Muss das nicht ein unglaublich glückliches Land sein mit ebenso unsagbar beseligten Bürgern (Bürgerinnen selbstverständlich eingeschlossen), dieses Deutschland. Ein Staat mit Menschen, die ganz offensichtlich keine wirklichen Sorgen und Probleme haben. Die es sich stattdessen – einfach nur zum Spass - leisten können, eine drittklassige Posse um eine viertklassige Lyrik eines der geistigen Pubertät möglicherweise noch nicht ganz entwachsenen „Satirikers“ namens Jan Böhmermann zu einer aussenpolitischen Affäre hochzujazzen und dies auch noch innenpolitisch geradezu genüsslich zu einem angeblichen Musterbeispiel für Presse-, Meinungs- und Kunstfreiheit zu stilisieren. Oder eben auch zum genauen Gegenteil.
Das Netz bebt mal wieder
Noch einmal kurz zusammengefasst: Böhmermann, mit Ausnahme von einer kleinen Fan-Gemeinde bislang weitestgehend unbekannt, hatte unlängst – zunächst im dritten TV-Programm des Norddeutschen Rundfunks (NDR) und wenig später in einem Spartenkanal des Zweiten Deutschen Fernsehens (ZDF Neo) – in einem (von ihm selbst so bezeichneten) satirischen Gedicht den türkischen Staatspräsidenten Erdogan ins Fadenkreuz genommen. Wer möchte, kann sich das „Werk“ auf YouTube ansehen. Vielleicht sollte man das sogar tun, um das Folgende einigermassen richtig einzuordnen. Vor allem die am 15. April ergangene Erlaubnis der Bundesregierung an die Staatsanwaltschaft (in diesem Fall in Mainz), gegen Böhmermann Ermittlungen „wegen Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhaupts“ einzuleiten.
Dieses nämlich hatte Erdogan offiziell durch eine so genannte Verbalnote über das Auswärtige Amt von der Bundesregierung verlangt. Und zwar auf Grundlage des Paragrafen 103 im deutschen Strafgesetzbuch. Es geht dabei um den vom Volksmund als „Majestätsbeleidigung“ bezeichneten Artikel, der noch aus der Kaiserzeit stammt. Und, unabhängig davon, stellte der Ober-Türke auch noch als Privatmann einen Strafantrag wegen Beleidigung. Seither tobt es – wieder einmal – in den so genannten sozialen Netzen. Und – wie üblich – überschlagen sich die extremen Wortmeldungen (für und gegen), während die Besonnenheit auf der Strecke bleibt.
Auch Erdogan hat ein Klagerecht
Eigentlich könnte man jetzt sagen: „Na prima, wenn der Herr vom Bosporus sich schon so aufregt, dann liegt die Angelegenheit bei uns nun dort, wo sie hingehört – nämlich bei der Justiz“. Denn natürlich hat auch ein Möchtegern-Sultan wie Erdogan das Recht, sich von einem Deutschen beleidigt zu fühlen – zumal wenn dieser in seiner angeblichen Satire unter anderem Sodomie (also Sex mit Tieren) unterstellt. Und selbstverständlich kann auch jemand, der daheim in seinem Land rund 120 missliebige Journalisten hinter Gitter bringen und etwa 2'800 Beleidigungsprozesse gegen oppositionelle Landsleute anstrengen liess, die deutsche Rechtsordnung für sich in Anspruch nehmen. Ob das, im vorliegenden Fall, besonders klug war, mag dahingestellt bleiben. Denn dass Erdogan mit seiner selbstherrlichen und selbstverliebten (Protzpalast in Ankara) Attitüde sowie seiner repressiven Innenpolitik ein Sympathieträger wäre, liesse sich wohl kam behaupten.
Im Prinzip also wäre Jan Böhmermann allenfalls eine zu vernachlässigende Randfigur. Gäbe es da nicht diese Ungeschicklichkeiten und Pannen in Berlin beim Versuch, Krisenmanagement zu betreiben. Das begann schon damit, dass Kanzlerin Angela Merkel ihren Sprecher beauftragte, der Öffentlichkeit mitzuteilen, sie habe in einem Telefonat mit Erdogan den Böhmermann-Auftritt ebenfalls als „bewusst verletzend“ gewertet. Damit war die Posse praktisch auf die Staatsebene gehoben worden. Warum – auch das noch - hat ihr sozialdemokratischer Aussenminister, Frank-Walter Steinmeier, den türkischen Botschafter zuvor nicht einfach beschieden, selbstverständlich stehe seinem beleidigten Herrn und dessen Regierung der in Deutschland (als Rechtsstaat) vorhandene Rechtsweg offen? Weshalb, schließlich, dann auch noch dieses tagelange Theater um die Frage, ob regierungsamtlich der Justiz die Erlaubnis für Ermittlungen erteilt werden solle?
In der Zwickmühle
Natürlich musste die Regierung diesen Weg gehen. Denn immerhin gibt es den Paragrafen 103 Strafgesetzbuch ja leider noch. Doch das hätte auch diskret geschehen können. Mag sein, dass dies – wenigstens zum Teil – erklärt werden kann mit der an der Spree herrschenden Nervosität im Umgang mit der Türkei zusammen. Denn jetzt kommt das Thema „Flüchtlinge“ ins Spiel. Nicht nur Angela Merkel, die gesamte Bundesregierung befindet sich hier in einer unangenehmen Zwickmühle. Die Einlösung ihres Versprechens an die deutsche Bevölkerung, den Zustrom von fliehenden Menschen aus dem Nahen Osten drastisch zu begrenzen, steht und fällt nun einmal mit der Bereitschaft der Türkei, die gefährliche Überfahrt zu den nahen griechischen Inseln (und damit auch das einträgliche Geschäft der Schlepper) zu unterbinden. Mit anderen Worten: Erdogan hat die Trümpfe in der Hand.
Und dennoch wäre durch ein besseres Agieren der peinliche Eindruck zu vermeiden gewesen, die Kanzlerin sei gegenüber der Türkei eingeknickt. Dies umso mehr, als sich die damit verbundene Inszenierung auch noch wie ein Kasperle-Stück abspielte. Die sozialdemokratischen Bundesminister mit Frank-Walter Steinmeier und dem Justiz-Ressortchef Heiko Maas erklärten vor laufender Kamera mit ernsten Gesichtern, die SPD-Seite sei geschlossen gegen die Entscheidung gewesen. Denn: „Meinungs-, Presse- und Kunstfreiheit sind höchste Schutzgüter der Verfassung“. War denn Steinmeier als Aussenminister nicht der Briefträger mit dem türkischen Ansinnen an die Bundeskanzlerin? Und sitzt der Koalitionspartner nicht genauso in der Zwickmühle wie die Union und Angela Merkel?
Wächter der Meinungsfreiheit?
Und dann: Dumm nur, dass nicht wenige Zeitgenossen im Lande noch über ein funktionierendes Gedächtnis und ein Archiv verfügen. Wie war das mit der SPD als Wächterin der Meinungs-, Presse- und Kunstfreiheit? Gab es da nicht einmal einen Bundeskanzler namens Gerhard Schröder, der sogar bis vor das Bundesverfassungsgericht zog, um die Äusserung verbieten zu lassen, er färbe sich die Haare? Und hatte nicht der damals noch sozialdemokratische Ministerpräsident des Saarlands, Oskar Lafontaine, die Berichtsfreiheit in seinem Minireich einschränken lassen, weil er sich über bestimmte Berichte zum Rotlichtmilieu ärgerte. Jedenfalls dachte er laut darüber nach, „wie der investigative Journalismus in seine ethischen Schranken zurückverwiesen werden kann“. Wie war das schließlich noch mit dem rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten und kurzzeitigen SPD-Bundesvorsitzenden Kurt Beck, der eine einstweilige Verfügung gegen das Satire-Magazin Titanic“ erwirkte, weil das ihn auf dem Titelblatt abgebildet hatte als „Problembär ausser Rand und Band: Knallt die Bestie ab“. Da höre der Spass auf, sagte Beck damals und hatte damit gewiss nicht ganz Unrecht.
Es wird auf jeden Fall langsam Zeit, dass sich die Akteure der Böhmermann/Erdogan-Affäre wieder der alten Fussball-Regel erinnerten: Den Ball flach halten! Oder ist es wirklich vorstellbar, dass ein Narr zum Volksheld wird? Der Intendant des ZDF, Thomas Bellut, sagte Jan Böhmermann inzwischen die volle juristische Unterstützung des Senders zu. Das ist ja wohl auch nur recht und billig. Schliesslich hatte die zuständige Redaktion des ZDF den umstrittenen Beitrag vorher abgenommen und frei gegeben. Auf den berühmten Schriftsteller, Journalisten und Satiriker der 1920er Jahre, Kurt Tucholsky, geht der Ausspruch zurück, Kunst und Satire dürften alles. Das beinhaltet freilich auch das Recht (besser: die Pflicht), auf Qualität zu achten. Und genau das ist beim ZDF versäumt worden. Oder hatten die Programmmacher einfach nur Angst, als „Zensoren“ an den Pranger gestellt zu werden? Ist es, anders formuliert, eigentlich Zufall, dass Böhmermann aus dem Bereich der „Qualitäts“-Kabarettisten bislang so gut wie keine Unterstützung erhielt?
P.S.: Der Majestätsbeleidigungs-Paragraf 103 soll nun bis 2018 abgeschafft werden. Das ist auch recht so, denn er passt wirklich nicht mehr in die Zeit. In Deutschland wurde er, übrigens, das bislang letzte Mal 2007 aktiviert. Und zwar auf Antrag des Eidgenössischen Bundesamtes für Polizei (Fedpol). Dieses hatte, wie erst jetzt bekannt wurde, damals bei der Staatsanwaltschaft Regensburg Strafantrag gegen einen in Deutschland lebenden Schweizer wegen Beleidigung der damaligen Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey gestellt. Angeblich hatte dieser die Politikerin im Internet als "Die Folterschlampe zu Bern“ bezeichnet. Der Mann wurde daraufhin vom Amtsgericht Regensburg zu 50 Tagessätzen verurteilt. Das Gericht wurde seinerzeit übrigens nur deshalb tätig, weil es auch im eidgenössischen Strafrecht einen entsprechenden Tatbestand gibt…