Wenngleich es viel mehr Probleme mit einem «Yes» gegeben hätte, sind die Probleme mit dem «No» nicht zu unterschätzen. Der britische Premierminister Cameron hat schon am Freitag feierlich die Zusagen für mehr schottische Autonomie in der Steuer-, Wohlfahrts- und Bildungspolitik bestätigt. Diese werden schnell vorgelegt, können aber erst nach den britischen Parlamentswahlen von 2015 verabschiedet werden – mit oder ohne Cameron. Grossbritannien auf dem Weg zu einem Föderalismus?
Nationen im United Kingdom
Wales hat schon erklärt, es werde da nicht die zweite Geige spielen. Cameron seinerseits fordert, dass die englischen Abgeordneten im Westminster-Parlament endlich allein über ihre Anliegen abstimmen können. Denn bisher stimmen die schottischen Abgeordneten auch über englische Regionalprojekte oder Steuererhöhungen ab (die Engländer aber nicht über schottische), weil die Engländer – mit Ausnahme der rechtsextremen United Kingdom Independent Party – es hochnäsig ablehnen, eine eigene Nation im United Kingdom zu werden wie Schottland, Wales und Nordirland.
Das ist die sogenannte West-Lothian-Frage, die niemand versteht und die auch nicht wichtig ist, aber über die noch ewig diskutiert werden wird. So wie auch über den Finanzausgleich – «Barnett-Formel» genannt – zwischen der Zentralregierung und den Regionen.
Lauter Gewinner
Nun glauben die einen, dass die Scottish National Party (SNP) trotz der Niederlage viel gewonnen hat, nämlich mehr Autonomie. Was das genau bedeutet, ist noch nicht klar. Der Erste Minister von Schottland und Chef des SNP, Alex Salmond, der 2016 eine Neuwahl überstehen muss und nicht mehr unangefochten ist, hat erklärt, dass die Unabhängigkeit nur «zurzeit» noch nicht angenommen wurde, aber immer mehr Unterstützung habe.
28 von 32 Wahlkreisen haben sie bei einer hohen Beteiligung von 85 Prozent jedoch verworfen, auch der Wahlkreis von Salmond. In der Wirtschaftsmetropole Glasgow gewann das «Ja», wie auch in übrigen halbstädtischen Siedlungen, nicht aber in der kosmopolitischen Hauptstadt Edinburg. Bei solchen Zahlen ist es unehrlich zu erzählen, dass die Pensionierten, die um ihre britische Rente bangen, den Ausschlag gegeben hätten. Eher war es ein Mix aus Geschichte (307 Jahre Union mit England), Demagogie der SNP und vor allem unklaren Perspektiven.
Die EU ist erleichtert: ein kompliziertes Aufnahmegesuch weniger; die Nato auch: die Stützpunkte für die britischen atomaren U-Boote bleiben in Schottland. Das Pfund stärkte sich, um sofort wieder runterzufallen, aber die Royal Bank of Scotland (noch vor kurzem vom britischen Schatzamt gerettet) will jetzt zusammen mit Lloyds in Schottland bleiben, ein zuverlässiger Patriotismus also.
Föderalistische Lehren nach Belieben
Spanien jubiliert gegen Katalonien, das an seinem vorläufig noch illegalen Unabhängigkeits-Referendum vom November festhalten will. Aber Schottland konnte abstimmen, was Katalonien und dem Baskenland verwehrt wird. Hingegen bot Spanien autonome Konzessionen an, die ausbaubar sind, und seinen Regionen, die ihre eigene Sprache (wer spricht noch Gälisch in Schottland?), Kultur und Geschichte haben, theoretisch alles zugestehen könnte ausser der Aussenpolitik, dem Militär und der Geldhoheit.
Geht Europa auf Föderalismen zu fast so wie in amerikanischen Bundesstaaten – im einen Todesstrafe, im anderen Recht auf Abtreibung – oder in Schweizer Kantonen? Nur, was hier als ein Zuviel empfunden wird, ist dort noch nicht annähernd erreicht oder überhaupt gewollt. Somit gäbe es unterschiedliche föderalistische Lösungen für die Flamen, die Quebecois in Kanada, die schon zwei erfolglose Unabhängigkeits-Referenden hinter sich haben, die Norditaliener und alle anderen selbstbewussten oder eigensinnigen Regionen, die aus unterschiedlichen Gründen – Streit um Finanzausgleich in den meisten Fällen – sich für etwas Besseres halten und dafür auch die EU zersprengen könnten.
Das pro-europäische Schottland, das nicht so denkt, hat seit je als grossen Trostpreis: eine eigene nationale Fussballmannschaft, von der Fifa als Unikum anerkannt aus Dank für die britische Erfindung des Fussballs.