Ihr Fall ist einer von vielen ähnlichen Taten, die zwar für mediale Aufregung sorgen, die Lage der Iranerinnen aber nicht verbessern. Der Ruf nach Veränderung wird jedoch immer lauter.
Die Todesanzeige von Romina Ashrafi beschreibt die gesellschaftliche Stellung der Iranerinnen präzise. Dort wird an sie als Tochter, Enkelkind, Schwester oder Nichte ausschliesslich männlicher Familienmitglieder erinnert – als ob die ganze Familie nur aus Männern bestünde. Da auf Todesanzeigen von Frauen im Iran keine Fotos der Verstorbenen gezeigt werden, steht dort eine rote Rose symbolisch für das Mädchen, das am 21. Mai vom eigenen Vater getötet wurde.
Wütend reagierte ein Grossteil der farsisprachigen Internetcommunity auf die Todesanzeige: „Frauen existieren im Iran nicht, ihre Identität wird nur über ihr männliches Umfeld definiert“, „Romina ist Opfer der staatlichen Diskriminierung der Frauen“.
Kein Einzelfall: Doch der Mord an Romina scheint zu einem Präzedenzfall zu werden. Die Diskussion darüber breitete sich über die Grenzen der virtuellen Welt hinaus aus und führt zu Reaktionen bei Medien und in der iranischen Politik.
Auch manche islamische Hardliner und Hardlinerinnen meldeten sich zu Wort und verlangten von der Justiz „harte Bestrafung“ des Täters. Masoumeh Zahiri, Vizechefin der Propagandaabteilung der Islamischen Schwesternseminare des Iran, ging einen Schritt weiter und kritisierte im Interview mit der Nachrichtenagentur ILNA den „Mangel an staatsbürgerlicher Bildung“: „In unserem Land werden Bildungs- und Staatsbürgerschaftsrechte vernachlässigt, unseren Kindern werden in Schulen keine Staatsbürgerschaftsrechte beigebracht, so sind sie sich ihrer Rechte und der ihrer Familien nicht bewusst.“
Die Islam-Expertin verlangte nach „Beseitigung des rechtlichen Vakuums“, damit in solchen Fällen die Kinder nicht Opfer der Selbstjustiz werden. „Das Gesetz sollte so beschaffen sein, dass keine Menschenrechte verletzt werden“, so Masoumeh Zahiri.
Milde Strafen für sogenannte Ehrenmorde
Laut iranischem Gesetz wird Mord mit Hinrichtung bestraft – nicht aber der Mord am eigenen Kind. Ein Vater oder Grossvater, der sein Kind oder Enkelkind tötet, muss zwar Blutgeld bezahlen und wird zudem eventuell zu drei bis zehn Jahren Haft verurteilt. Doch bei sogenannten „Ehrenmorden“ fällt die Strafe in der Regel milder aus.
Im Iran ist das Patriarchat Staatsdoktrin: Frauen, deren Bekleidung nicht den offiziellen Vorschriften entspricht, wurden 2013 auf den grossen Werbetafeln im öffentlichen Raum mit geöffneten Bonbons, umgeben von Ungeziefer, verglichen. Verschleierung soll die Frauen demnach schützen. Wer sich gegen die staatliche verordnete Kleiderordnung für Frauen stellt, wird bestraft.
Eifersucht und Kontrolle der weiblichen Mitglieder einer Familie werden offiziell als Ehrgefühl und männliche Tugend gelobt. Regimeanhänger beleidigen in den sozialen Netzwerken Männer, die Frauen das Entscheidungsrecht über ihren eigenen Körper und ihre Bekleidung einräumen, als ehrlos.
Der Vater von Romina Ashrafi habe sich demnach richtig verhalten und seine Ehre verteidigt, argumentieren einige Nutzer und Nutzerinnen in den sozialen Netzwerken.
Auch für die im Iran gesetzlich erlaubte Polygamie von Männern wird geworben. Ein entsprechendes Poster löste im vergangenen November kontroverse Diskussionen aus.
Kinderheirat und Pädophilie
Ein anderer kontrovers diskutierter Aspekt der Debatte um den Mord an Romina Ashrafi ist das Recht von Frauen auf eine Liebesbeziehung zu einem Mann.
Ein 14-jähriges Mädchen dürfe keine Beziehung haben und mit einem Mann weglaufen, rechtfertigen einige Nutzer die Reaktion des Vaters. Andere geisseln Rominas Partner – Berichten zufolge 25 Jahre älter als das Mädchen – als pädophil und hinterfragen sein Verhältnis zu dem jungen Mädchen. Sind dann Ehemänner bei den im Iran erlaubten Kinderehen pädophil, fragen wieder andere Nutzer.
Im Iran liegt das gesetzliche Heiratsalter für Mädchen bei 13 Jahren, für Jungen bei 15. Eltern von jüngeren Mädchen können von einem Richter deren „Heiratsreife“ bestätigen lassen.
„Die Reformisten sind schuld“
Und die Diskussion im Netz zeigt Wirkung bis in höchste Kreise der iranischen Politik. „Den Mord an Romina Ashrafi haben diejenigen zu verantworten, die mit falscher Bildungspolitik (2030) und fehlender Kontrolle über die sozialen Netzwerke eine sexuelle Frühreife der Jugendlichen herbeigeführt haben“, twitterte etwa Kobra Khazali am 26. Mai. Die Tochter eines erzkonservativen Geistlichen ist Mitglied des staatlichen Rates für Frauen und Familie und stellt sich in ihrem Twitter-Account als Aktivistin für Frauen- und Familienrecht vor.
Mit 2030 weist sie auf die 2015 verabschiedete globale Bildungsagenda der UNESCO „Bildung 2030“ hin, die unter anderem dazu verpflichtet, den Zugang zu Bildung für alle Kinder und Menschen unabhängig vom Geschlecht und Religion, zu sichern. Im Iran wurde sie nach heftigem Streit zwischen konservativen Institutionen und der Regierung 2017 ad acta gelegt.
Auf Kritik der Hardliner war die in der Agenda geforderte Gleichstellung der Geschlechter gestossen, die laut UNESCO „alle Frauen und Mädchen zur Selbstbestimmung befähigen“ soll. Konservative bewerten dies als Verstoss gegen islamische Normen.
Selbst Irans Präsident Hassan Rouhani äusserte am 27. Mai während einer Kabinettssitzung sein Bedauern über den Mord und verlangte eine schnellere Bearbeitung eines Gesetzentwurfs gegen Gewalt gegen Frauen.
Der Entwurf wurde bereits vor knapp acht Jahren von der Regierung aufgesetzt. Nach langer Auseinandersetzung schickte ihn die Justiz im vergangenen September zwecks Verbesserung an die Regierung zurück. Danach muss er noch vom Parlament verabschiedet und vom Wächterrat ratifiziert werden.
Auch der iranische Vizejustizminister Mahmoud Abbasi äusserte sich zu dem Mord und kritisierte den Vater, „der noch im Mittelalter lebt und seine Tochter als sein Eigentum betrachtet“. Abbasi verlangte „eine harte Strafe für das schreckliche Verbrechen“.
Mit freundlicher Genehmigung Iran Journal