Schuld daran seien "die Härten des Besatzungsregimes und die unverminderte Ausweitung der israelischen Siedlungen, die den Palästinensern immer weniger Entwicklungsraum lassen."
Unbeabsichtigt beleuchtet der Bericht des BIT die Diskussion in der Schweiz über die Ankündigung der Migros, ab 2013 die Herkunft von aus israelischen Siedlungen in den besetzten Gebieten stammenden Waren zu etikettieren. Pro-israelische Kreise verurteilen die Massnahme der Migros als diskriminierend. Ausserdem seien die palästinensischen Arbeiter, die um ihre Jobs auf den Farmen jüdischer Siedler fürchten müssten, die ersten Opfer eines möglichen Boykotts ihrer Produkte.
Dramatischer Wassermangel
Die Experten des BIT, die sich wie jedes Jahr vor Ort über die Lage in den von Israel besetzten Gebieten informierten, zeichnen ein weniger harmonisches Bild der Realität. 87 Prozent des fruchtbaren Jordan-Tals werden danach von israelischen Agrarbetrieben bewirtschaftet, die durch intensive Nutzung der Böden jährlich 500 Millionen Schekel (125 Millionen Franken) Gewinn erzielen, heisst es in ihrem Bericht.
Die Grundwasserreserven der Westbank werden zu 86 Prozent von den israelischen Siedlern abgepumpt, stellt das BIT fest. Dabei zweigen die Israeli wesentlich mehr Wasser für ihre Felder ab, als ihnen gemäss dem Abkommen von Oslo zusteht. Das Ergebnis ist ein dramatischer Wassermangel auf palästinensischer Seite, der mit niedrigen Ernteerträgen zu Buche schlägt.
Zerschnittene Dörfer
Die arabischen Einwohner der Westbank erlebten 2011 und in den beiden ersten Monaten 2012 auch die zunehmende Zerstörung ihrer Anwesen durch die Besatzungsmacht. Während dieses Zeitraums wurden 657 Gebäude und andere Strukturen demoliert. Zur Begründung dieser Aktionen heisse es meistens, die betroffenen Personen hätten kein Besitzdokument vorweisen können. "Echte Verbesserungen, die dem Frieden dienen und die Zukunft der Arbeiter und der Unternehmen in den besetzten Gebieten sichern, sind nur durch die Beseitigung aller Hürden für Mobilität und wirtschaftliche Tätigkeit zu erreichen", meint dazu der Generaldirektor des BIT, Juan Somavia.
Das Jordan-Tal gehört zur Zone C der 1967 von Israel eroberten Gebiete. Dort hat ausschliesslich die Besatzungsmacht das Sagen. Der 708 Kilometer lange "Trennungszaun", der Israel vor Attentätern schützen soll, zerschneidet zahlreiche palästinensische Dörfer oder hindert Bauern daran, ihre Felder zu bestellen. Mittlerweile haben sich die israelischen Siedler 43 Prozent der Westbank bemächtigt.
Widerrechtliche Besiedelung
Laut dem BIT-Report leben derzeit eine halbe Million israelische Siedler in den besetzten arabischen Gebieten. Ihre Zahl hat sich seit den Verträgen von Oslo im Jahre 1993 verdoppelt. In Oslo hatten die Palästinenser das Existenzrecht Israels anerkannt und als Gegenleistung eine Teilautonomie erhalten. Die völkerrechtswidrige Besiedelung der Palästinensergebiete ging aber unvermindert weiter. "Die auf dem Terrain entstehenden Fakten vermindern die Chancen für eine ausgehandelte Zwei-Staaten-Lösung ernsthaft", urteilt Somavia.
Viele palästinensischen Bauern haben keine andere Wahl, als Arbeit in einer israelischen Siedlung zu suchen. Sie verdienen dort aber weniger als ihre israelischen Kollegen und sind auch rechtlich benachteiligt. Während nämlich für alle israelischen Bürger das moderne israelische Arbeitsrecht gilt, werden die Palästinenser nach dem jordanischen Gesetz von 1967 behandelt.
Das Hauptproblem Arbeitslosigkeit
Eines der grössten Probleme der Palästinenser ist die hohe Arbeitslosigkeit. Vergangenes Jahr waren laut dem BIT 53,5 Prozent der jungen Frauen und 32,2 Prozent der Männer zwischen 15 und 24 Jahren arbeitslos. Die Gesamt- Arbeitslosenrate betrug 21 Prozent. Das ist die schlechte Nachricht. Die gute ist, dass die Zahl der Arbeitslosen 2011 im Vergleich zum Jahr 2010 um 4,1 Prozent gefallen ist.
Einige der besetzten Palästinensergebiete erleben sogar einen gewissen Wirtschaftsboom. Ihr Bruttosozialprodukt nimmt seit 2008 ständig zu - 2011 betrug das Wachstum 10,7 Prozent. Diese Erfolge beruhen aber vor allem auf der Entwicklung im Gazastreifen. Dort stieg das Volkseinkommen 2011 um unglaubliche 26,6 Prozent.
Der Schmuggel
Die Statistiken sagen aber nicht die ganze Wahrheit. Die sagenhaften Zuwachsraten im Gazastreifen gehen von einem niedrigen Niveau aus und gründen vor allem auf den regen Schmuggel von Waren aller Art durch ein Tunnelsystem unter der Grenze mit Ägypten. 9000 Menschen arbeiten laut dem BIT in diesen Tunnels. "Dieser schwarze Markt hat eine neue Klasse von Millionären hervorgebracht, die ihrerseits die Nachfrage stimulieren", stellt der Bericht fest. Die Führer der Hamas regulieren den Schmuggel und stecken einen Teil der Gewinne ein. Doch 70 Prozent der Bevölkerung des Gazastreifens sind weiterhin von humanitärer Hilfe abhängig. Und die Fischer mit ihren Booten können nicht aufs offene Meer hinaus, weil ihnen Israel eine Drei-Meilen-Grenze vorschreibt.
"Echte Verbesserungen, die dem Frieden dienen und die Zukunft der Arbeiter und der Unternehmen in den besetzten Gebieten sichern, sind nur durch die Beseitigung aller Hürden für Mobilität und wirtschaftliche Tätigkeit zu erreichen", schreibt Generaldirektor Somavia in seinem Vorwort zum Palästinabericht des BIT.