Die Iraner spitzten die Lippen, aber sie pfiffen noch nicht. Die von hohen Erwartungen der Medien begleitete jüngste Verhandlungsrunde über das umstrittene iranische Nuklearprogramm endete am Donnerstag in Bagdad ohne greifbares Ergebnis. Das nächste Treffen ist am 18. und 19. Juni in Moskau.
Verzögerungstaktik auf allen Seiten
Unglücklich ist darüber niemand. Barack Obamas Fahrplan sieht vor, die Iran-Verhandlungen bis nach den US-Präsidentschaftswahlen im November auf kleinem Feuer köcheln zu lassen. Ein baldiges Abkommen wäre Obama ebenso unwillkommen wie ein flagranter Fehlschlag. Ein Abbruch der Verhandlungen könnte Israel den Anlass für einen Krieg gegen Iran liefern, in den die USA unweigerlich hineingezogen würden. Eine Beilegung des Atomstreits am Verhandlungstisch, die zwangsläufig beiden Seiten Zugeständnisse abverlangt, wäre für die Gegner Obamas ein Geschenk, um dem Präsidenten im Wahlkampf einen Kniefall vor den Ajatollahs anzuhängen.
Gewinnt Obama die Wahl gegen seinen Herausforderer Mitt Romney, so hat er in seiner zweiten Amtszeit freie Hand, die fälligen Kurskorrekturen in der Aussenpolitik vorzunehmen. Nach dem Abschluss der Gespräche in Bagdad beteuerten Vertreter der USA, dass in diesem Stadium noch gar keine Vereinbarungen geplant waren. »Wir bewegen uns Schritt für Schritt vorwärts«, sagte ein hoher US-Diplomat vor Journalisten.
Übereinstimmungen, keine Einigung
Die Aussenbeauftragte der EU, Catherine Ashton, erklärte im Namen der fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats und Deutschlands (der »5+1-Gruppe«): »Es gibt mit Iran Übereinstimmung in einigen Punkten, doch beträchtliche Meinungsverschiedenheiten bleiben bestehen. Wir waren uns einig, dass wir weitere Diskussionen brauchen, um die Übereinstimmung auszuweiten.« Irans Delegationsleiter Said Dschalili meinte dazu: »Wir haben die Ansichten der jeweils anderen Seite besser kennen gelernt.«
Teherans vordringliches Ziel ist die Lockerung der vom Weltsicherheitsrat verhängten Wirtschaftssanktionen. Besondere Sorgen bereiten dem Regime die von den USA und der EU beschlossenen Strafen, die am 1. Juli in Kraft treten. Dazu gehört ein Verbot, Erdöl aus Iran einzuführen. Diese Massnahme betrifft 18 Prozent der iranischen Ölexporte.
Zugang zur Militäranlage Parchin
Die Iraner sind der Auffassung, dass ihre verkündete Bereitschaft, enger mit den Inspektoren der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) zusammenzuarbeiten, zumindest für die teilweise Aufhebung der Sanktionen ausreicht. Sie verweisen auf ihre Zusage gegenüber IAEO-Generaldirektor Yukiya Amano, den Inspektoren auch Zugang zur Militäranlage Parchin zu gewähren, in der laut westlichen Geheimdiensten Zünder für Atomsprengköpfe getestet wurden. Die mündliche Zusage der Iraner gegenüber Amano ist aber noch nicht in ein verbindliches Schriftstück umgesetzt worden.
Die 5+1-Gruppe hat bei den Gesprächen in Bagdad angeboten, Iran aus humanitären Gründen Güter wie dringend benötigte Ersatzteile für Verkehrsflugzeuge zu liefern. Eine generelle Lockerung der Sanktionen komme aber so lange nicht in Frage, als Iran die in vier Resolutionen des Weltsicherheitsrats enthaltene Forderung nach einem Stopp der Uran-Anreicherung nicht erfüllt.
Urantransfer ins Ausland
Die IAEO enthüllte am Freitag, dass ihre Inspektoren in der neuen, tief in einen Felsen gegrabenen Nuklearanlage von Fordo bei Ghom Spuren von auf 27 Prozent angereichertem Uran entdeckt haben. Seit vergangenem Jahr haben die Iraner nach den IAEO-Bericht 350 zusätzliche Gaszentrifugen in Fordo installiert, die allerdings noch nicht laufen. In Betrieb sind in Fordo derzeit rund 700 Zentrifugen, mit denen Uran bisher auf 20 Prozent angereichert wurde. Die 5+1-Gruppe verlangt die Schliessung der ganzen Anlage.
Ein Kompromiss könnte so aussehen, dass die UNO das Recht Irans auf die friedliche Nutzung der Kernkraft bestätigt und die Herstellung von auf 3,5 Prozent angereichertes Uran akzeptiert. Dieses Material ist nur für den Betrieb von Kernkraftwerken zu verwenden. Die auf 20 Prozent oder höher angereicherten Bestände würden hingegen ausser Landes verbracht und in einem Giftschrank verwahrt.
"Unerschütterliches Engagement
Ferner müsste Iran den Bau eines Schwerwasserreaktors und einer Schwerwasserfabrik in Arak stoppen. Das verlangen bereits die Resolutionen des Weltsicherheitsrats, weil Reaktoren dieser Bauart Plutonium absondern, das für den Bau von Atombomben aufbereitet werden kann.
Nach Ansicht von Diplomaten besteht jetzt erstmals eine echte Chance, auf einem langsamen Weg den Konflikt über das iranische Nuklearprogramm zu lösen. Die iranische Bevölkerung ächzt unter dem zunehmenden Gewicht der Wirtschaftssanktionen. Allerdings hat die iranische Diplomatie in der Vergangenheit schon öfters Zugeständnisse gemacht und dann wieder zurückgenommen.
Israel traut der Regierung in Teheran überhaupt nicht. Am Mittwoch erklärte Verteidigungsminister Ehud Barak, dass auch eine weitere Öffnung der iranischen Nuklearanlagen für Inspektionen der IAEO keine Versicherung gegen Angriffe der israelischen Luftwaffe darstelle. Das Feindbild wird von der Regierung Netanjahu weit über das wirkliche Bedrohungspotential Irans hinaus gepflegt. Washingtons Delegationsleiterin bei den Atomgesprächen, Wendy Sherman, eilte am Freitag von Bagdad direkt nach Jerusalem, um laut einer Erklärung des State Department »das unerschütterliche Engagement der USA für Israels Sicherheit zu bestätigen«.