Reichlich turbulent geht’s zu, wenn sich eine hässliche Nymphe ausgerechnet in Jupiter verliebt … und dazu noch auf der Bühne.
So ein Glück, dass Mathias Vidal nicht pünktlich zum vereinbarten Gespräch erscheint! Geschuldet ist die Verspätung einzig der verlängerten Probe, ein paar Tage vor der Premiere.
So ein Glück auch, dass ich die Wartezeit im Zuschauerraum verbringen kann, bei den elektrisierenden Klängen von Jean Philippe Rameaus Oper «Platée» und mit Mathias Vidal oben auf der Bühne. Dirigentin Emmanuelle Haïm ihrerseits hat noch alle Hände voll zu tun, um letzte Feinheiten herauszuarbeiten.
Auch wenn man zu diesem Zeitpunkt – und nach nur kurzer Zeit – nicht allzu viel mitkriegt von der Aufführung, klärt sich zumindest schon einmal die Frage, wie denn ein Haute-Contre klingt. Denn so ist die Rolle stimmlich besetzt. Und Mathias Vidal singt die Rolle des Platée in eben dieser Stimmlage: Haute-Contre, was für Aussenstehende kein allzu gängiger Begriff ist. Schon auf dem Weg ins Opernhaus hatte ich mir meine Gedanken gemacht und vermutet, dass es vielleicht in Richtung Countertenor gehen könnte, also einer der ganz hoch hinaus will. Weit gefehlt. Mathias Vidal singt in der Probe seine Rolle mit schöner Tenorstimme, ganz ohne Stimm-Akrobatik.
Haute-Contre = Tenor
Die Stimmlage ist dann auch der erste Punkt in unserem anschliessenden Gespräch. Mathias Vidal hat einen heissen Tee vor sich, der Blick vom Dirigentenzimmer geht auf die Lichter des Weihnachtsmarktes, es ist richtig gemütlich nach der Probe. «Nein, mit Countertenor hat der Haute-Contre gar nichts zu tun», sagt er lachend und dies sicher nicht zum ersten Mal. «Sogar in Frankreich ist das nicht so bekannt. Man denkt, das ist etwas Aussergewöhnliches oder womöglich etwas Abseitiges. Selbst manchen Dirigenten ist das nicht immer ganz klar und einigen Kritikern auch nicht. Aber da muss sich niemand schämen, der Begriff kommt aus einem ganz speziellen Repertoire, zu dem auch die Werke Rameaus gehören. Aber Haute-Contre heisst einfach Tenor. Zur damaligen Zeit des Barocks benutzte man keine Begriffe wie Sopran, Mezzo, Tenor usw.»
In dem Stück geht es um Platée, eine hässliche Sumpfnymphe, die allen schöne Augen macht und überzeugt davon ist, dass Gott Jupiter sich in sie verliebt hat, und natürlich von allen ausgelacht wird. In der Inszenierung wird die Geschichte aber nun zum Theater im Theater, Platée wird zum Souffleur im Theater – und verliebt sich wieder in Jupiter, der hier allerdings als Startänzer auftritt. Ein barockes Durcheinander …
Für Mathias Vidal ist es die dritte «Platée»-Inszenierung, nach zwei vermutlich ganz anderen Versionen zuvor. «Nein, es ist gar nicht so unterschiedlich für mich. Was ich für diese Rolle gelernt habe, bleibt eigentlich immer gleich. Aber wenn man eine Rolle mehrmals spielt, versucht man, sie jedes Mal besser zu machen. Das erste Mal habe ich ‘Platée’ in Tokio gespielt. Das war halbszenisch, sehr bunt und sehr schön mit dieser Musik. Das zweite Mal dann in Toulouse. Da war ich als Frau verkleidet und es spielte in den Favelas in Brasilien. Sehr farbig! Hier in Zürich ist es wieder ganz anders: Die Szenerie zeigt Alltagsleben in einem Theater. Wenn man eine Rolle zumindest musikalisch beherrscht, ist das kein Problem, von einer Inszenierung in die nächste zu spazieren …»
Wunderbare Rolle
Aber eigentlich ist es ein Zufall, dass Vidal nun schon zum dritten Mal Platée spielt. «Also geträumt hatte ich zunächst nicht davon … aber mit ‘Platée’ habe ich die Komödie bei Rameau entdeckt. Das war ein Gegensatz zu den dunkleren Opern wie ‘Dardanus’ oder ‘Les Boréades’, an die ich gewöhnt war. Als ich ‘Platée’ das erste Mal gehört habe, hat es mich gepackt und mein Instinkt hat mir gesagt: Das muss ich machen. Inzwischen habe ich die richtige Tonhöhe gefunden und es ist eine wunderbare Rolle.»
Das Publikum, sagt er, würde sich gern mit dem Interpreten der Titelrolle identifizieren, also Platée in diesem Fall, der Traviata, der Carmen … «Das habe ich immer wieder festgestellt, in einer Titelrolle macht man den Weg gemeinsam mit dem Publikum.»
«Platée» ist ja zumindest bei uns nicht sehr bekannt. «Alle Opern von Rameau sind wenig bekannt!», wirft er gleich ein. «Noch heute gelten sie als Opern, die eher etwas für Spezialisten sind. Auch in Frankreich sieht man sie eher selten. Für Rameau braucht man grosse Orchester, Chöre, Ballett …» und das ist teuer. «Als wir vor fünf Jahren in München ‘Les Indes galantes’ gemacht haben, gab es später keine Wiederaufnahme wegen der Kosten … Rameau ist eine Nische.»
Inspiration durch Rameau
Eine Nische, gefüllt mit wunderbarer Musik. «Ja, das ist schon die ‘Grande Opéra Française’. Das hat ja auch Camille Saint-Saëns Ende des 19. Jahrhunderts dazu gebracht, Rameau wieder zu entdecken. Und auch Verdi hat sich von den Chören Rameaus inspirieren lassen. Ich vermute, dass auch der italienische Belcanto letztlich auf die französische Musik zurückgeht.»
Das französische Repertoire liegt Mathias Vidal besonders nah. Geboren wurde er in Südfrankreich und die Ausbildung zum Sänger machte er in Nizza und dann vor allem am Conservatoire in Paris, unter anderem bei Emmanuelle Haïm, die jetzt in Zürich «Platée» dirigiert … Mozart, Bellini, Rossini, Monteverdi oder Purcell gehören aber genauso zu seinem Repertoire wie zeitgenössische Musik.
Auf was er sich besonders freut, sind nun auch fünf Tage um Weihnachten herum, wenn seine Frau und drei Kinder aus Nantes zu Besuch kommen. «Ich habe noch nicht so viel von der Stadt gesehen, ich bin erst mal so ums Opernhaus herum gelaufen. Aber gemeinsam mit meiner Familie werde ich Zürich entdecken. Ich fühle mich jedenfalls sehr wohl in Zürich und hier zu arbeiten ist grossartig.»
Opernhaus Zürich, «Platée». Von Jean-Philippe Rameau
Premiere: 10. Dezember 2023