Am Samstag hatten sich ranghohe Diplomaten der »5+1« in Istanbul mit dem iranischen Unterhändler Said Dschalili getroffen. Die Sprecherin der Sechsergruppe, die EU-Aussenbeauftragte Catherine Ashton, bezeichnete die Gespräche als »konstruktiv und nützlich«. Tags darauf fielen die Ölpreise.
Laut Lady Ashton gibt es jetzt »genügend Substanz«, um beim nächsten Treffen am 23. Mai in Bagdad »konkrete Schritte in Richtung auf eine umfassende Verhandlungslösung« in Angriff zu nehmen, »welche das internationale Vertrauen in die ausschliesslich friedliche Natur des iranischen Nuklearprogramms wiederherstellen«.
Erfolg der Drohungen Israels?
Solche Worte hat man schon lange nicht mehr gehört. Die vorletzte Verhandlungsrunde vor 15 Monaten endete in einem totalen Fiasko. Seither führt Teheran die Anreicherung von Uran unvermindert fort. Mehrere Berichte der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) in Wien beschuldigten die iranische Regierung, Fakten bezüglich »einer möglichen militärischen Dimension« ihres Nuklearprogramms zu verheimlichen.
Es ist nicht ganz von der Hand zu weisen, dass der plötzliche Optimismus etwas mit den Drohungen Israels zu tun hat, die iranischen Nuklearanlagen anzugreifen. Den Scharfmachern in Jerusalem soll der Wind aus den Segeln genommen werden. Israels Premier Benjamin Netanjahu bezeichnete den Ausgang der Gespräche in Istanbul auch umgehend als ein »Werbegeschenk« an Iran.
Sorgfältige Absprache im Sicherheitsrat
In einen neuen Krieg im Nahen Osten hineingezogen zu werden, wäre das letzte, was sich US-Präsident Barack Obama in diesem Wahljahr wünscht. Seine politischen Gegner und die Israel-Lobby warten nur darauf, ihm mangelnde Solidarität mit dem jüdischen Staat vorwerfen zu können. Schon jetzt unterstellt ihm sein republikanischer Rivale Mitt Romney einen Schmusekurs mit den Ayatollahs in Teheran. Diese Anschuldigungen werden wohl in nächster Zeit zunehmen.
Die Iraner haben in Istanbul von ihren Verhandlungspartnern keinerlei Zugeständnisse erhalten, ausser dass ihrem Wunsch entsprechend die nächste Runde in Bagdad stattfinden wird. Ihrem Drängen nach einer Lockerung der vom Weltsicherheitsrat und einzelnen Staaten verhängten Wirtschaftssanktionen stimmten nicht einmal Russland und China zu. Die fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats und Deutschland hatten sich sorgfältig abgesprochen und zogen am gleichen Strang.
Sanktionen bleiben vorerst bestehen
Ein Konferenzteilnehmer erzählte, dass der iranische Chefdelegierte den Russen für ihre Unterstützung danken wollte. Sein russischer Kollege Sergej Rybakow habe darauf geantwortet: »Es besteht kein Grund, Russland zu danken. Iran sollte aber tun, was wir für notwendig erachten.«
Ein leitendes Mitglied der US-Delegation erklärte: »Ein Dialog allein reicht nicht aus, die Sanktionen gegen Iran zu lockern. Es müssen konkrete Schritte folgen. Wir glauben zwar, dass sich eine dienliche Atmosphäre entwickelt hat, aber wir müssen das noch testen.«
Die Iraner sind jetzt erstmals seit Jahren bereit, über alle Aspekte ihres Nuklearprogramms zu sprechen. Zuvor hatten sie diese angeblich nur friedlichen Zielen dienenden Tätigkeiten als »unverhandelbar« bezeichnet. Als Gegenleistung für dieses Einlenken bestätigte die Sechsergruppe das ohnehin im Atomwaffensperrvertrag verbriefte Recht Irans auf die zivile Nutzung der Kernenergie.
Spiel auf Zeitgewinn
Die Verhandlungen über das iranische Nuklearprogramm begannen vor zehn Jahren, nachdem herausgekommen war, dass die Iraner 18 Jahre lang bei Natanz eine geheime Urananreicherungsanlage betrieben und damit den Atomwaffensperrvertrag brachen. Iran machte in diesen Verhandlungen mehrmals Zugeständnisse, die sie aber stets wieder zurücknahmen. Es wurde klar, dass Teheran vor allem auf Zeitgewinn spielte, während die Zentrifugen zur Anreicherung von Uran auf Hochtouren liefen.
Derzeit besitzt Iran Bestände an bis zu 20 Prozent angereichertem Uran, die die Bedürfnisse bestehender und auch künftiger Reaktoren bei weitem übersteigen. Vom der Atomwaffenkapazität sind die Iraner aber noch ein Stück entfernt. Dafür müssten Uran auf mindestens 90 Prozent angereichert und Sprengköpfe angefertigt werden. Nach vorherrschender Meinung der westlichen Regierungen und Geheimdienste versucht das Regime in Teheran, die technischen Voraussetzungen für Atomwaffen zu schaffen, hat aber bisher noch keine Entscheidung über ihren Bau getroffen.