Jeder, der in der Schweiz oder anderswo ein katholisches Internat besucht hat, weiss Geschichten von übergriffigen Patres zu erzählen. Nicht erst heute, immer schon und früher mehr denn je. Es gehörte zum System und hatte nur selten Folgen. Alle wussten davon, die meisten schwiegen, und ganz oben wollte man davon keine Ahnung gehabt haben.
Damit ist jetzt Schluss. Niemand kann mehr behaupten, nichts zu wissen, die Äbte nicht, die Bischöfe und Kardinäle nicht und auch nicht der Papst. Dieser hat nun die Vorsitzenden der nationalen Bischofskonferenzen und Ordensoberen nach Rom zu einem Krisengipfel geladen. Derzeit wird getagt und beraten, was zu tun sei, damit die Übergriffe aufhören und das Vertuschen ein Ende hat. Der Ausgang ist offen. Mehr als Betroffenheit, Appelle und im äussersten Fall ein kollektives „Mea culpa“ sind allerdings kaum zu erwarten.
Und es ist mehr als fraglich, ob die hohen Herren bereit sind, den Wurzeln allen Übels auf den Grund zu gehen. Denn dann müssten sie zugeben, dass es sich bei dem vielhundertfachen sexuellen Missbrauch von Minderjährigen und Schutzbefohlenen, von Klosterschülern, Nonnen und Seminaristen nicht um Verfehlungen Einzelner handelt, sondern um einen Grundfehler des Systems: eines Systems, das keine Gewaltentrennung kennt und auf Machtmissbrauch und sexueller Unterdrückung beruht.
Hier müssten Reformen ansetzen, wenn sie Sinn machen sollten. Es müsste ein für allemal Schluss sein mit internen Regelungen. Es müsste ein für allemal Schluss sein mit dem Zwang zu Enthaltsamkeit und der Unterdrückung der eigenen Sexualität. Das heisst: Sexueller Missbrauch gehört in jedem Fall vor ein weltliches Gericht. Und der Zwangszölibat für Priester und Ordensleute ist abzuschaffen. Nur so könnte sichergestellt werden, dass den Opfern Gerechtigkeit widerfährt. Und nur so könnte das kranke und krankmachende System gesunden.