«Lobbyist» mutiert immer mehr zum Schimpfwort. Wer sich nicht in der Branche auskennt, muss denken, dass da im Halbdunkel dubiose Figuren gestressten und um die richtigen politischen Entscheidungen bemühten Parlamentarierinnen und Parlamentariern Falschheiten zuflüstern und ihr Vertrauen missbrauchen.
Nach der Kasachstan-Affäre ziehen sich nun erste Lobbyisten aus dem Bundeshaus zurück und geben ihren Göttiausweis ab. Göttiausweis? Tatsächlich existiert in der Schweiz eine Regel, wonach jedes gewählte Mitglied des Parlaments zwei Zutritte an Aussenstehende gewähren kann, die nicht die üblichen Bedingungen erfüllen müssen, um überhaupt Zutritt ins Bundeshaus zu erhalten. Es sind eigentliche GAs fürs eidgenössisiche Machtzentrum in Bern. Neben Exoten wie Rocksänger, Poker- und Polospieler stehen verständlicherweise Familienmitglieder oben auf der Beliebtheitsskala.
Intransparenz total
Dann kommen aber sehr schnell die Interessensvertreter, die Lobbyisten. Die Namen der Inhaber einer solchen Dauergästekarte sind zwar auf einer Liste einsehbar, nicht aber ihre Interessen und allfälligen Mandate. Intransparenz total. Und das passt. Denn die ganze Diskussion und Aufregung rund um Lobbyisten und ihre Manipulationen unschuldiger, naiver Politikerinnen und Politiker ist an Heuchelei kaum zu überbieten.
Das aktuelle Register der Interessenverbindungen listet allein für die Mitglieder des Ständerates über 500 Verbindungen auf. Jeder Politiker ist per se Lobbyist. Das ist völlig in Ordnung. Nicht in Ordnung ist jedoch, dass sich die Politiker bisher dagegen gewehrt haben, die Transparenz zu verbessern und das Lobbytool «Göttiausweis» über Bord zu werfen. Es war ausgerechnet der Verband der Schweizer Lobbyisten, die SPAG, der vor einigen Jahren mehrmals versucht hat, das System abzuändern und durch eine Lösung zu ersetzen, die den internationalen Gepflogenheiten entspricht. Der fundierte und begründete Lösungsvorschlag wurde schon in den beratenden Kommissionen der Räte abgeschossen.
PR-Gau für Marie-Louise Baumann
Wer ins nationale Parlament gewählt wird und sich dann von einem externen Lobbyisten über den Tisch ziehen lässt, ist entweder naiv oder hat seine Funktion und seine Macht nicht verstanden. Wer freilich als Lobbyist glaubt, er könne einen Politiker über den Tisch ziehen und damit auf die Dauer durchkommen, der erlebt den PR-Gau garantiert so wie jetzt Marie-Louise Baumann. Sie konnte heute nur noch die letzte Karte ziehen und sich öffentlich bei FDP-Nationalrätin Christa Markwalder entschuldigen, die sich ihrerseits auch unter Einsatz der letzten Karte gestern öffentlich entschuldigt hat. In den USA ist damit meist das Gröbste überstanden. Zerknirscht «Mea culpa» sagen, auf Tauchstation gehen und Gras über die Sache wachsen lassen ist in solchen Situationen die PR-Strategie der Wahl.
In diesem Fall jedoch ist das Thema «Transparenz» einmal mehr ins Rampenlicht geraten. Erneut versuchen Politiker, die Schuld auf die bösen Lobbyisten zu lenken – oder zeigen mit dem Finger auf Ratskollegen – und weigern sich, das Göttiausweis-System endlich zu beerdigen und Transparenzregeln einzuführen, die eines Parlaments würdig sind. Wenn ihnen das erneut gelingt, dann ziehe ich den Hut vor dieser PR- und Lobbying-Meisterleistung und kann nur sagen: «ein Hoch auf die Heuchler!»