Die längste Zeit seines Lebens verbrachte El-Baradei im Ausland. Seit 26 Jahren lebt er in Wien; zuerst als höherer Angestellter der IAEO und von 1997 bis zu seiner Pensionierung 2009 als oberster Chef der Atombehörde. Gattin Aida ist als Pädagogin im internationalen Kindergarten tätig, ihre beiden Kinder Mostafa und Leila gingen in Wien auf die Universität.
Kein Wunder, dass die Familie ihre Wohnung in Wien behielt. Auch nachdem der frühere IAEO-Generaldirektor seine Bewerbung um die Nachfolge des ägyptischen Präsidenten Hosni Mubarak publik gemacht hatte, hielt er sich öfter an der schönen blauen Donau als an den Gestaden des Nils auf. Erst am Donnerstag vergangener Woche, als in Ägypten der Aufstand bereits in vollem Gange war, traf El-Baradei in Kairo ein. »Das Volk hat die Kultur der Angst durchbrochen, und sobald diese Kultur der Angst durchbrochen ist, gibt es keine Rückkehr mehr«, erklärte er in einem Fernsehinterview.
Wenige Stunden vor seinem Flug nach Kairo diskutierte El-Baradei noch mit Wirtschaftsmanagern aus aller Welt über die politischen Entscheidungen im Zeitalter der Globalisierung. Als Friedensnobelpreisträger ist der gelernte Jurist und Diplomat ein hoch dotierter Gastredner auf allen möglichen Veranstaltungen. Das Nobelpreiskomitee begründete 2005 seine Wahl mit den Bemühungen der IAEO und El-Baradeis, »zu verhindern, dass die Atomenergie für militärische Zwecke genutzt wird, und sicherzustellen, dass die friedliche Atomenergie auf sicherste Art verwendet wird«.
El-Baradei entstammt dem Kairoer Grossbürgertum. Sein Vater war Präsident des Verbandes ägyptischer Rechtsanwälte. Er selber machte in New York ein Doktorat für Völkerrecht. 1964 trat er in den diplomatischen Dienst seines Landes ein. Seine ersten Aussenposten waren die Vertretungen Ägyptens bei den Vereinten Nationen in New York und Genf. Von 1974 bis 1978 hatte er einen leitenden Posten im Aussenministerium und nahm an den Verhandlungen mit Israel teil, die zum Abkommen über die Truppenentflechtung nach dem Jom-Kippur-Krieg führte.
El-Baradeis Laufbahn kannte nicht nur Höhepunkte. Die IAEO hatte weder die geheime iranische Uran-Anreicherungsanlage bei Natanz noch den vom »Vater der islamischen Atombombe«, dem Pakistaner Kadir Khan, organisierten internationalen Schwarzmarkt mit Nuklearmaterial entdeckt. Der »nukleare Wachhund« der UNO musste dafür herbe Kritik einstecken.
Konflikt mit Präsient Bush über Irak
Schweren Krach mit US-Präsidenten George W. Bush bekam El-Baradei 2003, als er vor dem Weltsicherheitsrat aussagte, Irak besitze keine Massenvernichtungswaffen. Der IAEO-Generaldirektor musste es wissen, denn seine Inspektoren durchkämmten zusammen mit den von der UNO eingesetzten Waffensuchern unter der Leitung seines Amtsvorgängers Hans Blix seit dem ersten Golfkrieg das ganze Land. Die Erkenntnisse von El-Baradei und Blix störten aber die Pläne der US-Regierung, den irakischen Diktator Saddam Hussein militärisch anzugreifen.
2005 trachtete Bush, die anstehende Wiederwahl El-Baradeis zu hintertreiben. US-Agenten zapften das Telefon des Ägypters an, um diskreditierendes Material zu finden - vergeblich. Dann versuchten die USA den australischen Ex-Aussenminister Alexander Downer als Gegenkandidaten ins Spiel zu bringen. Downer lehnte aber ab, als er feststellte, dass ihm eine gewaltige Abstimmungsniederlage drohte. El-Baradei wurde schliesslich im Konsens für eine dritte Amtsperiode wiedergewählt, weil niemand gegen ihn antrat.
Ab 2003 spitzte sich der Atomstreit mit dem Iran zu. Die USA und Israel warfen El-Baradei vor, den Iranern gegenüber zu weich zu sein. Der IAEO-Chef setzte lange Zeit mit Geduld auf eine Verhandlungslösung mit Teheran. Am Ende seiner Amtszeit kritisierte er das verdächtige iranische Nuklearprogramm mit deutlichen Worten. Der Mann ändert seine Meinungen nur langsam, aber er ändert sie.