Er hat als Zeichner und Grafiker, vor allem aber als Lehrer an der Kunstgewerbeschule Zürich tief in die Gemeinschaft der Künstler hineingewirkt. Sie hat als Illustratorin von Natur-, Tier- und Kinderbüchern enorme Popularität erlangt. Jetzt erinnert eine Doppelbiografie an Walter und Pia Roshardt.
Als Pia Meinherz 1892 als Tochter eines Lehrers im st. gallischen Niederuzwil geboren wird, steht in der Ostschweiz die Textil- und Stickereiindustrie in voller Blüte. Für sie müssen Muster entworfen und Mitarbeiterinnen geschult werden. Es ist der Weg, den Pia Meinherz zunächst einschlägt: In St. Gallen besucht sie die so genannte Blumenmalerschule von Johannes Stauffacher, welche die Stickerei-Industrie mit Dessins versorgt. Sie arbeitet als Entwerferin für das Stickerei-Unternehmen Labhard & Cie, und sie unterrichtet an der Textilfachschule des Industriemuseums –, wo sie den fünf Jahre jüngeren Walter Roshardt kennen lernt. Es ist die Geburtsstunde eines Paars, das die Kunst des 20.Jahrhunderts über Jahrzehnte mitprägt, das aber nach dem Tod von Walter (1966) und Pia Roshardt (1975) in Vergessenheit gerät.
Der schriftliche Nachlass fehlt
Aus ihr hat es jetzt der Historiker Adrian Knoepfli mit seiner Doppelbiografie «Roshardt und Roshardt – Zwei Leben für die Kunst» geweckt, was nicht ganz einfach war. Denn zwar hat sich mit dem Roshardt-Sammler Ulrich E. Gut ein Mäzen gefunden, der das Projekt in Auftrag gegeben hat. Aber es hat sich herausgestellt, dass der schriftliche Nachlass des kinderlosen Paars verschwunden ist und bleibt. Die Erinnerungen und Dokumente, die Knoepfli mit enormem Fleiss gesammelt und mit zahlreichen Gesprächen ergänzt hat, geben zwar Einblick in das Leben der Roshardts und in ihre Zeit, lassen sie uns aber nicht so ganz nahe kommen.
Glücklicherweise gibt es ihre Kunst. Und glücklicherweise gibt es die Gemeinde Uzwil, wo der Verwaltungsleiter Thomas Stricker 2015 begonnen hat, systematisch die Zeichnungen von Pia Roshardt zu sammeln. Zunächst mit denkbar magerem Ergebnis, dann mit immer grösserem Echo. «Insgesamt sind es gut 150 Originale», sagt Stricker, der Pia Meinherz-Roshardt im Gemeindehaus einen eigenen Raum eingerichtet hat. «Viele grossformatige Zeichnungen und Tuschezeichnungen durften wir als Schenkungen fürs Archiv übernehmen.»
«Ohne ihren Trend mitzugehen»
Als Pia Meinherz Walter Roshardt kennen lernt, den sie 1941 heiraten wird, hat dieser nach künstlerischen Studien an den Kunstgewerbeschulen St. Gallen und Zürich schon sein Talent als Zeichner und Grafiker erkennen lassen. 1921 zieht das Paar nach Berlin, kommt 1923 im deutschen Krisenjahr zurück und lässt sich in Zürich nieder. Wo Walter Roshardt – neben seiner Arbeit als Illustrator und Grafiker – an der Kunstgewerbeschule über vierzig Jahre mit nie nachlassender Begeisterung und beeindruckendem Temperament Generationen von Studierenden prägt, wie Adrian Knoepfli mit zahlreichen Stimmen belegt.
«Er liebte das Gespräch, war nicht nur Lehrer für Naturstudien, sondern öffnete uns Jungen neue geistige Horizonte», erinnert sich später etwa der Maler Otto Tobler. Und, fügt er hinzu, «vor allem war Walter Roshardt ein grossartiger Zeichner, der natürlich Daumier bewunderte». Ein weiterer Schüler, Paul Pfister aus Thun, zitiert 1993 Roshardt in einem Leserbrief: Wer nur in der Gegenwart beheimatet sei, könne keine zeitüberdauernde Kunst schaffen. Roshardt sei mit vielen Vertretern der Avantgarde befreundet gewesen, «ohne ihren Trend mitzugehen».
«Eine Erscheinung mit Noblesse»
Die grösste Freude hat Walter Roshardt an «möglichst zart empfundenen, sauber ausgeführten und genauen Zeichnungen», stellt ein dritter Schüler fest. Das verbindet ihn mit seiner Frau, die sich vom Textilen emanzipiert und ihre eigene Karriere einschlägt. Und die der befreundete Galerist Kurt Meissner so beschrieben hat: «Grosse braune Augen, welche meist glücklich in die Welt blickten, schöne, helle, klare Stimme mit herrlichem Lachen, eine Erscheinung mit Noblesse wie ihre Kunst, welche man nicht vergisst.» Diese Kunst, schreibt der Erfolgsautor Richard Katz, dessen Buch «Übern Gartenhag» sie illustriert, verbinde «Anmut mit geradezu Dürerscher Präzision».
Mit der Illustration von Sach- und Kinderbüchern, mit Pflanzen- und Tierzeichnungen, mit Plakaten, Kartenspielen, von ihr entworfenen Grusskarten von Hilfswerken und sogar Briefmarken findet die subtile Kunst von Pia Roshardt weiteste Verbreitung.
Enorm ist der Detailreichtum ihrer Zeichnungen, die sie ohne zu zögern auch über die Massenmedien verbreitet – während ihr Mann sich Ausstellungen seiner Werke eher widersetzt. Spitzenauflagen erreicht etwa das von Pia Roshardt illustrierte Kräuterheilbuch von Pfarrer Johann Künzle. Gern setzt sie ihre Talente auch für Kampagnen etwa zum Schutz der Umwelt ein, während ihr Mann als Lehrer, Grafiker, Zeichner, politischer Kopf und ausgesprochener Charmeur ein dichtes Netz von Beziehungen knüpft. Auch zu Frauen. Eine von ihnen, die ihm Modell steht, wird zu seiner Freundin. Eine Ménage-à-trois beginnt, unter der Pia Roshardt sehr gelitten habe, stellt Adrian Knoepfli fest.
Mit Bührle in der Sammlungskommission
Der politische Kopf zeigt sich im Verhältnis zur frühen Sowjetunion, die Walter Roshardt mit dem Fotoapparat bereist und bewundert. «Er pflegte sich neben uns zu stellen», erinnerte sich später der Bildhauer Otto Müller an den Unterricht, «und während er unsere Arbeit begutachtete, begann er von Gottfried Keller zu sprechen … und endete jedes Mal, aber auch immer, bei Lenin.» Rege engagiert er sich, etwa zusammen mit dem Cellisten Pablo Casals in der Unterstützung der republikanischen Seite im spanischen Bürgerkrieg.
Dogmatisch allerdings ist Walter Roshardt dabei nie, sondern, wie Knoepfli schreibt, «wohl eher ein Freigeist als ein Mann fürs parteipolitische Korsett». Der, noch dazu, auf der bürgerlichen Seite wohlgelitten ist: Von 1943 an sitzt er zusammen mit dem Waffenproduzenten Emil Bührle in der Sammlungskommission des Kunsthauses. Man hätte gerne gewusst, worüber die beiden in den Pausen miteinander geredet haben.
Adrian Knoepfli: Roshardt und Roshardt – Zwei Leben für die Kunst. Verlag Hier und Jetzt, 2023, 270 Seiten