Abgestimmt wird über Verfassungsänderungen. Diese haben die gegenwärtigen militärischen Machthaber und Verantwortlichen ausarbeiten lassen. Insgesamt neun Abänderungen sollen die bisherige Verfassung soweit demokratisieren und liberalisieren, dass echte Parlamentswahlen unter der korrigierten Verfassung möglich werden. Auch eine wirkliche Wahl eines neuen Präsidenten soll es dann geben. Die alte Verfassung war so geschrieben, dass sie nichts anderes als die Verlängerung der Macht des herrschenden Präsidenten, Husni Mubarak, zuliess.
Ein rascher oder ein langsamer Übergang?
Die Meinungen der Ägypter gehen scharf auseinander. Grosse Teile der Widerstandskräfte, die hinter dem erfolgreichen Aufstand des ägyptischen Volkes standen, sprachen sich für einen "Nein" aus. Sie fordern eine neue Verfassung, nicht eine die aus vor-demokratischer Zeit stammt und jetzt notdürftig korrigiert werden soll.
Doch einige der Animatoren der Volksbewegung, es sollen vor allem jene sein, die auf dem linken Flügel der Bewegung angesiedelt sind, werben für ein "Ja". Ihrer Ansicht nach geht es darum, die Machtübergabe in die Hände des Volkes zu beschleunigen, sogar um den Preis einer zusammengeflickten Verfassung, die juristisch nicht einwandfrei wäre, weil sie innere Widersprüche aufweist.
Die herrschenden Militärs für schnellen Übergang
Die Militärs, die den Prozess, so wie er vor sich geht, in die Wege geleitet haben, sind auch für ein "Ja". Deshalb hat sich auch das staatliche Fernsehen für eine Zustimmung eingesetzt. Auch den Militärs geht es um Beschleunigung des Übergangs zur Demokratie, sogar dann, wenn sie sich als unvollkommen erweisen sollte. Denn die Offiziere wollen die Verantwortung für das politische Gesehen rasch loswerden. Ihre Führungsspitze will zu ihrer traditionellen Stellung zurückzukehren, nämlich zu jener einer politischen Macht hinter den Kulissen.
Aus diesen Gründen haben die militärischen Machthaber einen eiligen Übergangsprozess eingeleitet. Das gegenwärtige Plebiszit soll der erste Schritt dazu sein. Wenn die Verfassungsverbesserungen angenommen werden, so der militärische Fahrplan, sollen schon diesen Sommer Parlamentswahlen stattfinden. Im September oder gar schon im Juni soll eine Präsidentschaftswahl folgen. Eine endgültige neue Verfassung könnte, nach diesem Plan von einer parlamentarischen Kommission geschrieben werden, die nach den Parlamentswahlen ernannt würde.
Eile begünstigt die alten Parteien
Die Eile der Militärs hat aber auch Folgen für die Wahlaussichten der Zivilisten. Wenn schon im Sommer eine Parlamentswahl stattfindet, gereicht dies den bestehenden Parteien und Gruppierungen zum Vorteil, weil sie den Ägyptern bekannt sind und sich nicht erst neu organisieren und bekannt machen müssen. Die bestehenden Gruppen hätten dann eine gute Chance das kommende Parlament zu dominieren - und damit auch die vorgesehene Verfassungskommission sowie die gesamte Zukunft des Landes für seine ersten demokratischen Jahre.
Die bereits bestehenden und organisierten Gruppierungen sind einerseits die Muslimbrüder, andererseits die alte Staatspartei Mubaraks, die Nationale Demokratische Partei. Diese hat zwar eine neuen Führung, wird aber unterstützt von den Interessengruppen, die unter Mubarak zu Geld und Einfluss gekommen sind. Diese beiden Hauptgruppen treten denn auch für eine Zustimmung zu den vorgelegten Verfassungsänderungen ein.
Daneben gibt es noch andere bereits konstituierte Parteien, die auch ins Feld ziehen werden, jedoch wahrscheinlich nur bei wenigen Wählern über Einfluss verfügen. Dazu gehört etwa die historische Wafd-Partei und die Kifya-Bewegung von Ayman Nur.
Die Volksbewegung braucht Zeit
Die eigentlichen Anführer der Massenproteste der ägyptischen Revolution hätten wohl geringere Chancen in kurzfristig angesagten Parlamentswahlen. Dies deshalb, weil sie noch nicht als Parteien organisiert sind und sich schwerlich so schnell konstituieren und bekannt machen können. Deshalb haben sie ein Interesse an einem langsameren und umsichtigeren Vorgehen. Sie schlagen ein Übergangspräsidium vor, "an dem auch Offiziere neben Zivilisten beteiligt werden könnten". Diese Übergangspräsidium soll die Macht provisorisch übernehmen. Dann müsste eine Verfassungsversammlung gewählt werden. Diese hätte eine voll demokratische Verfassung auszuarbeiten. Anschliessend sollten die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen folgen. Der ganze Prozess würde mindestens ein Jahr lang dauern. In dieser Frist hätten auch sie, die jungen Beweger der Volkerhebung, Zeit, um ihre eigenen Parteien zu gründen und bekannt zu machen.
Zusammenfassend kann man sagen: Das langsamere Vorgehen würde einen tiefer greifenden Umformungsprozess der ägyptischen Gesellschaft im demokratischen Sinne erlauben, das raschere nur einen mehr oberflächlichen. Doch die Minderheit der Anführer des Volksaufstandes, die für ein "Ja" eintritt, ist der Ansicht, die - wie sie hoffen vorläufige - Oberflächlichkeit des Umwandlungsprozesses sei in Kauf zu nehmen, weil er immerhin bewirken werde, dass die Macht nicht mehr ausschliesslich in den Händen der Offiziere ruhe.
Die Resultate des Plebiszits sollen bis zum Sonntagabend oder Montag bekannt werden.