Der Chefredaktor des Wiener «Falter» lernte bei einem steirischen Almbauern, wie das System Landwirtschaft heute Menschen und Tiere kaputtmachen kann, wo es doch angeblich allein um deren Wohl geht.
Es war 2014, als eine deutsche Touristin in Tirol auf einer Bergwanderung von einer Mutter-Kuh totgetrampelt wurde. Danach wurde der Besitzer der Kuh gerichtlich zu einer Strafzahlung verurteilt. Zu Recht, juristisch einwandfrei, fand damals Florian Klenk, Jurist und Chefredaktor des linksliberalen Wiener Wochenblatts «Falter», und kritisierte in einer Talkshow die Bauernlobby.
Dem Autor gehen die Augen auf
Es kam, wie es heute immer kommt bei solchen Gelegenheiten: Ein Shitstorm brach los. Ein steirischer Bergbauer namens Christian Bachler ging besonders heftig auf diesen «Bobo» los (Bourgeois-Bohemian) und forderte den Ahnungslosen auf, doch mal zu ihm zu kommen und zu sehen, wie ein Bauer heute lebe, leben müsse.
Dieser Aufforderung folgte Klenk, selber Enkel von Bauern. Als einer, der nicht von vornherein ausschliesst, dass er auch falsch liegen oder etwas lernen und erfahren könnte. Das ist dann eher ungewöhnlich in der heutigen Zeit des permanenten Zusammenpralls. Und fuhr in die Steiermark auf eine Alm.
Darüber, was er da zu sehen und zu hören bekam, hat Klenk schliesslich ein Buch geschrieben. Wer das liest (und nicht vom Fach ist, was heutige Landwirtschaftspolitik betrifft), dem gehen hier die Augen auf. So wie sie Florian Klenk aufgegangen sind, der gewillt war, Christian Bachler zuzuhören. Am Ende dieser denkwürdigen Erfahrung auf der Alm hatte Klenk begriffen, dass Bachler kein „Wutbauer» ist, sondern einen Hilfeschrei ausgesendet hatte. Was sich alles übrigens nach wie vor auf Bachlers Facebookseite nachsehen und -lesen lässt. Bachler ist ein Biobauer, dem an seinen Tieren liegt. Aber der nicht mehr mithalten konnte in einem System, das die Masse und nicht die Qualität fördert, um es etwas allgemein zu sagen.
Yaks statt Kühe
Globalisierung, Klimawandel, Fleischindustrie, sie alle wirken bis ins hinterste Bergtal. Und auf die Menschen, die Bauern. Burn-outs, Depressionen, Selbstmord, das sind Begleiterscheinungen eines Wirtschaftens, das sie in die Knie zwingt, und von Abhängigkeiten, denen sie nicht entkommen. Angefangen bei der EU-Landwirtschaftspolitik über die heimische Politik (vor allem der ÖVP) bis zu den Banken (vor allem Raiffeisen). Vom Leid der Tiere nicht zu reden.
Es gelingt Klenk und Christian Bachler, der ihm alles erklärt, diese Zusammenhänge am Beispiel dieses einen Almbauern aufzuzeigen. Umso eindrücklicher, weil so konkret. Sie gehen zusammen ins Lagerhaus für Landwirte, wo Bachler einkauft: Steinöl, um die Hörner seiner Yaks einzuschmieren, weil sie dort von den Bremsen gequält werden, die neuerdings bis in diese Höhen kommen. Yaks hat er, weil sie Rasenschmiele fressen, ein scharfes Gras. Das wächst jetzt hier oben, auch wegen des Klimawandels. Kühe fressen das nicht. Schafe schon, aber die gibt es hier nicht mehr, weil die Menschen Lammfleisch aus Neuseeland kaufen.
Aber auch Yaks spüren den Klimawandel hier oben. Es ist der Leberegel, der in ihre Körper dringt. Das sind Parasiten in der Zwergschlammschnecke, die wegen der Wärme immer höher kriecht und in Pfützen lebt. Und weil die Almen austrocknen, schlürfen die Yaks aus diesen Pfützen, mitsamt den Parasiten. Damit sie die Yaks nicht umbringen, muss Bachler sie mit Closamectin einreiben. Das wiederum nehmen dann die Mistkäfer aus den Yak-Fladen mit auf – und sterben sofort daran. So bleiben die Fladen unzersetzt liegen und die Almen somit ungedüngt.
Solche Zusammenhänge erklärt Bachler dem Bobo im Lagerhaus. Und es geht noch weiter mit diesem Kreislauf ins bäuerliche Unglück: Weil die Wiesen verdorren, wird das Futter teurer (muss angekauft werden); muss man Vieh verkaufen, sinkt dessen Preis, und der Tourismus ist am Ende auch noch betroffen.
Die neuen Lehensherren
„Bürokratische Schikanen der EU, Quälereien durch die Agrarmarkt Austria, vor deren Kontrollen die Bauern zittern», wie Bachler sagt. Die schwarz regierte «Bauernkammer», (das ist die gesetzliche Vertretung der Landwirte), die die Bauern auf den falschen Weg geführt hätten. Nämlich Masse statt Qualität zu produzieren. Weil die «Chinesen uns leersaufen» würden, nämlich die Milch. Aber der Milchpreis sank nach der Finanzkrise 2008. Und nun, so Bachler, seien die Banken die neuen Lehensherren. Bachler hat sich sogar einmal bei den Grünen Bauern engagieren wollen. Aber die Lust verging ihm, als die Ökos dazu aufriefen, sich bei der Loveparade mit rosa Traktoren mit schwulen Landwirten zu solidarisieren.
Nun schlug er sich wie so viele seiner Kollegen herum mit «Schikanen der EU», die ja Grösse subventioniert und nicht kleine Biobauern, mit der Konkurrenz aus Osteuropa etwa auf dem Geflügelmarkt, wo in ganz anderen Dimensionen «produziert» wird (wir sprechen immer noch von Tieren), mit einer entfesselten Fleischindustrie eines Betriebs wie dem von Tönnies, der natürlich auch bis Österreich liefert und damit auch gleich noch dörfliche Metzger in den Ruin treibt. Gegenüber einer solcherweise industrialisierten Produktion sind Bauern wie Bachler hoffnungslos unterlegen.
Andere machen mit bei der gesetzlich legitimierten Tierquälerei, wo tote Ferkel auf dem Müll landen. Weil Tiere nichts mehr wert sind, müssen sie in Massen gehalten werden. Was auch damit zu tun hat, dass Lebensmittel an der Börse gehandelt werden, wie sich Klenk von einer Veterinärmedizinerin aufklären lässt. Denn er hat sich auch bei einem grossen Kreis von Fachleuten kundig gemacht nach seinem Aufenthalt auf der Alm. Und spart nicht mit grauenvollen Schilderungen der Zustände auf jenen Höfen, die sich dem System beugen oder keinen Ausweg finden (oder auch nur suchen). Nur der Tierarzt kommt jährlich mit einem neuen Jeep vorgefahren, wie einer sarkastisch bemerkt.
Bachler hat sich kaputtgearbeitet. Und sich kaputtverschuldet bei der Raiffeisenbank, wie so viele andere. Die weiss, wenn der Bauer zahlungsunfähig ist, wird sie am Ende den Boden bekommen. Sie gewinnt immer.
Ein Ausweg via Crowdunding
Bei Bachler aber lief es anders. Er stand kurz vor der Versteigerung seines Hofs, weil er die Schulden nicht mehr bedienen konnte. Da wurde aus Klenk, dem Journalisten, Klenk, der Aktivist. Er organisierte ein Crowdfunding, gegen jede pessimistische Einschätzung jener, die er um Rat fragte. Aber er gewann, eben auch das durch die Social Media von heute. Eine Viertelmillion Euro in zwölf Stunden. Er zog sogar den Alpen-Rocker Andreas Gabalier auf seine Seite, der seine Fans mobilisierte – obwohl er politisch eigentlich auf der extrem anderen Seite steht als der Wiener Bobo. Aber am Ende kämpften sie beide für das gleiche Ziel. Und Bachler konnte seine Schulden bezahlen.
Eine unglaubliche Geschichte! Und eine sehr lehrreiche dazu.