Während das israelische Parlament vorhat, am Dienstag einen Immunitäts-Antrag von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu gegenüber drei Korruptionsklagen zu behandeln, und US-Präsident Donald Trump weiterhin Zielscheibe eines Amtsenthebungsverfahrens ist, sind beide Politiker offenbar zu dem Schluss gekommen, dass eine Ablenkung von solch unangenehmen Tagesordnungspunkten dringend nötig ist. Dies umso mehr, weil in beiden Fällen Wahlen anstehen: In Israel am 2. März (zum dritten Mal binnen eines Jahres), in den USA acht Monate später.
Trump wie Netanjahu scheint aber auch klar zu sein, dass sie sich mangels politischer Erfolge in letzter Zeit schon etwas Besonderes würden einfallen lassen müssen. Sie verfielen auf das Thema „Frieden in Nahost“, lösten damit aber sofort heftige Diskussionen aus und den Vorwurf, Trump wolle Netanjahu bei dessen dritten Anlauf zum Sieg verhelfen und sich selbst dabei als „bester Freund Israels“ profilieren.. In der Sache selbst aber haben sie das Thema bisher kaum weitergebracht als bisher, eher im Gegenteil:
Zweifel
Als „Jahrhundertwerk“ mit Vorschuss-Lorbeeren bedacht, hat ein Nahost-Friedensplan des amerikanischen Präsidenten Donald Trump in den zurückliegenden Jahren immer wieder Schlagzeilen gemacht, ohne freilich die Region dem erklärten Ziel auch nur einen Schritt näher zu bringen: Die wenigen Punkte, die bisher bekannt wurden, waren eher geeignet, Zweifel an dem Machwerk aufkommen zu lassen und zu verstärken, für das in erster Linie Trumps Schwiegersohn, Jared Kushner, verantwortlich zeichnet.
So zeigte eine von Kushner in Bahrein organisierte Nahost-Wirtschaftskonferenz vor Monaten, dass dieser „Frieden“ mit „wirtschaftlichem Wohlstand“ gleichsetzt und so liessen auch verschiedene politische Entscheidungen der Trump-Verwaltung ahnen, dass Washington unter diesem Präsidenten in der Frage des israelisch-palästinensischen Konflikts einen vorbehaltloseren Pro-Israel-Kurs als alle ihre Vorgänger-Regierungen verfolgt.
Jubelnde nationalistische Kreise
Zum Beispiel hat Washington unter Trump mit grosser Verspätung die israelische Annektierung der syrischen Golan-Höhen von 1981 anerkannt, es hat 2018 seine Botschaft von Tel-Aviv nach Jerusalem verlegt und damit Israels Anspruch auf die gesamte Stadt akzeptiert und es hat erklärt, dass es die israelische Siedlungspolitik in den 1967 eroberten Gebieten nicht als völkerrechtswidrig betrachte. Was letztlich zumindest im Hintergrund dazu führte, dass der Internationale Strafgerichtshof (ICC) im Haag sich mit dem Vorwurf israelischer Kriegsverbrechen in den Palästinensergebieten beschäftigt.
Trump hatte Netanjahu bereits vor geraumer Zeit zu verstehen gegeben, dass er nichts gegen eine Annektierung weiter Teile dieser Gebiete unternehmen werde und der israelische Regierungschef – obwohl eigentlich nur „Übergangs-Premier“ wegen der letzten misslungenen Wahlen – versuchte prompt, hieraus politisches Kapital zu schlagen: Der Chef der rechten „Likud“-Partei kündigte an, dass er grosse Teile der Westbank annektieren wolle. Obwohl rechte nationalistische Kreise jubelten, erhielt Netanjahu aber auch bei den letzten Wahlen nicht ausreichend Stimmen, um eine Regierung bilden zu können. Aber Trump scheint seitdem zu glauben, dass er den Rechten in Israel zum Wahlsieg verhelfen müsse, um das Israel-Palästina-Problem „abhaken“ zu können.
Internationale Kritik
Ein verhängnisvoller Denkfehler, denn die Palästinenser spielten – und spielen – in diesem Drehbuch keine Rolle. Nicht nur, weil Palästinenserpräsident Abbas den Umgang mit Washington wegen Trumps Voreingenommenheit für Israel meidet, sondern weil längst feststeht, dass die Annektierung weiter palästinensischer Gebiete nur auf dem Grab der „Zweistaaten-Lösung“ geschehen kann – dem bisher einzigen international anerkannten Konzept einer Friedensregelung.
Und es dürfte auch dem letzten Israeli klar sein, dass die Ausweitung der Annektionspolitik auf das Westjordanland Israel internationale Kritik einbringen und es in Widerspruch zum Völkerrecht bringen wird. Egal, was US-Präsident Trump dazu meint. Auswirkungen auf die breite Bevölkerung und Wählerschaft dürfte es auch nicht haben, denn Umfragen haben längst ergeben, dass eine breite Mehrheit der Israelis längst der Meinung ist, ein Recht auf das gesamte Gebiet westlich des Jordan zu haben. Eine Einstellung, die den Israelis von den Anfängen im Kindergarten über die Schulzeit und natürlich auch den Militärdienst anerzogen wird.Bei denen einen drückt sich dies durch Militanz aus, bei anderen ist vorsichtiges Taktieren spürbar. Selbst in der Regierung Netanjahu: Um allzu scharfe internationale Reaktionen zu vermeiden, spricht man da lieber von der „Ausdehnung israelischer Souveränität“ statt von „Annektierung“ und davon, dass es vorerst ja „nur“ um die jüdischen Siedlungen dort gehe.
Viele neue Probleme
Ein schwaches Argument, denn in der Gegend solcher Siedlungen leben oft mehr Palästinenser als Israelis und wenn diese Palästinenser unter israelische Souveränität kämen, müssten sie auch eingebürgert werden. Das aber will eine Mehrheit in Israel vermeiden, denn man will ja „der jüdische Staat“ bleiben. Hinzu kommen andere juristische Probleme: Unter israelischer Souveränität gilt zum Beispiel israelisches Recht, in palästinensischen Orten gilt jordanisches Recht (Jordanien kontrollierte die Westbank bis 1967) und andere palästinensische Gegenden unterstehen der „Zivilverwaltung“ des israelischen Militärs. Die Anzahl der hieraus entstehenden Probleme ist unüberschaubar. Sicher ist nur, dass ein friedliches Zusammenleben auf Dauer kaum möglich sein dürfte.
An solche Dinge dachte man in Washington sicher nicht, als es vergangenen Donnerstag plötzlich hiess, Donald Trump werde am Dienstag Benjamin Netanjahu und den Führer der konkurrierenden „Blau-Weiss“-Bewegung, Benny Gantz, empfangen und mit ihnen über das „Jahrhundertwerk“ einer Friedensregelung sprechen. Für Netanjahu eine willkommene Unterstützung im Wahlkampf, deswegen legte er „noch eins drauf“: Er liess wissen, dass er vorgeschlagen habe, auch Gantz einzuladen. Quasi als unerfahrenen Politik-Lehrling im Schatten des grossen Meisters …
Unklare Haltung von Benny Gantz
Gantz reagierte irritiert: Zunächst wollte er absagen, dann besann er sich eines Besseren: Er werde sich am Montag alleine mit Trump treffen und dann zurückfliegen, um bei der Knesset-Sitzung über Netanjahus Immunitätsantrag aufzutreten. Auch Gantz aber irritierte einen Teil seiner Anhänger, als er wiederholte, was er vorher bereits gesagt hatte: Dass er selbst auch für die Annektierung palästinensischer Gebiete entlang des Jordans und in der Westbank sei. Immerhin aber fügte er hinzu, dies müsse aber mit Jordanien abgestimmt sein. In Amman dürfte sich niemand dafür hergeben, zumal das Verhältnis zwischen Israel und Jordanien trotz des 1994 geschlossenen Friedensvertrages in letzter Zeit zusehends belastet ist.
Sollte Trumps Einmischung in den israelischen Wahlkampf zur Stärkung Netanjahus und der angekündigten Gebietsannektierung führen, dann droht dadurch auch der Frieden über den Jordan hinweg in Gefahr zu geraten. Wenn nicht sogar zu scheitern.