Seit Wochen und Tagen kannte die Schweiz nur ein Thema: die Bunderatswahlen. Draussen in der Welt mochten sich noch so wichtige Ereignisse abspielen – der Klima-Gipfel in Durban, der „historische“ Euro-Gipfel in Brüssel, die Wahlen in Russland, das anhaltend brutale Vorgehen der syrischen Machthaber gegen die Opposition -, das Interesse der Schweizer Politik, der Medien, der Stamm- und Familientische war ausschliesslich darauf gerichtet, wie am 14. Dezember der Wahltag unter der Berner Bundeskuppel verlaufen würde. Man hätte meinen können, von diesem Datum hänge Sein oder Nichtsein des ganzen Landes ab.
Ein Kollegium mit Potenzial
Nun ist die Wahl gelaufen, und es drängt sich die ganz nüchterne Feststellung auf: Tant de bruit pour une omelette! An der parteipolitischen Zusammensetzung der Regierung ändert sich nichts. Die geschlossenen Blöcke der Mitte und der Linken wählten exakt so, wie sie es angekündigt hatten. Sie bereiteten der umstrittenen und irgendwie quer zum „System“ liegenden Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf eine sichere Wiederwahl. Dass diese schon im ersten Anlauf gelang, kommt einem Triumph gleich. Ihre darauf noch deutlichere Wahl zur Bundespräsidentin krönte diesen Triumph noch. Neu an der neuen Regierung ist einzig das neue Gesicht von Alain Berset, der den Platz der in den Ruhestand tretenden Calmy-Rey einnimmt.
Noch vor einigen Jahren steckte der Bundesrat in der Krise. Alphatiere wie Christoph Blocher oder Pascal Couchepin hatten Mühe, sich ins Kollegium einzufügen. Sie stellten ihr Ego über die Sache, sie teilten aus, wo Schweigen besser gewesen wäre, und fuhren, reichlich unkollegial, ihre Sonderzüge. Seit diese Figuren weg vom Fenster sind, steht es um die Kohärenz im Bundesrat wieder besser. Und das ist auch gut so. Denn die Zeiten, die sich ankündigen, sind nicht rosig. Die Schuldenkrise in vielen Euro-Ländern, die Frankenstärke, die Sicherung der Sozialwerke rufen nach einer geschlossenen Regierung, auch der Ausstieg aus der Atomenergie. Widmer-Schlumpf schaffte ihre Wiederwahl nicht nur, weil sie als Finanzministerin überzeugt, sondern weil sie sich klar zu dieser energiepolitischen Weichenstellung bekannt hat.
Vieles spricht dafür, dass mit der Wahl des Sozialdemokraten Alain Berset das Kollegialprinzip noch gestärkt wird. Man kann sich den Freiburger durchaus im Departement für Auswärtige Angelegenheiten vorstellen – einer Domäne, die für die Schweiz zunehmende Bedeutung hat. Berset ist jung, weltoffen, sprachlich gewandt. Und im Ständerat hat er sich nicht als kämpferisch-dogmatischer Linker, sondern als Konsenspolitiker einen Namen gemacht.
Die SVP pokerte falsch
Für die SVP dagegen endet dieser Wahlherbst so, wie er angefangen hat. Sie verlor in den Nationalratswahlen, sie kassierte eine Demütigung beim „Sturm aufs Stöckli“, sie verfehlte jetzt ihr Ziel in den Bundesratswahlen. Nach ihrer als liederlich zu bezeichnenden Kandidatenkür (Affäre Zuppiger) präsentierte sie mit dem Bauernpolitiker Hansjörg Walter zwar einen Mann, der nicht zu den Ruppigen seiner Partei gehört, sondern, von seinem Habitus her, in einer Kollegialregierung durchaus seinen Platz hätte. Ausserdem hätte die Partei gemessen an ihrer Wählerstärke tatsächlich Anspruch auf einen zweiten Sitz.
Nur, ihre Strategen pokerten falsch. Sie spekulierten darauf, mit je zwei FDP- und SVP-Sitzen eine klare Rechtsmehrheit im Bundesrat zu etablieren. Dabei bringen beide Parteien zusammen nur 41,7 Prozent Wählerstimmen auf die Waage, wogegen die Mitte (CVP, BDP, GLP) und die Linke (SP, Grüne) zusammen gut 50 Prozent wiegen. Auch was die Mandatszahl in der Bundesversammlung betrifft, verfügt Mitte-Links über eine deutliche Mehrheit. Das schleckt nun mal keine Geiss und auch kein Geissbock Zottel weg.
Durchaus Chancen auf den zweiten Sitz hätte die SVP gehabt, wenn sie zuvor klar deklariert hätte, die FDP, die mit zwei Sitzen übervertreten ist, anzugreifen. Doch das tat sie nicht, und als sie es mitten in den Wahlgängen doch noch tat, glich ihr Strategiewechsel nur noch einer kopflosen Verzweiflungstat.
Blochers Geld und Ungeist
Natürlich sind an ihrer Niederlage nun wieder alle anderen schuld. Und wie immer wirft sie sich in die Rolle des Opfers und droht mit Opposition. Doch das Problem liegt bei ihr selber. Es manifestiert sich gewissermassen als psychologisches Problem, das sich mittlerweile zu einer Psychose ausgewachsen hat: die Abwahl Blochers vor vier Jahren. Die Partei und ihre Anhänger haben diese Figur überhöht. Sie sehen in ihr eine Art Erlöser oder Heilsbringer, in ihrer Abwahl eine Majestätsbeleidigung, die noch heute nicht verkraftet ist. Das erklärt, weshalb sich die Partei in die “Verräterin“ (Widmer-Schlumpf) verbeisst und, obwohl sich die kleine Welt der Schweizer Politik weiter bewegt hat, diesen Biss nicht mehr lösen kann.
Stratege Blocher hat in diesem Wahlherbst viel von seiner Aura verloren. Eine jüngere Generation in der Partei wird erkennen müssen, dass sich nicht mehr alles um ihn drehen kann. Sie wird sich von seinem Geist, der oft als Ungeist in Erscheinung trat, emanzipieren müssen. Bei der Ablösung könnte sich allerdings eine ganz prosaische Seiten bemerkbar machen. Blocher ist ein Mann mit Geld. Die Öffentlichkeit darf zwar nicht wissen, wieviel er der Partei zusteckt (wie sie auch nicht hätten wissen dürfen, dass er sich die Basler Zeitung gekauft hat). Wie aber bringt man einem Zahlvater bei, dass er sich allmählich zurückziehen, aber gleichwohl zahlen soll?