Nachdem 2021 das CO2-Gesetz in der Volksabstimmung gescheitert war, galt das an dessen Stelle ausgearbeitete Klimaschutzgesetz als gefährdet. Nun hat es die Hürde genommen. Ende gut, alles gut? Keineswegs, denn die schwierigsten Klippen kommen erst noch.
Volk und Stände haben Ja gesagt. Das Volk mit 59 Prozent Zustimmung, die Kantone alle ausser Thurgau, Schwyz, Uri, Obwalden, Nidwalden, Glarus und Appenzell Innerrhoden. Gemessen an Erfahrungswerten bei eidgenössischen Urnengängen ist das ein solides Resultat. Dass es schwächer ausgefallen ist als diejenigen der beiden anderen nationalen Vorlagen, darf man nicht überbewerten. Die OECD-Mindeststeuer und das Covid-Gesetz waren – anders als die meisten eidgenössischen Vorlagen – wenig umstritten und fuhren entsprechend untypisch hohe Zustimmungsraten ein. Man könnte somit annehmen, der Klimaschutz in der Schweiz sei, gestützt von einer deutlichen Mehrheit, auf Kurs.
Nun, dieser Entscheid wurde von einem knappen Viertel der Stimmberechtigten getroffen. Bei 42 Prozent Stimmbeteiligung (auch dies ein für Schweizer Verhältnisse passabler Wert) stammen die 59 Prozent Ja-Voten von 25 Prozent des Elektorats. Solche faktischen Minderheitsentscheide sind in der Schweiz eher die Regel als die Ausnahme. Stimmabstinente bilden fast immer die Mehrheit. Diese nimmt Entscheidungen passiv hin bei mehr oder weniger bewusstem Verzicht auf Mitwirkung. So kommt es, dass in all den politischen Normalfällen mit Ja-Nein-Verteilungen innerhalb einer 60:40-Bandbreite immer wieder das matchentscheidende Viertel den Kurs bestimmt.
Daran hat man sich gewöhnt. Die Politik in diesem Land funktioniert so. Und die Nichtstimmenden scheinen mit den Ergebnissen nicht in dem Mass unzufrieden zu sein, dass sie aus der Reserve kommen wollten.
Bei der Klimafrage aber haben wir es mit einem politisch neuartigen Thema zu tun. Das Neue daran, das die herkömmlichen politischen Erfahrungen überrumpelt und die eingespielten Prozeduren sprengt, präsentiert sich in Form einer Totalität von unheimlichen Dimensionen. Klimapolitik muss sich mit allem befassen, auf alles einwirken und alles zueinander in Beziehung setzen: Energiekonsum und -versorgung, Verkehr, Industrieproduktion, Landwirtschaft, Ernährung, Wohnen, Siedlungsplanung und Städtebau, Tourismus und Freizeit, Konsumverhalten, Beziehung zur Natur, Verantwortung für die Umwelt, globale Solidarität.
Das am Wochenende gutgeheissene Klimaschutzgesetz ist trotz der Breite seiner Massnahmen nur ein kleiner Schritt. Es ist der abgeschwächte zweite Anlauf, mit dem das Parlament die radikalere Gletscherinitiative ausgebremst hat. Schon dieser Werdegang zeigt deutlich die Schwierigkeiten der Schweizer Politik, auf die Klimathematik eine pragmatische Antwort zu finden. Und hinter dieser Antwort steht explizit bloss ein Viertel des Stimmvolks! Ist das Power genug, um die riesigen Aufgaben zu stemmen?
Das Gesetz ist auf das Zieldatum 2050 ausgerichtet. Langfristig angelegte Politik ist bei grossen, umfassenden Themen sachgemäss. Doch der lange Zeitraum ist auch gefährlich: Er bietet sich an als die lange Bank, auf die man die unbequemen Dinge dann gerne schiebt. Gute Gründe fürs Vertagen von praktischen Schritten wird man immer finden. Ob das Viertel des Stimmvolks, das Ja gesagt hat, dann auch gehörig Druck machen wird?
Eine erste Weiche zur Klimaneutralität ist gestellt worden. Doch bis zur Erreichung des Ziels werden noch viele Richtungsentscheide zu fällen sein. Auf Kurs bleiben wird man nur, wenn es gelingt, im Souverän und bei den politischen Instanzen eine Haltung der Entschlossenheit zu wecken, die deutlichere Zeichen setzt als das jetzige Viertels-Ja.