Die undurchsichtige Affäre, die dies zur Folge hat, trug sich, soweit man trotz halber Dementis und diplomatischer Beschönigungsformeln ausmachen kann, folgendermassen zu:
Seit geraumer Zeit sprechen die amerikanischen Behörden davon, dass sie gedächten, "gemässigte" syrische Kämpfer auszubilden und gegen den IS einzusetzen. Die USA fliegen zusammen mit einigen Verbündeten Lufteinsätze gegen den IS und gelegentlich auch gegen deren Rivalen, die Nusra Front. Die Nusra Front erklärt sich als Al-Kaida zugehörig. Die amerikanische Luftwaffe ist bisher nie mit der syrischen zusammengestossen, obwohl sie im syrischen Luftraum operiert.
Komplizierte Auswahlverfahren
Im vergangenen Monat hatten die amerikanischen Verantwortlichen öffentlich einräumen müssen, dass es ihnen bisher nur gelungen sei, 70 "gemässigte" Kämpfer auszubilden. Als Ziel einer ersten Ausbildungsetappe war ursprüglich die Zahl von 1´500 Kämpfern angegeben worden. Die geringe Zahl rief natürlich Kritik hervor. Aus den Hintergrundberichten, nicht aus offiziellen Aussagen, weiss man, dass die Schwierigkeiten bei der Aushebung und Ausbildung dieser "Gemässigten" darin liegen, dass sehr strikte und komplizierte Ausleseverfahren angewandt werden. Dazu gehören der Einsatz von Lügendetektoren und ähnlichem, um möglichst sicher zu stellen, dass Personen als Ausbildungskandidaten gefunden werden, die mit grosser Gewissheit gegen den IS kämpfen werden und sich am Ende nicht dem IS anschliessen oder ihre Waffen dem IS überlassen oder verkaufen. Dinge, die in der Vergangenheit vorgekommen sind.
Das ungeklärte Verhältnis zum Asad Regime
Dazu kommt, dass sich viele der Ausbildungskandidaten an den politischen Auflagen stossen, die ihnen gemacht werden. Ihre Mentoren erklären ihnen, sie dürften nicht offensiv gegen den Staat Asads und dessen Soldaten vorgehen, sondern sollten sich auf die Bekämpfung des IS konzentrieren. Doch für syrische Deserteure und Feinde des Asad-Regimes ist der Kampf gegen das Regime das Hauptanliegen.
Auf die Frage, was denn geschehe, falls sie von Asads Soldaten oder von dessen Luftwaffe angegriffen würden, scheinen dem Vernehmen nach die Amerikaner geantwortet zu haben, sie würden ihre Freunde nicht im Stich lassen. Aber sie vermieden offenbar jede Präzisierung.
Die 30. Division
Es gibt eine spezielle Einheit der sogenannten Syrischen Freien Armee (SFA): die 30. Division. Daraus wählten die Amerikaner vorzugsweise jene Soldaten aus, die sie auf ihre Eignung für die Ausbildung testen wollten. Die Offiziere der SFA und wohl auch viele der Mannschaften bestehen zu grossen Teilen aus Militärs, die im Verlauf der letzten vier Jahre aus der offiziellen syrischen Armee zu den Aufständischen übergelaufen waren. Ursprünglich waren sie in Jordanien zu einer militärischen Einheit zusammengefasst worden, höchst wahrscheinlich - aber nicht offiziell bestätigt – waren schon in dieser Phase amerikanische und jordanische Berater und saudische Hilfsgelder mit im Spiel.
Diese 30. Division sollte an der türkisch-syrischen Grenze gegen den IS eingesetzt werden. Unter ihren Mannschaften befanden sich - vermutlich, aber nicht offiziell bestätigt - 56 Soldaten, die zu den 70 von den USA Ausgewählten und Ausgebildeten gehören. Man kann annehmen, dass sie über Geräte verfügten, mit denen sie falls nötig amerikanische Lutwaffenhilfe anfordern konnten.
Gefangen von der Nusra Front
Nun geschah das folgende: Einer der Kommandanten der Division 30, Oberst Nadim al-Hassan, ein syrischer Turkmene, wurde mit einigen seiner Soldaten und einem zweiten Offizier, Namens Farhan Jasem, an einer Strassensperre von der Nusra Front, nah an der türkischen Grenze, gefangen genommen. Insgesamt sollen es, je nach Quelle, zwischen 8 und 18 Personen gewesen sein. Die Festnahme beziehungsweise Entführung scheint nach den zuerst über elektronische Medien durchsickernden Berichten für die Gefangenen vollkommen überraschend gekommen zu sein, weil sie drei Tage zuvor mit der Nusra Front über die Koordination ihrer geplanten Aktionen gegen den IS konferiert hatten.
Wie auch immer, Nusra behandelte sie als Feinde und als Verräter. Sie wurden durch die Strassen des Flecken Azzaz geführt und Nusra veröffentlichte ein Video, auf dem angeblich einer der Gefangenen gezeigt wurde, der "gestand", er sei von den Amerikanern rekrutiert und in der Türkei ausgebildet worden. Die Nusra Front erklärte dazu, ihre Gruppe verfüge über "Beweise", dass diese Mitarbeiter den Amerikanern als Spione dienten, welche den amerikanischen Kampfflugzeugen Hinweise auf Nusra-Positionen gäben. Nusra habe nun "den Arm des Westens und Amerikas in Syrien abgeschnitten".
Über das weitere Schicksal der Entführten ist bis jetzt nichts bekannt. Die Türkei will sich dafür einsetzen, dass sie freikommen.
Angriff auf die 30. Division
Am Tag nach der Entführung, dem 31.Juli, griffen Nusra-Kämpfer das Hauptquartier der Division 30 in Azzaz an. Die amerikanischen Kampfflugzeuge kamen den Angegriffenen zu Hilfe, und sollen "mindestens" 25 der Angreifer getötet haben. Die 30. Division erklärte im Internet, sie habe 5 Tote und 18 Verwundete zu beklagen. Unter dem Schutz des amerikanischen Feuers zogen sich die Soldaten der Division 30 aus ihrem Hauptquartier in den kurdischen Kanton Afrin zurück. Dieser liegt weiter westlich an der türkisch-syrischen Grenze.
Gewundene Dementies aus den USA
All dies wurde in groben Umrissen über die elektronischen Media bekannt, bevor die offiziellen Sprecher dazu Stellung nahmen. In einer ersten Serie von Dementis - offenbar zur Schadensbegrenzung - erklärten die amtlichen amerikanischen Sprecher auf Befragung durch Presse und Presseagenturen, keiner von den durch die USA ausgebildeten Soldaten sei gefangen genommen oder entführt worden. Dies war so formuliert, dass es nicht ausschloss, dass andere Mitglieder der Division 30 – die nicht zu den von den USA Ausgebildeten 56 gehörten - entführt worden sein könnten. Was denn auch offensichtlich der Fall war.
Warnung an Syrien
In den folgenden Tagen kamen Meldungen aus den USA, die offiziell bestätigten, dass die amerikanische Luftwaffe die Nusra Front bombardierte, um die von den USA ausgebildeten syrischen Soldaten zu schützen. Am 3. August warnte eine Sprecherin des Weissen Hauses, Josh Earnest, Syrien (das heisst das Regime Asads), sich nicht In die Operationen amerikanisch ausgebildeter Kräfte einzumischen. Sie sagte auch, "zusätzliche Schritte" würden unternommen, um diese Kräfte zu verteidigen.
Ein Armeesprecher, Hauptmann Jeff Davis, erklärte am gleichen Tag, die USA hätten am vergangenen 31. Juli "defensives Unterstützungsfeuer" für die amerikanisch ausgebildeten syrischen Kämpfer geliefert, und "wir werden dies wieder tun, gegenüber einem jeden, der sie attackiert". Der Armeesprecher erklärte, die amerikanisch Ausgebildeten seien unter Feuer von Leuten gekommen, die "sehr aussahen wie Leute der Nusra Front, doch wir haben darüber keine Gewissheit". Auch zukünftig werde Amerika helfen "gegen weiter ausgedehnte Bedrohungen".
Sicherheitszusage für die "amerikanischen" Rebellen
Eine Reaktion aus Russland liess nicht auf sich warten. Der russische Aussenminister Sergei Lavrov erklärte auf einer Pressekonferenz, die er in Qatar abhielt, das amerikanische Verhalten sei "kontraproduktiv" und könne "die Aufgabe, gegen den Terrorismus zu kämpfen, komplizieren".
Die Amerikaner haben damit eine locker gehaltene aber dennoch unübersehbare Garantie für die von den USA ausgebildeten syrischen Kämpfer ausgesprochen. Sie soll offenbar auch für den Fall gelten, dass diese Kämpfer von der syrischen Armee angegriffen werden. Obwohl - wie ebenfalls deutlich ist - die Amerikaner hoffen, dass dies nicht geschehen wird. Offizielles Kampfziel für die von den USA Ausgebildeten ist natürlich der IS. Die Nusra Front jedoch, obwohl Feind vom IS, hat sich nun klar als ein Gegner der Amerikaner und der amerikanisch unterstützten Kräfte positioniert.
Innerhalb der geplanten Pufferzone
Die ganze Episode spielte sich genau in dem Raum ab, welchen die Türken - wie sie sagen: in Übereinstimmung mit den USA - als die Pufferzone vorgesehen haben, aus der der IS vertrieben werden soll. Die Frage was mit der Nusra Front zu geschehen habe, welche zusammen mit der sogenannten "Eroberungsarmee" (einem Zusammenschluss von vielen islamistischen Kleingruppen) diesen Raum gegenwärtig in seiner westlichen Hälfte beherrscht, wurde offiziell nie beantwortet. Von den Türken dürfte die Nusra Front eher als ein Freund, von den Amerikanern jedoch deutlich als ein Feind eingestuft werden. Denn die Nusra Front ist der syrische Zweig der Al-Kaida-Organisation.
Die geschilderte jüngste Episode hilft natürlich, die Feindschaft zwischen der Nusra Front und den USA zu vertiefen. Doch ihre grösste Bedeutung liegt darin, dass sie die Amerikaner gezwungen hat, klar zu stellen, dass die von Amerika ausgebildeten syrischen Rebellen im Notfall Luftunterstützung aus den USA erhalten werden. Sollten die USA sich künftig nicht an dieses Versprechen halten, würde ihre Regierung den allerletzten Rest ihres Prestiges in Syrien einbüssen.