Wozu noch Bücher, wo es doch jetzt das Internet gibt? Wozu noch Literatur, wo wir uns doch längst in digitalen Welten bewegen? Fragen wie diese warf der Schriftsteller Lukas Bärfuss gut gelaunt in die Runde, die sich zur Neueröffnung des Strauhofs auf dem abschüssigen Plätzchen vor der Augustinergasse 9 eingefunden hatte. Lukas Bärfuss ist Vorstandsmitglied des Vereins Literaturmuseum, der nach dem Ausstieg der Stadt Zürich die Verantwortung für die Führung des Strauhofs übernommen hat. Und natürlich hatte er auch gleich die Antwort auf die selbstgestellten Fragen bereit. Literatur braucht es, und Bücher braucht es, weil sie Gemeinschaft stiften und Menschen davor bewahren, sich in den Untiefen der virtuellen Welt aus den Augen zu verlieren.
Der Widerstand, der sich nach der von der Stadt beschlossenen Schliessung des Zürcher Literaturmuseums – des einzigen seiner Art in Europa – regte, ist der beste Beweis dafür, dass weder das Buch noch die Literatur im klassischen Sinne obsolet geworden ist. Dies mussten schliesslich auch Zürichs Stadtpräsidentin Corine Mauch und ihr Kulturchef Peter Haerle einsehen, die das Literaturmuseum zugunsten eines Schreiblabors für Schüler (JUL) hatten preisgeben wollen. Die Intensität und Breite des Widerstandes hätten ihr zu denken geben, sagte Corine Mauch in ihrer Rede anlässlich der Neueröffnung und gab damit indirekt zu, dass die ursprünglich geplante Schliessung ein Fehler gewesen war.
Gerettet
Nun, die Stadt ist noch einmal über die Bücher gegangen: Der Strauhof ist gerettet, und das JUL hat an der Bärengasse eine passende Bleibe gefunden. Entsprechend gross waren an diesem 25. September die Erleichterung auf Seiten der Stadt und die Befriedigung und Dankbarkeit bei denen, die nun für Leitung und Betrieb des neu-alten Strauhofs verantwortlich sind: allen voran Gesa Schneider und Rémy Jaccard, die gemeinsam die Leitung des Hauses übernommen haben, aber auch Christoph Wittmer, der als Präsident der Museumsgesellschaft hinter der neuen Trägerschaft steht.
Wohin die Reise inskünftig gehen soll, war an diesem Eröffnungsabend erst zu erahnen: „Mars – Literatur im All“ lautet der Titel der ersten Ausstellung, die in Kooperation mit Philipp Theisohns Projekt „Conditio extraterrestris“ entstanden ist. Es folgt im Februar, anlässlich des Dada-Jubiläums, eine Präsentation des Schriftstellers Friedrich Glauser. Und schliesslich nimmt man die im Sommer 2016 in Zürich stattfindende Kunst-Biennale „Manifesta“ zum Anlass, sich literarisch mit dem Thema Anarchismus auseinanderzusetzen. Bei aller Verschiedenheit ist den drei Projekten einiges gemeinsam: Sie haben einen Bezug zur Aktualität, sie entstehen in Kooperation mit anderen Institutionen und Veranstaltern, und sie sind von einem vielfältigen Rahmenprogramm begleitet, das über die engen Grenzen des Hauses hinaus ausstrahlt.
Kein Museum im eigentlichen Sinn
Der Strauhof will denn unter der neuen Leitung auch kein Museum im eigentlichen Sinne mehr sein, sondern ein Ort, an dem Literatur mit den verschiedensten Sparten, Gattungen und Erscheinungsformen von Kultur in Interaktion tritt. Bestes Beispiel dafür die aktuelle Ausstellung über den Planeten Mars, der nie nur ein Objekt wissenschaftlicher Betrachtung war, sondern von jeher auch die Phantasie von uns Erdenbewohnern beflügelt hat. Wie kein anderer Himmelskörper hat er als Projektionsfläche unserer Ängste, Hoffnungen und Visionen in die Literatur Eingang gefunden und auch im Film seine ganz eigenen Spuren hinterlassen.
Man braucht deshalb gar kein ausgesprochener Science-Fiction-Fan zu sein, um diese Ausstellung zu geniessen und sich vom Einfallsreichtum der Ausstellungsmacher zu einer vertieften Auseinandersetzung mit dem Phänomen des Extraterrestrischen anregen zu lassen. Denn eins ist sicher: Wie weit die Reisen und wie kühn die Utopien auch sein mögen – man landet letztlich immer wieder bei sich selbst und seiner ganz und gar irdischen Conditio humana. Nicht zuletzt dieser Einsicht wegen lohnt sich der Gang durch die Schau, die uns am Ende sogar die Enge der Räumlichkeiten und die Beschränktheit der zur Verfügung stehenden Mittel vergessen lässt. Die neue Leitung des Strauhof muss mit weit weniger Geld auskommen als ihre Vorgänger. Mit der Ausstellung „Mars – Literatur im All“ hat sie ein erstes Mal bewiesen, wie Phantasie sich über irdische Gegebenheiten hinwegzusetzen vermag.
Dauer der Ausstellung: bis 3. Jan. 2016. Öffnungszeiten: Mi/Fr 12-18 Uhr, Do 12-24 Uhr, Sa/So 11-17 Uhr. Weitere Informationen: www.strauhof.ch.