Gastkommentar von alt Nationalrat Hans-Jürg Fehr (SP/SH)
Der Entwicklungszusammenarbeit wird notorisch Wirkungslosigkeit vorgeworfen. Der Vorwurf wird selten materiell begründet und entpuppt sich beim näheren Hinsehen regelmässig als notdürftig kaschierte Sparpolitik. Der Frage nach der Wirkung müssen sich aber auch jene politischen Kräfte stellen, die Entwicklungszusammenarbeit befürworten und betreiben. Es lässt sich nämlich nicht bestreiten, dass die Wirkungsorientierung zu lange zu wenig schwer gewichtet worden ist. Das hat sich geändert in den letzten Jahren und das ist gut so, denn das beste Argument für eine sogar noch verstärkte Entwicklungszusammenarbeit ist ihre nachgewiesene Wirksamkeit. Aber so wichtig dieser Aspekt ist, so sehr verstellt er den Blick auf eine andere, weit schwerwiegendere Realität: Die Aussenwirtschaftspolitik führt ein verfassungsfernes Eigenleben und ist nicht darauf ausgerichtet, die Entwicklungszusammenarbeit zu stützen und in ihrer Wirkung zu verstärken. Im Gegenteil. Sie erzielt Wirkungen, die denen der EZA diametral zuwiderlaufen und diese nicht selten sogar aufheben. Das müsste nicht so sein.
Das Übel liegt darin, dass die Aussenwirtschaft nicht den von der Bundesverfassung vorgegebenen Zielen einer solidarischen Aussenpolitik unterstellt wird. Genau das aber müsste politisch angeordnet werden: ein fundamentaler Strategiewechsel hin zu einer Handels-und Steuerpolitik, die sich auch oder sogar primär an den Entwicklungszielen der Partnerländer in der Dritten Welt orientiert und nicht oder wenigstens nicht nur an den Profitinteressen der Schweizer Unternehmen. Warum eigentlich gelten die Verfassungsziele Minderung der Armut, Förderung der Demokratie, Schutz der Menschenrechte nur für die Aussenpolitik, nicht aber für die Aussenwirtschaftspolitik? Warum darf sie sich um diese Ziele foutieren und permanent Verträge abschliessen, die explizit gar keine positiven Entwicklungseffekte anstreben und implizit negative bewirken?
Wo der Hund begraben liegt, zeigt folgende Schätzung des Internationalen Währungsfonds IWF für das Jahr 2014: Den Entwicklungsländern gingen 213 Milliarden Dollar Steuereinnahmen verloren, weil multinationale Konzerne jährlich vier bis sechs Prozent der Steuern, die sie eigentlich entrichten sollten, am Fiskus vorbei schleusen. Dieser Summe steht der von den OECD-Ländern geleistete Betrag für Entwicklungszusammenarbeit gegenüber: 137 Milliarden Dollar. Ein korrektes, international vereinbartes System der Besteuerung von Konzerngewinnen würde für die Entwicklungsländer wesentlich mehr Mittel generieren als ihnen die Sitzstaaten dieser Konzerne zukommen lassen. In den gleichen Dimensionen bewegen sich die durch Steuerflucht von Privatpersonen erzeugten Kapitalabflüsse. Berechnungen von NGO zeigen, dass den Entwicklungsländern jährlich 124 Milliarden Dollar an Steuereinkünften entzogen werden. Länder wie die Schweiz mit ihrem institutionalisierten Schutz von Steuerflüchtlingen tragen dafür eine erhebliche Mitverantwortung.
Zusammengefasst: Dem Steuerverlust von ungefähr 340 Milliarden Dollar stehen Entwicklungshilfegelder von 140 Milliarden Dollar gegenüber. Diese Relation zeigt auf, wo politisch angesetzt werden muss. Die Steuerflucht durch natürliche und der Steuerentzug durch juristische Personen muss verhindert werden. Das Instrumentarium dafür steht bereit und ist in anderen Zusammenhängen längst erprobt: Abkommen über den automatischen Informationsaustausch (AIA) wie sie zum Beispiel die EU kennt. Für Länder mit einer noch zu wenig leistungsfähigen Steuerverwaltung gibt es die TIEA (Tax Information Exchange Agreements), die leichter zu praktizieren sind, aber dem gleichen Grundsatz der Transparenz zwischen Banken und Steuerbehörden verpflichtet sind. Wenn die Steuerschlupflöcher gestopft würden, könnten die Industriestaaten aufhören, Entwicklungszusammenarbeit zu finanzieren.
Entwicklungshemmend sind auch die Freihandelsabkommen zwischen Staaten im Norden und im Süden. Es fehlen in ihnen soziale und ökologische Konditionalitäten. Entwicklungsfördernd im Sinne positiver Wirkungen auf die Arbeitsbedingungen, Löhne, Menschenrechte und den Umweltschutz wären aber multilaterale oder bilaterale Handelsabkommen mit Grundsatzklauseln, Verfahrensvorschriften, Klagerechten, Schiedsgerichtsbarkeiten und Sanktionen zum Sozial- und Umweltschutz. Aus den Freihandelsabkommen müssen Fairhandelsabkommen gemacht werden.
Dasselbe gilt schliesslich für die Investitionsschutzabkommen. Sie sind bis dato weitestgehend auf die Interessen der Investoren ausgerichtet und nicht auf die Interessen der Bevölkerungen in den Staaten, in denen internationale Konzerne tätig sind. Das geht so weit, dass die demokratisch gewählten Organe solcher Staaten nicht mehr frei sind in ihrer Gesetzgebung. Wenn sie Schutzbestimmungen für die Gesundheit der Menschen oder die Natur erlassen, wenn sie Schutzbestimmungen für die Arbeitenden erlassen, laufen sie Gefahr, von den Multis mit milliardenschweren Schadenersatzklagen eingedeckt zu werden und zwar nicht vor einem nationalen Gericht, sondern vor einem internationalen Schiedsgericht. Auch hier wiegt das Profitinteresse des Konzerns mit Sitz in der Schweiz oder einem anderen Industriestaat also mehr als das Recht eines Entwicklungslandes, die Armut zu bekämpfen, die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen und die Menschenrechte zu stärken. Das ist dann besonders störend, wenn derselbe Industriestaat in demselben Entwicklungsland Geld ausgibt für Projekte der Entwicklungszusammenarbeit gegen die Armut, für die Natur und für die Menschenrechte. An diesem Punkt wird definitiv klar, dass sich Aussenwirtschaftspolitik und Aussenpolitik von ein und demselben Staat in die Quere kommen und die eine die andere behindert statt stärkt. Das muss nicht so sein, sondern ist politisch veränderbar. Kooperation statt Konfrontation zwischen Aussen- und Aussenwirtschaftspolitik würde in den Entwicklungsländern mehr Wirkung erzielen und weniger kosten.