Geschäftig ist man in Kalkutta zwar ebenso wie beim Widerpart an der Westküste, aber je weniger Lohnarbeit, desto besser. Die kommunistische ‚Partei der Arbeit‘ konnte sich 34 Jahre am Ruder halten, weil in ihrem Jargon kapitalistische Arbeit Ausbeutung und Sklaverei gleich kommt; Streiks hatten einen Touch von kultureller Noblesse, und Schwänzen war ein Bagatelldelikt. Erst als auch die Kommunisten sich dem Leistungsdenken des Marktes unterzuordnen begannen, waren ihre Tage gezählt.
Kaum beginnt sich der Monsun zu verabschieden – eine Zeit ‚erzwungener‘ Frei-Tage für Schüler und Werktätige – beginnen die Vorbereitungen für das Ganesh-Fest; es ist zwar ein Import aus Bombay, aber da es einige Feiertage verspricht, drückt man ein Auge zu. Dann folgt der Geburtstag von Vishwakarma, dem Gott des Handwerks und, falls es einen kommunistischen Olymp gäbe, der Thronanwärter für den Zeus-Posten. Aber in einer Gesellschaft, in der die dreckige Handarbeit den untersten Kasten empfohlen wird, siedelt Vishwakarma wahrscheinlich irgendwo am Fuss des Olymp. An der Vishwakarma-Puja werden Werkzeuge, von der Maurerkelle bis zum Taxi und dem PC, gesegnet. Nichts könnte bengalischer sein: ein arbeitsfreier Tag zu Ehren der Arbeit.
Schwerarbeit für ein neuntägiges Fest
Beide Feste sind lediglich Trainingspartien für die eigentliche Schwerarbeit des Jahres – die Vorbereitungen zur ‚Durga Puja‘, dem neuntägigen Fest der bengalischen Lieblingsgöttin. Es liegen zwar noch Wochen dazwischen, doch bereits macht sich in Kalkutta Geschäftigkeit breit. Der ‚Newmarket‘ ist voll von Shoppern. Kleider müssen gekauft werden, neue Möbel, Gewürze zur Herstellung der Chutneys und Pickles, und bei den Süsswarenherstellern bildeten sich die ersten Schlangen, einer Lieblingsbeschäftigung der Bengalen. Wenn das lokale Puja-Komitee vorbeikommt, um Geld für den ‚Puja‘-Pandal zu sammeln, muss man ihnen doch zuckertriefende Rasgullahs offerieren.
Puja-Pandals sind Altäre zu Ehren von Durga, die in jedem Quartier Kalkuttas aufgestellt werden. Aus Bambusgerüsten gefertigt, und vielen Tuchrollen, Styropor-Säulen und Gipsfiguren, beherbergen sie Durga, die tanzend und lächelnd den Büffel Mahishasura erlegt. Alles darum herum ist dem Einfallsreichtum der Künstler und der Spenderfreude der Quartierbewohner überlassen. Ein Pandal in einem Slum mag ein Notbehelf von Zeltdach sein, in einem wohlhabenden Quartier kann es, wie heuer, den Dakshineshwar-Tempel darstellen, zwanzig Meter hoch und ebenso breit und tief, jede Säule, Mauerkrone und Treppe realitätsgetreu nachgebildet.
Wenn alles einmal steht, beginnen die Bengalen ihre Pilgerschaft durch die Quartiere, bewundern den Einfallsreichtum der Bambusarchitekten und Drapierkünstler, und lauschen der lauten Musik, die die Trends für die Melodien und Rhythmen der kommenden Saison vorgeben – einmal mehr Volksmusik, oder eher religiös inspiriert, hier ein Einsprengsel von Punjabi Rock, dort die Tonfolge eines Bollywood-Hits. Falls der Strassensound ein Indiz ist, dürfte es dieses Jahr die Musik von Tagore-Liedern sein. Aus Lautsprechern an den grossen Kreuzungen der Stadt plärren in diesen Tagen seine sehnsüchtigen Elegien und vermischen sich mit den Hup-Petarden zu einem unnachahmlichen Schreikonzert. Rabindranath Tagore, der kulturelle Übervater Bengalens, Poet, Maler, Denker, Gärtner (u.v.m.), wäre in diesem Jahr 150 Jahre alt geworden.
Er wird daher in den meisten Pandals als Gipsfigur auftauchen, biblisch in seinem wallenden Bart und Kleid. Pandals sind so etwas wie die Schnitzelbänke an der Basler Fastnacht: Es sind dreidimensionalr Riffs auf Figuren der lokalen und globalen Politik, verzerrt als Clown oder Bösewicht, Rachegöttin oder Glücksbringerin. George Bush war vor einigen Jahren als Inkarnation des Bösen neben dem Büffel gestanden, in Gesellschaft von Bin Ladin. Barack Obama dagegen stand in der Gunst des Publikums, und daher in der Nähe Durgas.
Kommunisten als Bösewichte und ein neuer Liebling
Dieses Jahr nehmen die Rolle der Bösewichte die vor einigen Monaten abgewählten kommunistischen Mandarine ein, und die moderne Durga hat ebenfalls einen Namen und ein Gesicht: ‚Didi‘ – ‚Schwester‘ alias Mamata Banerjee, die die Kommunisten eigenhändig aus dem Amt verjagt hat. ‚Hemdsärmlig‘ wäre die adäquate Bezeichnung für sie, wäre dies nicht etwas unpassend für eine Sari-Trägerin. Aber wenn Jemand den Sari hemdsärmlig trägt, dann Didi: der ‚Pallu‘, das Endstück des Sari, das sonst vornehm über die Brust fällt, ist bei ihr ein zerknittertes Stück Baumwolltuch, über die Schulter gezogen und kategorisch in den Hüftrock geschoben. Es gibt ihr Bewegungsfreiheit, und diese braucht sie, denn sie liebt es zu laufen, mit raschen, kleinen Schritten. Nach der Vereidigung als erste weibliche Regierungschefin von Westbengalen vor drei Monaten lief sie zu Fuss die anderthalb Kilometer vom Gouverneurspalast zum ‚Writers Building‘, seit britischen Zeiten der Sitz der Regierung.
Das Bad in der Menge, man kennt das. Sie liebt es wie sonst nur die Pose der Volkstribunin, das Mikrophon wie eine Waffe schwingend. So war sie politisch grossgeworden, als blutjunges Mitglied des ‚Jugendkongresses‘, die sich in ihrem kleinbürgerlichen Quartier von Kalighat – unweit von Mutter Teresas Sterbeheim –mit den Banden der KP anlegte. Als sie, noch keine dreissig, Kongress-Abgeordnete in Delhi wurde, konnte sie schreiend und gestikulierend in den ‚Well‘ der Kammer steigen, den freien Raum zwischen Regierungs- und Oppositonsbänken. Dort ging sie den männlichen Gegnern buchstäblich an die Kleider, oder protestierte lauthals gegen die eigene Kongressregierung. 1997 trat sie aus der Partei aus und gründete ihre eigene.
Sogar den Begalen zu rabiat
Sie war so rabiat, dass selbst die emotionalen Bengalen ihrer überdrüssig wurden und sie vor sechs Jahren ins Exil schickten. Was sie rettete, war der erste ernsthafte Versuch der Kommunisten, sich mit dem Kapital anzufreunden, als sie das Tata-Unternehmen einluden, ausserhalb Kalkuttas eine Autofabrik zu bauen. Banerjee brandmarkte dies als einen Ausverkauf der bäuerlichen Scholle, und das Projekt, das mehrere tausend Arbeitsplätze geschaffen hätte, war gestorben. Dieselbe populistische Welle schwemmte sie nun ins Writers Building. Und wie alle grossen Populisten ist sie eine kleine Diktatorin. Die neun wichtigsten Ministerportefeuilles hat sie gleich für sich behalten.
Banerjee hat ihren Platz neben der Drachentöterin Durga also mehr als verdient. Die Beiden treten in den meisten Pandals übrigens in Begleitung eines jungen Fussballers auf, der gegenwärtig zweitpopulärsten Person in Kalkutta. Die Bengalen lieben den Zuschauersport, und nichts hat sie in den letzten Wochen so begeistert wie dieser junge Gott, der mit tänzerischer Leichtigkeit fussballerische Schwerarbeit leistet. Es war ein Geniestreich von Banerjee, zur Eröffnung des renovierten ‚Salt Lake Stadium‘ das argentinische Nationalteam einzuladen – und mit diesem auch Lionel Messi, Weltfussballer des Jahres und z.Zt. Assistent von Durga und Didi.