Im nordöstlichen Industriegebiet von Biel windet sich durch die Ansammlung nüchterner Werkhallen und Bürogebäude ein auffälliges amorphes Gebilde. Es ist das von Shigeru Ban entworfene neue Swatch-Zentrum, das dieses Quartier auf eine ähnliche Weise aufwertet, wie es das von Max Schlup geplante und 1966 eingeweihte Kongresshaus mit Hallenbad mit dem Areal beim Hauptbahnhof getan hat.
Bauen mit Papier und Holz
Der 1957 geborene japanische Architekt Shigeru Ban, der 2014 den Pritzker-Preis erhielt, machte zu Beginn seiner Karriere allerdings nicht mir spektakulärer Weltarchitektur auf sich aufmerksam, sondern mit baulichen Lösungen in Katastrophengebieten. So entwickelte er mit seinem Team spezielle Säulen aus Papier, die billig herzustellen waren und mit geringstem Aufwand als Stützen für Notbauten verwendet werden konnten. Als Fundament kamen bisweilen einfache Getränkeharassen zum Einsatz.
Das hiess aber keinesfalls, dass auf eine sorgfältige Gestaltung verzichtet werden musste. Shigeru Ban entwarf 1995 und 2007 mit den Papiersäulen zwei geräumige, ausgesprochen elegante Kirchen im vom Erdbeben zerstören Kobe. In der ebenfalls von einem Erdbeben stark verwüsteten Stadt Aquila errichtete er mit denselben Elementen eine edle Konzerthalle. Eine weitere Kirche aus Papier erhielt 2013 Christchurch in Neuseeland, wo die Erde 2011 gebebt hatte. Und nach dem verheerenden Tsunami in Fukushima im Jahre 2011 sorgte er mit einem Rahmensystem aus Papierrohren und Textilien für eine minimale Privatsphäre für die Obdachlosen, die gezwungen waren, in riesigen Hallen auszuharren.
Shigeru Bans Werk besteht allerdings nicht nur aus solch ephemeren Bauten. Es umfasst Einfamilienhäuser, Bürogebäude, Museen und Konzerthallen. Bei genauerem Hinsehen fällt jedoch auf, dass Shigeru Ban seine Erfahrungen mit den Provisorien in die auf Dauer ausgelegten Artefakte einfliessen lässt. Das betrifft etwa das Skelett, das – meistens aus Holz – wie ein organisches Geflecht den Raum definiert. Das betrifft die Wahl der Materialien, etwa wenn hauchdünne Membranen über das Skelett gespannt werden und den Eindruck eines Grosszeltes erwecken.
Eigenständige Gebäudehülle
Das beste Beispiel hierfür ist das 2010 eröffnete Centre Pompidou in Metz. Die zarte weisse Dachhaut spannt sich über ein skulpturales Holzgerüst, das einen weiten öffentlichen Innenraum schafft. Die Container des Museums wurden in Kontrast dazu als drei längliche, präzis geschnittene Kisten übereinandergestapelt. Damit vermied Shigeru Ban die mancherorts zu beobachtende störende Überformung der Ausstellungsräume durch eine exzessive architektonische Gestaltung.
2011 erhielt er den Zuschlag für drei Gebäude auf dem Swatch Campus in Biel, für ein Werkgebäude der Marke Omega, für das Uhrenmuseum Cité du Temps und eben für das neue Hauptquartier von Swatch. Er sollte bis 2019 daran arbeiten; laut Shigeru Ban ist es das Projekt, das ihn am längsten beschäftigt hat. Einige Kennzeichen, die im Centre Pompidou Metz eine Rolle spielen, findet man in Biel wieder, so vor allem die Eigenständigkeit von Hülle und Inhalt.
In einem Bogen steigt die gewölbte Ummantelung auf einer Gesamtlänge von 240 Metern bis zu einer Höhe von 27 Metern an, schwingt sich über einen beeindruckenden Leerraum, der für den Zugang genutzt wird, und dockt sich an den strengen Rechteckkörper des Museums an. Das Gerüst besteht aus einem komplexen Wabenmuster aus Holzelementen. Ausgefacht wurde es mit Glas, mit photovoltaischen Elementen und mit Kreuzobjekten, die für die Swissness der Firma stehen. Neun auskragende Terrassen perforieren die Haut und dienen den Mitarbeitenden dazu, sich in den Pausen auszuklinken.
Im Innern ist die Aussenhaut in fast allen Bereichen sichtbar. Für die Arbeitsplätze stellte Shigeru Ban im denkbar grössten Kontrast zur Gebäudehülle eine viergeschossige Konstruktion aus weissem Metall und Glas auf. Möbel und Schränke sind teilweise knallig bunt bemalt. Die meisten Arbeitsplätze sind offen. Mit beweglichen Elementen, aber auch mit Sitzgruppen können jedoch temporäre Abgrenzungen gesetzt werden. Abgeschlossene Räume dienen für Sitzungen. Bereiche mit sensiblen Daten (HR, IT, Finance etc.) sind geschlossen und Managementmitglieder haben jeweils ihr eigenes Büro.
Verschwenderisch wird es im Eingangsbereich: eine riesige Halle, in der man auf die beiden Aufzüge und auf die übereinander geschichteten Brüstungen der Arbeitsebenen blickt. In der Höhe führt eine Brücke unter der Decke zum Uhrenmuseum, und wo die Decke auf die gerade Fassade des Museums trifft, bildet sich eine mit Mosaiksteinen belegte Blase, die den Konferenzraum für nicht weniger als 400 Personen anzeigt.
Die Stadt Biel liess zusammen mit Omega die durch das Quartier fliessende Schüss renaturieren. So mäandriert das Gewässer zunächst entlang einer Neuüberbauung und danach neben dem Swatch-Zentrum, das sich mit seiner Formgebung bestens in die Landschaft einbettet. Leider fehlt die Verbindung zum dritten von Shigeru Ban projektieren Gebäude. Das 2017 vollendete Omega-Werkgebäude steht abseits und ist vom Swatch-Zentrum durch mehrere graue Hallen getrennt. Formal knüpft es an das Uhrenmuseum an, bietet aber mit einer expressiv gestalteten Treppe an einer Stirnseite einen speziellen Blickfang.
Nachhaltiges Bauen
Der Unterschied dieser Neubauten zu den Provisorien könnte nicht grösser sein, doch seine Prinzipien des nachhaltigen Bauens warf Shigeru Ban nicht über Bord, im Gegenteil. Alleine die Hülle des Swatch-Zentrum produziert mit ihren Photovoltaik-Platten soviel Strom wie 60 Haushalte in einem Jahr verbrauchen. Sämtliches Holz stammt aus Schweizer Wäldern und entspricht einer Menge, die in zwei Stunden nachwächst. Und wenn man besonders aufmerksam die Arbeitsbereiche abschreitet, entdeckt man Holzgestelle mit Kartonrohren als Stützen.