Haben die Italiener denn nichts gelernt? Da räkeln sich nackte Mädchen auf dem Schreibtisch des Ministerpräsidenten. Sie machen Fotos, die in die Zeitungen gelangen. Im gegenwärtig laufenden Ruby-Prozess schildern Prostiuierte den Ex-Ministerpräsidenten mit abstossendsten Details.
Da hat die Welt über ihn gelacht, Politiker haben ihn gemieden. Auf internationalem Parkett wurde er zur persona non grata. Die Wirtschaft machte ihn für das wirtschaftliche Schlamassel im Land verantwortlich. Noch immer ist er in zahlreiche Prozesse verwickelt. Er bezeichnete seine Tätigkeit als Ministerpräsident als “Freizeitsjob”.
Als er endlich gestürzt wurde im letzten Herbst, ging ein tiefes Aufatmen durch die EU, durch die Welt. Kein Ministerpräsident wurde von der internationalen Gemeinschaft so herzlich und liebevoll empfangen wie Mario Monti, Berlusconis Nachfolger. Die Botschaft war klar: Endlich ist dieser Cauchemar vorbei.
28 Prozent für Berlusconi
Und jetzt? Jetzt kandidiert er wieder. Schlimmer noch: seine Partei will, dass er kandidiert. Sie, der “Popolo della libertà” (Pdl), hat keinen andern. Die meisten Pdl-Grössen sind graue Mäuse, verbrauchte Damen und Herren. Der junge Parteichef Angelino Alfano, der als Nachfolger Berlusconis aufgebaut wird, kommt beim Volk nicht an. Dies geht aus einer parteiinternen Umfrage hervor, die jetzt der Mailänder “Corriere della sera” veröffentlicht.
Spätestens im kommenden Frühjahr muss es in Italien Wahlen geben. Dann läuft die Amtszeit des “Notstands-Ministerpräsidenten” Mario Monti aus.
Die Umfragen zeigen folgendes: Würde Berlusconi die Politik verlassen, und würde die Pdl mit Parteichef Alfano als Spitzenkandidat ins Rennen ziehen, würde sie nur zwischen acht und zwölf Prozent der Stimmen erreichen.
Würde aber Alfano als Ministerpräsident und Berlusconi als Parteichef kandidieren, würde die Partei fast doppelt so viele Stimmen einfahren: zwischen 17 und 21 Prozent.
Würde aber Berlusconi als Ministerpräsident kandidierten und Alfano als Parteichef, käme die Partei laut der Umfrage auf 28 Prozent. Die Leiterin der Umfrage kommentierte: “Berlusconi ist der einzige, der eine Abwanderung der Pdl-Stimmen verhindern kann”. Eine Abwanderung zu den Mitte-Parteien und zu der Fünf-Sterne-Partei von Beppe Grillo. Ob diese Umfrage wirklich durchgeführt wurde oder ob sie einfach als Sprungbrett für Berlusconi dient, ist unklar.
”Besser als ein Orgasmus”
Einige Pdl-Parteigrössen liebäugelten damit, Primärwählen abhzuhalten, um den Kandidaten für die künftigen Wahlen zu bestimmen. Doch Berlusconi will keine Primärwahlen. Die Partei kuscht einmal mehr: Es gibt keine Primärwahlen, Berlusconi ist gesetzt.
Giancarlo Galan, ein früherer Minister in Berlusconis Regierung, gibt sich überschwänglich: “Die Ankündigung der Kandidatur Berlusconi ist mir ein Genuss, sie ist besser als ein Orgamus, denn der Genuss dauert länger. Soviel zum Stil des Pdl.
Berlusconi will die Partei umbenennen und mit neuem Elan in den Wahlkampf ziehen. “Zurück zur Zukunft” hiess heute ein provisorischer Slogan.
Er hypnotisiert sie noch immer
Die Kandidatur Berlusconi macht deutlich, wie tief die politiche Rechte in Italien im Schlamm steckt. Man wirft der Linken vor, dass sie sich wegen verschiedener Ideen bekämpft. Die Rechte bekämpft sich nicht einmal, sie hat keine Ideen, keine Strategie: sie sitzt paralysiert vor der Schlange Berlusconi. Er hypnotisiert sie noch immer.
Die ersten Reaktionen der andern Parteien, der Wirtschaft, der Kirche und der Intellektuellen sind cool: Kopfschütteln. Sind die Italiener so dumm und wählen nochmals den bald 76-jährigen sex-besessenen psychopathischen Angeber, dessen Ex-Frau sagte: “Helft ihm, er ist krank”?
Es ist nicht anzunehmen, dass die Italiener so dumm sind. Meinungsumfragen zeigen, dass Berlusconis Partei abgestürzt ist und nur noch auf rund 24 Prozent der Stimmen kommt. (Dies ist eine unabhängige Meinungsumfrage und nicht die oben erwähnte, die von Berlusconis Partei selbst durchgeführt wurde.) Auch innerhalb der Partei stösst seine Kandidatur nicht nur auf eitel Freude. Sie droht seine Rumpf-Partei zu spalten.
Gesucht: eine neue Persönlichkeit
Viel hängt jetzt davon ab, wie sich die andern Parteien verhalten. Italien braucht endlich eine neue vereinte Mitte-Partei. Das Zentrum ist in Italien zerspittert, mehrere Parteiführer haben ihre eigene Klientel. Keiner scheint bereit zu sein, zugunsten eines andern ins zweite Glied zu treten.
Deshalb braucht es wohl neue Namen. Die italienische Parteienlandschaft ist im Moment dabei, sich neu zu formieren. Eine Persönlichkeit, die immer wieder gehandelt wird, ist Luca di Montezemolo, der Chef von Ferrari. Er wäre ein Mann der Wirtschaft. Doch hat er das Zeug zu einem Parteichef?
Mario Monti, der jetzige Notstandspremier, hat kürzlich nicht ausgeschlossen, dass er als Ministerpräsident kandidieren wird. Dafür bräuchte er aber noch eine Partei. Er ist parteilos, wurde nie vom Volk gewählt und wurde nach Berlusconis Schlamm-Jahren als überparteilicher “Technokrat” zum Ministerpräsidenten bestimmt. Und wenn sich die Mitte und die Linke einigen könnten, ihn als Kandidaten aufzustellen?
Monti, der wohl einen der schwersten Jobs hat, versucht mühsam das Land zu modernisieren und stösst – erwartungsgemäss - nur auf Hindernisse. Da man das Land nur modernisieren kann, indem man altgebrachte Zöpfe abschneidet und Privilegien aufgeben muss, ist seine Popularität von einst über 60 Prozent auf gut 30 Prozent abgesackt. Dennoch hätte er bei Wahlen vielleicht Chancen.
Krankhaft machbesessener römischer Kaiser
Berlusconi kann es nicht lassen. Er braucht das Rampenlicht. Er hat noch immer nicht gemerkt, wie sehr er in Europa geächtet wird. Würde Berlusconi an die Macht gelangen, ginge Italiens Wirtschaft weiter bachab, das Vertrauen der Investoren in Silvio B. ist heute gleich null. Fremd- und Eigenschätzung klaffen bei ihm auseinander wie bei einem krankhaft machtbesessenen römischen Kaiser. Er liebt es, in Fernsehshows aufzutreten. Kürzlich sagte er, er könnte sich auch vorstellen, Finanzminister zu werden, um das Land zu retten. N'importe quoi. Er träumt nicht nur vom Amt des Ministerpräsidenten. Er sieht sich auch als Staatspräsident. Giorgio Napolitano tritt im nächsten Jahr zurück. Staatspräsident Berlusconi? Dann, buona notte Italia.
Die jetzige Kandidatur Berlusconis für das Amt des Ministerpräsidenten ist für die Linke ein Geschenk des Himmels. Endlich kann sie ihren Lieblingsfeind wieder aktivieren. Berlusconi wird heute von der Mehrheit der Italiener gehasst. Die Italiener lieben es nicht, wenn man über sie lacht. Und mit Berlusconi an der Spitze lacht man über sie. Gegen Berlusconi Wahlkampf zu machen, ist simpel. Er verbirgt auch die eigenen Schwächen.
Die Linke ist im Moment laut Meinungsumfragen mit über 30 Prozent die stärkste italienische Partei. Man wirft ihr vor, sie sei “intellektualisiert”, zerstritten, unflexibel und sitze auf den alten Pfründen. Das stimmt alles. Doch so tief gesunken wie die Rechte mit Berlusconi als Kandidat ist sie noch lange nicht. Und selbst die verbrieft korrumpierte Lega Nord hat es geschafft, ihren legendären Parteigründer zu entsorgen.