präsident Biden befürchtet man hier, dass ihn eine amerikanisch-russische Eskalation in Europa davon abhalten könnte, mit der nötigen Energie China die Stirne zu bieten. Man traut Putin zu, sich in das alte Kalte-Krieg-Muster zurückfallen zu lassen, wenn es gilt, wieder an die alte sowjetische Weltmacht-Rolle anzuknüpfen.
Der russischen Diplomatie käme es zweifellos gelegen, wenn sich die Regionalmacht Indien weiterhin in Schweigen hüllte. Das wird sie spätestens bei Ausbruch von militärischen Operationen nicht mehr tun können. Es ist zweifelhaft, ob Delhi dann – etwa im Uno-Sicherheitsrat – Moskaus Invasion wie bei der Krim-Krise mit dem Hinweis auf dessen «legitime Interessen» schönreden könnte. Diese könnten dann plötzlich mit einem legitimen Interesse Delhis zusammenprallen, nämlich der (für das Jahr 2020) auf 18’000 geschätzten Zahl indischer Studenten in der Ukraine.