Seit anderthalb Jahrhunderten wird in Italien darüber diskutiert, ob Sizilien mit einer Brücke mit dem Festland verbunden werden könnte. Oder soll das Festland und die Insel mit einem Tunnel verbunden werden? Die neue Regierung will dem Projekt jetzt neuen Auftrieb geben. Natürlich mit Geldern von der EU.
Am 28. Dezember 1908 fand in der Region rund um die «Strasse von Messina» die schwerste europäische Naturkatastrophe im 20. Jahrhundert statt. Um 05.21 Uhr bebte die Erde 38 Sekunden lang. 120’000 Menschen starben.
Und ausgerechnet hier soll nun eine drei Kilometer lange Brücke gebaut werden. Sie würde auf zwei riesigen Pfeilern ruhen. Geologen warnen.
Pläne für eine Brücke über die Strasse von Messina gibt es Dutzende. Der frühere italienische Ministerpräsident Giuseppe Zanardelli sagte schon Ende des 19. Jahrhunderts, Sizilien müsse «über oder unter den Wellen» mit dem Kontinent vereinigt werden.
In diesem Jahrhundert war es Silvio Berlusconi, der das Projekt forcierte. 2005 hatte er den Auftrag dem italienischen Bauunternehmen «Webuild» erteilt. 118’000 Arbeitsplätze sollten geschaffen werden. Die Kosten wurden auf drei Milliarden Euro veranschlagt. Auf der Brücke sollten nicht nur Autos, sondern auch Züge verkehren. Doch es geschah nichts.
Auch die Regierung von Mario Draghi dachte über den Bau einer Verbindung zwischen Kalabrien und Sizilien nach, legte jedoch das Projekt aufs Eis.
«Eine paradoxe Lücke»
Jetzt kommt möglicherweise Bewegung in die Sache. Der Rechtspopulist Matteo Salvini ergreift die Gelegenheit, sich ein Denkmal zu setzen. Er, der neue Infrastrukturminister, hat wenige Minuten nach seiner Ernennung erklärt, das Festland-Italien müsse mit Sizilien verbunden werden. Ihm schloss sich nun Ministerpräsidentin Giorgia Meloni an.
Die Brücke müsse in die Prioritätenliste der EU aufgenommen werden, forderte Salvini kürzlich in Brüssel. So müsse «eine paradoxe Lücke im transeuropäischen Verkehrsnetz geschlossen werden», heisst es in einem Brief an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. «Ich betone», fügte Salvini bei, «dass die derzeitige Regierung nach 54 Jahren erfolgloser Bemühungen die Absicht hat, eine stabile Verbindung zwischen Sizilien und Kalabrien, zwischen Italien und Europa zu schaffen, um den skandinavisch-mediterranen Korridor zu vervollständigen.»
Die EU ist «geehrt»
Die EU zeigt sich offen für die Mit-Finanzierung dieses «pharaonischen Projekts», wie Berlusconi es nannte. Die EU-Kommission fühle sich «geehrt», Italien beim Bau der Messina-Brücke konkret zu unterstützen.
Doch das bedeutet gar nichts. Erwartet werde «ein solider Finanzplan und ein solides endgültiges Projekt», erklärt die EU-Kommission. Und da liegt die Krux.
Die jüngste Studie sieht – theoretisch – vier Möglichkeiten vor.
1. Keine Brücke, ein Tunnel: Der Vorschlag, im Meeresboden einen Tunnel zu graben, wird sogleich verworfen, weil das Meer in der Strasse von Sizilien sehr tief ist. Zudem müssten die Tunneleingänge weit im Landesinneren gebaut werden.
2. Ein schwimmender Tunnel, also eine riesige Röhre, die mit Seilen am Meeresboden festgemacht wäre. Durch diese im Wasser schwebende Röhre würden dann Autos und Züge fahren. Diese sogenannt «Archimedische Brücke» erweckt am meisten Erstaunen. Doch ein solch schwimmender Tunnel wurde noch nie gebaut. Viele technische Fragen sind ungelöst. Kann ein solcher Tunnel wirklich stabil und dicht sein? Man stelle sich vor: Züge, hunderte Autos und schwere Lastwagen fahren dann gleichzeitig durch eine im Wasser schwebende Röhre.
3. Hängebrücke mit zwei Pfeilern in Kalabrien und Sizilien: Eine solche Brücke wäre gut drei Kilometer lang und würde von zwei 300 Meter hohen Pfeilern getragen. Diese wären die weltweit grössten und müssten in Reggio Calabria und Messina tief in den Boden hineingegraben werden, dort, wo 1908 die Erde bebte. Das Fundament für die Pfeiler wäre über hundert Meter breit. Es ist zu befürchten, dass eine solch lange Brücke den starken Winden, die in der Meeresenge von Messina immer wieder toben, nicht gewachsen wäre.
4. Hängebrücke auf zwei Pfeilern im Meeresboden: Doch auch so rechnen die Ingenieure mit schwerwiegenden statischen Problemen, da der Meeresboden geologisch nicht stabil ist.
Also: Alle vier Möglichkeiten sind problematisch.
Eine im letzten Jahr veröffentlichte wissenschaftliche Studie hat ergeben, dass die tektonischen Verwerfungen in diesem Gebiet ein Erdbeben der Stärke 6,9 auslösen könnten – also Energie, die dem Erdbeben von 1908 sehr nahe kommt. Damals waren auf der Momenten-Magnituden-Skala 7,2 gemessen worden. Veröffentlicht wurde die jetzige Studie in der renommierten internationalen Fachzeitschrift «Earth-Science Reviews». Beteiligt waren die Universitäten Catania und Kiel sowie das Ätna-Observatorium des Nationalen Instituts für Geophysik und Vulkanologie.
Kein wirtschaftlicher Nutzen
Dazu kommt die Wirtschaftlichkeit. Die Gesamtkosten einer Brücke oder eines schwebenden Tunnels würden etwa 10 Milliarden Euro kosten. Rechnet man alle Infrastruktur- und Anschlussbauten dazu, käme man auf bis zu 30 Milliarden. Viele bezweifeln, ob eine Brücke oder ein Tunnel einen wirtschaftlichen Nutzen bringen würden.
Enrico Giovannini, ein Infrastrukturminister im Kabinett von Enrico Letta, sprach schon 2013 davon, dass die Brücke «nutzlos und unproduktiv» sein könnte.
«Wir sind ein Volk von Angsthasen»
Die Fährverbindung zwischen dem Festland und der Insel funktioniert gut und ist recht günstig. Jährlich werden die Fähren von 4,2 Millionen Passagieren benutzt. (6,3 Millionen fliegen auf die Insel oder zurück). 3,3 Millionen Tonnen Güter werden jedes Jahr über die Meeresenge transportiert.
Gäbe es eine Brücke, würde die Reisezeit vom Festland auf die Insel laut Studien um 47 Minuten verkürzt. Unklar ist noch, ob für die Benutzung der Brücke ein Strassenzoll (Maut) verrechnet werden soll.
Wie auch immer: Würde die Brücke oder der Tunnel überhaupt rege benutzt? Viele zweifeln daran. «Wir Italiener sind ein Volk von Angsthasen», sagt ein Sizilianer einem Lokalradio von Reggio. «Wir nehmen doch nicht das Risiko auf uns, über eine solch abenteuerliche Brücke zu fahren.»
Und durch eine im Wasser schwebende Riesenröhre schon gar nicht.