Dass nicht genügend Spannung erzeugt, nicht laut genug die Werbetrommel gerührt worden wäre, kann nun wirklich nicht behauptet werden. In der Endphase des deutschen Wahlkampfs, 21 Tage vor der Bundestagswahl am 24. September, Aufeinandertreffen der Polit-„Titanen“ Angela Merkel und Martin Schulz. 20 Millionen Zuschauer sagten die vier gastgebenden TV-Anstalten ARD, ZDF, RTL und SAT 1 voraus. „Letzte Chance für den Herausforderer“, posaunten die Gazetten landauf, landab, um mit gezielten Attacken und überzeugenden Argumenten das skeptische Stimmvolk vielleicht doch noch in Richtung Sozialdemokratie herüberzuziehen. Glühende Drähte in den Berliner Parteizentralen mit aufmunternden Botschaften an die Freunde und Anhänger „draussen im Lande“.
Noch 30 Prozent Unentschlossene
Und nun, nachdem die Show vorüber ist? Hat sich irgendetwas verändert im Land? Rund gerechnet ein Drittel der 61,5 Millionen Wahlberechtigten in Deutschland, sagen die demoskopischen Institute, seien hinsichtlich ihrer Stimmabgabe noch unentschlossen. Und zwar sowohl mit Blick auf die Parteienpräferenz als auch bei der Frage, ob sie überhaupt an die Urne gehen werden. Nach dem Verlauf des „Duells“ ist es jedenfalls schwer zu glauben, dass sich eine erkennbare Anzahl dieser Unentschlossenen tatsächlich beeindrucken liess. Denn von einem Duell konnte an diesem Sonntagabend, weiss Gott, keine Rede sein. Eher schon von einem (wenn auch nicht immer ganz harmonischen) Duett.
Am Tag danach prasseln Kritik und Häme geradezu hagelartig herab – vorweg natürlich auf Facebook und in den anderen digitalen Medien, aber auch in den Zeitungen. Die Moderatoren, heisst es dort, seien viel zu zahm gewesen, hätten nicht hartnäckig genug nachgebohrt und so den beiden Spitzenpolitikern da vorn klare Aussagen erspart. Nur: Derselbe Vorwurf könnte genauso gut den Leuten von den Druckmedien gemacht werden. Deren Interviews während der vergangenen Tage und Wochen mit denselben Personen haben in den zentralen Fragen keineswegs mehr an Erhellendem gebracht.
Das Konzept ist falsch
Dabei wäre die Lösung des Problems ziemlich einfach. Nur die Umsetzung würde ebenso wenig gelingen, wie es in der Vergangenheit der Fall war. Der Kardinalfehler dieser Art von „Duellen“ liegt darin, dass infolge der Themenfülle und gleichzeitig des Zeitmangels notgedrungen Fragen wie Antworten nur an der Oberfläche bleiben. Beispiel am Sonntagabend: Dass angesichts des Flüchtlingsstroms, vor allem nach Deutschland, das öffentliche Interesse in einem hohen Masse Problemen wie Integration, aber auch Kriminalität und sozialer Finanzierbarkeit gilt, ist selbstverständlich. Damit nahm es aber auch praktisch die Hälfte der Sendezeit ein. Die verbleibende reicht dann allerdings nicht aus, um nicht minder brennende Sorgen der Bürger auch nur einigermassen sorgsam zu beantworten: Bildung, Zukunft des Arbeitsmarktes nach den Gesetzen von Digitalisierung und Automatisierung, Altersvorsorge, Umwelt und Energie, Aussen- und Sicherheitspolitik …
Im Grunde müsste jedem dieser Komplexe ein eigener Sendeabend gewidmet werden. Nur dann könnten die Bürger (so sie denn auch selbst interessiert wären) Profit daraus ziehen und sich eine fundierte Meinung zu Personen und Programmen bilden. Dazu, indessen, wird es nicht kommen. Das liegt einmal zumindest an den öffentlich-rechtlichen Anstalten, deren entscheidende Gremien parteipolitisch durchsetzt und damit gesteuert sind. Es liegt aber auch an den Politikern, die immer schon direkten Einfluss auf Art und Gestaltung solcher Veranstaltungen genommen haben und gar nicht daran denken, diesen Einfluss aufzugeben. So mag man sich zwar aus gutem Grund über die Weigerung von Kanzlerin Merkel (oder genauer: ihres medialen Beraterteams) ärgern, nur einer einzigen TV-Runde (und zwar allein nach dem von ihr vorgegebenen Konzept) zu akzeptieren – tatsächlich hat sie sich damit jedoch nur eingereiht in die Phalanx ihrer Vorgänger.
Wer hat gesiegt, wer verloren?
Bleibt die Frage nach Sieger und Verlierer. Wenn man sich bloss die Antwort so leicht machen könnte, wie es die fixen „Zwitscherer“ im Berliner Willy-Brandt-Haus taten, der sozialdemokratischen Parteizentrale. Diese hätten nämlich bereits um 12.35 Uhr am Sonntag als klaren Gewinner in die digitale Welt gepustet: Martin Schulz. Dumm nur, dass die Sendung erst im 20.13 Uhr begann … Die von ARD und ZDF sofort nach dem „Duell“ durchgeführten Blitzumfragen ergaben (zwar mit unterschiedlichen Mehrheiten) eine Mehrheit für die Kanzlerin. Dieses Ergebnis dünkt den aufmerksamen Zuschauer nicht falsch. Martin Schulz steckte (das gilt im Übrigen für seine ganze Kampagne) in einer Zwickmühle. Er musste als Herausforderer attackieren. Das entspricht ja eigentlich durchaus seinem Naturell und auch seiner rhetorischen Begabung. Andererseits stand – wie eine Barriere – bei fast allen angesprochenen Themen die Tatsache, dass die von ihm geführte Partei (die SPD) als Juniorpartner gemeinsam mit der Union die Berliner Politik bestimmt hat. Wo soll da eine massive Kritik ansetzen?
Angesichts dieser Tatsache hatte es Angela Merkel ziemlich leicht. Sie brauchte sich, wie man im Fussball sagt, nur hinten hineinzustellen und die Bälle in den gegnerischen Raum zurückzuschlagen. Und das machte, man sah es ihm geradezu an, den Herausforderer zunehmend unsicher. Zudem hatte man ihm vermutlich bei den vorangegangenen „Trockenübungen“ für die Sendung die Weisung mitgegeben, sich verbal eher zurückzunehmen, weil das Publikum erfahrungsgemäss allzu viel Aggressivität nicht möge. Kein Wunder daher, dass am Ende der Eindruck von „Duett statt Duell“ überwog.
Das Rennen um Platz drei
Es müsste daher schon mehr als nur ein Wunder geschehen, wenn sich in der bis zum Wahltag verbleibenden Zeit auf der politischen Bühne der Bundesrepublik noch etwas wirklich Gravierendes verändern sollte. Merkel und die CDU/CSU liegen seit Wochen schon mit rund 15 Punkten vor der SPD und ihrem zum Jahresbeginn erst so fulminant gestarteten und kurz darauf krachend wieder auf dem Boden gelandeten Spitzenkandidaten Martin Schulz. Daher lautet die zunehmend wichtigere Frage, wer mit welcher Partei am Wahlabend die Position drei besetzen wird. Schulz wie Merkel vermieden es bei ihrem TV-Auftritt auffallend, sich so festzulegen, wie es den Stimmungen in ihren jeweiligen Parteien entspräche: Bloss keine Fortsetzung der Grossen Koalition. Was aber wäre, wenn die – unberechenbaren – Wähler genau auf diese Konstellation setzten?
Keine Frage, die CDU/CSU würde am allerliebsten wieder mit ihrem über lange Jahrzehnte als eine Art Mehrheitsbeschaffer fungierenden „Traditionspartner“ FDP zusammen gehen. Doch in den vergangenen Jahren hat sich die deutsche politische Landschaft gehörig verändert. Aller Voraussicht nach werden mindestens sieben Parteien im nächsten Deutschen Bundestag vertreten sein: CDU, CSU, SPD, FDP, Grüne, Linke, AfD. Zudem haben sich auf Kommunal- und selbst auf Länderebene längst Bündnisse gebildet, die noch vor gar nicht so langer Zeit als vollkommen ausgeschlossen galten. Man denke nur an Baden-Württemberg, wo die jahrzehntelang als Führungspartei agierenden Christdemokraten inzwischen als Juniorpartner der Grünen auftreten. Dafür sprangen in Hessen die einstigen Sonnenblumen-Freunde über ihren Schatten hinüber zur CDU. Oder Schleswig-Holstein, wo – schier unglaublich – seit kurzem unter einem „schwarzen“ Taktstock sogar Grüne mit den Liberalen musizieren.
Gewaltige Herausforderungen
Jeder auch nur einigermassen politisch informierte Zeitgenosse weiss, dass die kommenden Jahre die Politik (und damit auch die Gesellschaft) vor gewaltige Herausforderungen stellen werden. Und zwar keineswegs nur national. Die Flüchtlingswelle aus Nahost und Afrika schwappt ja nicht allein nach Deutschland. Wenn „Europa“ hier nicht gemeinsame Lösungen anbietet, wird es dramatisch werden. Wie begegnet man zum Beispiel den wirtschaftlichen und technologischen Herausforderungen des immer mächtiger werdenden China? Was wird aus der Partnerschaft mit den USA? Von Russland und dem (Noch-)Partner Türkei ganz zu schweigen. Dumm, dass den TV-Kontrahenten keine Antworten auf solche Fragen abverlangt wurden. Das wäre wichtiger gewesen als Stimmungs-Tweets ins Netz zu jagen.