Nichts wienerisch Morbideres hätte Otto von Habsburg sagen können als den Satz, mit dem ihn Kardinal Christoph Schönborn im Wiener Stephansdom zitierte: Der wichtigste Moment im Leben sei der Tod. Dieses Diktum barg am Ende sogar ein Körnchen Wahrheit: Politisch und dynastisch bedeutet der Tod des letzten echten Habsburger Kronprinzen - vielleicht - den Epilog der monarchischen Vergangenheit Österreichs. Nicht des Mythos, der überleben wird, denn was würde Österreich Tourismus ohne Kaiserin Sisi tun?
Die geschickte Heiratspolitik der Habsburger, mit der sie ihren Landbesitz ständig vergrösserten, wurde mit dem Distychon apostrophiert, das glückliche Österreich heirate, statt Kriege zu führen («Bella gerant alii, tu felix Austria nube»). Nun ist sein Sterben noch wichtiger geworden als das lange Leben Ottos von Habsburg, denn es existiert eine Republik Österreich, die noch einmal gute Miene zum höchstherrschaftlichen Spiel machte und es grosszügig und teilweise zähneknirschend zuliess, dass die Operette der Abdankung und Beisetzung wie eine grosse Oper inszeniert wurde.
Otto von Habsburg diente bis zuletzt als Projektionsfläche für allerlei Ideen und Sehnsüchte. Davon zeugten nicht zuletzt die vielen Retro-Gruppen, die für seine Abdankung ihre Fahnen entrollten sowie Trachten und Uniformen aus den Mottenschränken holten: Schützenvereine, Traditionsregimenter wie die Deutschmeister, Goldketten tragende Ordensherren, Farben tragende Studentenverbindungen und Burschenschaften, bei deren Anblick es einen frieren konnte. Sogar echte Bundesheersoldaten marschierten im «Trauerschritt» mit.
Die Republik Österreich tat sich lange schwer mit dem Habsburger-Erbe, aber sie liess sich trotz des «ewigen» Landesverweises mehrmals erweichen. Zita, geborene Bourbon-Parma, verstand sich bis zuletzt als Kaiserin und benahm sich auch so, sogar als sie in der Schweiz lebte. Am genüsslichsten wurde sie von Thomas Hürlimann beschrieben. Sie erzog ihren Sohn, der mit sieben Jahren bereits Ex-Kronprinz von Österreich-Ungarn war, unbeirrt zum Thronfolger, und sie war dagegen, als er 1961 eine formelle Verzichterklärung auf dynastische Ambitionen unterschrieb und sich in Österreich mehr oder weniger schlicht Otto Habsburg-Lothringen nennen liess, weil er als Europaparlamentarier gerne auch Österreich bereisen wollte. An dieser «Habsburg-Krise» zerbrach damals beinahe die österreichische Koalition. Zita wurde 1989 trotz erbitterter Widerstände mit ähnlich grossem Pomp wie jetzt ihr Sohn in Stephansdom und Kapuziergruft verabschiedet und beigesetzt.
Otto von Habsburg wendete sich kompromisslos gegen die Nationalsozialisten, nachdem er Hitlers «Mein Kampf» gelesen hatte. Er agitierte ebenso heftig gegen den Kommunismus, und es heisst, dass er 1989 ein Picknick an der österreichisch-ungarischen Grenze organisierte, nach dem der Stacheldraht zerschnitten und Tausenden von DDR-Bürgern die Ausreise in den Westen ermöglicht wurde. Aber er war oft nicht wählerisch in seinen Vergleichen. Als sein Sohn Karl, dem er vor einigen Jahren die Führung des «Erzhauses» übergab, wegen finanzieller Machenschaften zur Kasse gebeten wurde, verglich er diese Untersuchungen mit den Nazi-Verfolgungen der «armen Juden, an die ich oft denke». Und den Einmarsch der USA in Irak schrieb er dem – angeblichen - Umstand zu, dass das Verteidigungsministerium der USA von Juden und das Aussenministerium von Schwarzen besetzt sei.
Habsburg muss aber auch Humor gehabt haben. Als man ihm von einem bevorstehenden Fussballspiel Österreich-Ungarn berichtete, soll er höchstselbst maliziös gefragt haben: «Gegen wen spielen wir denn?» Auch für ihn galt wohl, was Thomas Bernhard das ewige Schwanken der Österreicher zwischen Grössenwahn und Minderwertigkeitskomplex nannte.
Auch die Abdankung war ein gutes Beispiel dafür. Der Kardinal erwähnte, ohne schamrot zu werden, die Abordnungen aus den «Kronländern» und nannte den Verstorbenen den «hohen Herrn». Der Nuntius verlas eine Beileidsbotschaft des Papstes, der den Tod «seiner kaiserlichen und königlichen Hoheit» bedauerte. Und die Spitzen der österreichischen Republik liessen es über sich ergehen, dass nach dem hübschen Requiem von Michael Haydn auf Wunsch der Familie stehend alle Strophen der Kaiserhymne des berühmteren Haydn gesungen wurden.
Nach einem Fussmarsch von mehr als einem Kilometer quer durch die historische Wiener Innenstadt mit ihren grossartigen Habsburger Prachtbauten kam der «Trauerkondukt» vor der Kapuzinerkirche an. Und hier entfaltete sich dann auch das Schauspiel, das man doch schon aus den Mayerling-Filmen kannte: Ein Zeremonienmeister klopfte dreimal an die Pforte, um für den Toten um Einlass zu bitten, doch die Kapuziner lassen ihn erst herein, wenn er nicht mehr mit Titeln, sondern nur noch als «sterblicher, sündiger Mensch» angekündigt wird.
Die längst verwehten Titel ohne Mittel ertönten ja wieder durchaus pompös, wenn auch vermutlich zum letzten Mal öffentlich: «Otto von Österreich, einst Kronprinz von Österreich-Ungarn, königlicher Prinz von Ungarn und Böhmen, von Dalmatien, Kroatien, Slawonien, Galizien, Lodomerien und Illyrien, Grossherzog von Toskana und Krakau, Herzog von Lothringen, von Salzburg, Steyer, Kärnten, Krain und der Bukowina, Grossfürst von Siebenbürgen, Markgraf von Mähren, Herzog von Ober- und Niederschlesien, von Modena, Parma, Piacenza und Guastalla, von Zator, Teschen, Friaul, Ragusa und Zara,, gefürsteter Graf von Habsburg und Tirol, von Kyburg, Görz und Gradisca, Fürst von Trient und Brixen, Markgraf von Ober- und Niederlausitz und in Istrien, Graf von Hohenems, Feldkirch, Bregenz, Sonnenberg, Herr von Triest, von Cattaro und auf der Windischen Mark, Grosswojwode der Wojwodschaft Serbien. Auch dass er «Herzog von Auschwitz» war, wurde nicht verschwiegen. Weggelassen wurde allerdings, im Gegensatz zur «Anklopfzeremonie» seiner Mutter, das Königreich Jerusalem.