Die Migranten zeigen uns die Realität, vor der wir uns im „Erfolgsmodell Schweiz“ nur allzu gerne verstecken. Zeit für einen Augenschein.
Journal21.ch will die Jungen vermehrt zu Wort kommen lassen. In der Rubrik „Jugend schreibt“ nehmen Schülerinnen und Schüler des Zürcher Realgymnasiums Rämibühl regelmässig Stellung zu aktuellen Themen.
Cyrill Dankwardt ist 16 Jahre alt und lebt in Zürich. Er besucht die vierte Klasse des Realgymnasiums Rämibühl und interessiert sich unter anderem für Geschichte und Politik.
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Die Vorzüge der Drittweltländer lassen sich kaum verneinen. Wo Armut herrscht, kämpft man ums tägliche Brot, nicht um Rechte. Perfekte Bedingungen für das Fördern von Rohstoffen und Mineralien oder die Billigproduktion. Über die Folgen dieser Ausbeutung aber schauen wir gerne hinweg, die geographische Entfernung macht’s möglich.
In der Schweiz ist die Situation anders. Die Schweiz ist ein reiches Land und auch politisch geht es uns gut. Menschen- und Kinderrechte geniessen innerhalb unserer Grenzen hohen Rückhalt und werden dementsprechend auch bedingungslos durchgesetzt. Im weltweiten Vergleich Luxus, nicht Normalität.
Der Begriff „Erfolgskonzept Schweiz“ hat sich mittlerweile schon fast eingebürgert: Menschen sind stolz darauf, Teil der Schweiz zu sein. In diesem Denken wird die Geburt in einen Staat, in eine Gesellschaft als Leistung gesehen und Privilegien als gegeben betrachtet, wenn nicht sogar schon als Eigenverdienst.
Und es steigt uns zu Kopf. Die Schweizer Bürger sitzen auf dem Thron und bestimmen, wem Schutz gewährt wird und wem nicht. Wer vor Krieg und Verfolgung flieht, dem wird zähneknirschend Schutz geboten und er wird dazu in eine Asylunterkunft eingesperrt und gedemütigt. Nur solange sich die Menschen vor den Königinnen und Königen verneigen, sind sich die Herrschenden ihrer Macht und Übermacht bewusst.
Wehe aber denjenigen, die keine Verfolgung, keinen Krieg nachweisen können. Für Hungernde bietet der überquellende Esstisch nicht den mickrigsten Krümel. Muss man als Schweizer doch erst im Duden nachschlagen, was „Hunger“ bedeutet. Und selbst dann: Wenn sie kein Brot haben, sollen sie doch Kuchen essen.
Nein, stattdessen müssen sie als Sündenbock herhalten. Gewisse Parteien sind noch so erpicht darauf, ihnen alle Schuld der Welt in die Schuhe zu schieben: Diskriminierung und Gewalt gegen unsere Frauen, Drogen für unsere Kinder. Sogar für den Klimawandel machen sie die Flüchtlinge und Migranten alleinig und persönlich verantwortlich – Als ob alles Übel in der Schweiz nur zugewandert sei.
Dabei tragen die Migranten die Verantwortung nur zurück zu den Industriestaaten, deren Reichtum auf den Schultern eben der Entwicklungsländer fusst. Während man früher noch Tausende Kilometer von den Folgen der Ausbeutung getrennt war, so stehen sie plötzlich an der Grenze. Die Migranten zeigen uns die Realität, vor welcher wir uns am liebsten verstecken würden. Und natürlich könnten wir uns hinter Mauern verstecken, Migranten abschieben oder gleich im Mittelmeer ertrinken lassen. So könnten wir weiterhin im Glauben leben, die Mineralien in unseren Smartphones wachsen im Berner Oberland an Apfelbäumen und der Kakao bei Lindt im Hinterhof. Oder aber wir anerkennen, dass es so etwas wie Menschenrechte gibt und dass sie universell sind.
Uns bleiben im Grunde genommen zwei Möglichkeiten: Erstens, wir übernehmen Verantwortung im grossen Massstab und setzen die Menschenrechte auf dem gesamten Globus durch; was zum einen für ein Leichtgewicht wie die Schweiz nicht machbar wäre und zum anderen mehr an Kolonialismus und Missionierung erinnert. Die andere Option ist einfacher: Wir übernehmen die Verantwortung innerhalb unserer Grenzen. Wir verbieten Ausbeutung und Menschenrechtsverletzungen von unserem Staatsgebiet aus und wir betrachten Migranten ohne Seitenblick auf ihre Migrationsursache als das, was sie sind: Menschen.
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Verantwortlich für die Betreuung der jungen Journalistinnen und Journalisten von „Jugend schreibt“ ist der Deutsch- und Englischlehrer Remo Federer ([email protected]).
Weitere Informationen zum Zürcher Realgymnasium Rämibühl unter www.rgzh.ch