Die 15 Mitglieder des Weltsicherheitsrats haben vor einer Woche in einer gemeinsamen Erklärung die Gewalt gegen Zivilisten in Syrien „scharf verurteilt“. Besonders empörend findet das höchste Organ der Vereinten Nationen den Abwurf von Fassbomben durch die syrische Luftwaffe auf ein Flüchtlingslager im Norden des Landes, bei dem Dutzende Menschen getötet worden seien.
Die Erklärung fordert die Kriegsparteien auf, unter allen Umständen das humanitäre Völkerrecht zu achten und innersyrische Verhandlungen über eine dauerhafte Lösung der Krise aufzunehmen. Auf mehr als diese Phrasen konnte sich der Weltsicherheitsrat nicht einigen.
Also nichts Neues aus dem Uno-Hauptquartier am New Yorker East River? Doch der Sonderbeauftragte der Vereinten Nationen für Syrien, Staffan de Mistura, hat einen Stein in den stillen Tümpel geworfen. Der schwedisch-italienische Doppelstaatsbürger steht seit 40 Jahren im Dienste der UN und war unter anderem in Afghanistan, Ruanda, Somalia, im Libanon, Irak, Sudan und in Ex-Jugoslawien im Kriseneinsatz. 2011 bis 2013 amtete er als italienischer Vize-Aussenminister. Der 67-Jährige glaubt nicht mehr an den Erfolg grosser Syrienkonferenzen. Er schlägt dem Sicherheitsrat vor, mit einer Reihe lokaler Waffenstillstandsabkommen den Grundstein für den Frieden zu legen. Als mögliche erste Zone, wo der Krieg „eingefroren“ werden könnte, nannte de Mistura die umkämpfte Millionenstadt Aleppo.
Pakt mit Assad?
„Ich habe keinen Friedensplan, das wäre anmassend, aber ich habe einen Aktionsplan“, erklärte de Mistura vor Journalisten. Er stellt sich auf lokaler Ebene eine Zusammenarbeit aller jener Kräfte vor, die sich einig sind, dass der „Islamische Staat“ und die Al-Nusra-Front gestoppt werden müssen. In einem Gespräch mit Baschar Al-Assad habe er den Eindruck erhalten, dass auch der syrische Präsident über den Vormarsch der Dschihadisten besorgt ist.
Auf die Frage eines Journalisten, ob die internationale Gemeinschaft mit dem Regime in Damaskus zusammenspannen sollte, antwortete de Mistura ausweichend: Assad habe jetzt die Gelegenheit, zu beweisen, dass er gegen den IS und die Al-Nusra-Front kämpft und als nächsten Schritt einen politischen Prozess aller Syrer anstösst.
Uneinigkeit der Vetomächte
Steckt hinter der Zuversicht des Italo-Schweden die Taktik eines Draufgängers? De Mistura hat seinen Posten erst im Juli vom Algerier Lakhdar Brahimi geerbt, der verzweifelt das Handtuch warf. Brahimis Vorgänger Kofi Annan, der erste Syrien-Vermittler der Uno und der Arabischen Liga, gab den Job im August 2012 nach bloss sechs Monaten auf, weil er erkannte, dass er trotz seines Prestiges als früherer Uno-Generalsekretär in Damaskus überhaupt nicht ernst genommen wurde. Sowohl Annan wie Brahimi beklagten wiederholt, dass die Uneinigkeit der Vetomächte im Sicherheitsrat jeglichen Fortschritt verbaute. An dieser Lage hat sich bis heute nichts geändert.
Die Syrienkrise dauert bereits dreieinhalb Jahre. Nach den Angaben der Uno wurden bisher mehr als 150.000 Menschen getötet und 680.000 verwundet. 2,5 Millionen Syrer sind vor den Kämpfen in Nachbarländer geflüchtet und 6,5 Millionen irren im eigenen Land herum. Zwei Runden der Genfer Syrien-Konferenz zeitigten keinerlei Erfolge. Alle Bemühungen, die verschiedenen politischen Gruppen um einen Tisch zu vereinigen, liegen derzeit auf Eis.
Abgehoben von der Realität
Die jüngste Erklärung des Weltsicherheitsrats betont, dass der am 30. Juni 2012 in Genf beschlossene Sechs-Punkte-Plan die Grundlage eines umfassenden Friedensabkommens bleibe. Er sieht die Bildung einer breiten Übergangsregierung und die Abhaltung freier Wahlen unter Teilnahme aller politischen Parteien vor. Dieser Plan ist so abgehoben von den Realitäten vor Ort, dass sogar die nicht zu Mehr-Parteien-Systemen neigenden Chinesen ohne Vorbehalte zustimmen konnten.
Die damalige US-Aussenministerin Hillary Clinton forderte Al-Assad ab August 2011 regelmässig zum Rücktritt auf, weil sein Verfallsdatum abgelaufen sei. Mehr als drei Jahre später ist der syrische Machthaber noch immer im Amt und der Westen in der Bredouille. Die USA und ihre Verbündeten stellen resigniert fest, dass sie weiterhin mit dem Regime in Damaskus leben müssen und Assad letztlich nicht die schlechteste Option ist. Ihr Hauptfeind ist jetzt der terroristische „Islamische Staat“, der sich grenzüberschreitend ausbreitet.
Mit Schweigen quittiert
Die syrische Opposition ist heillos zerstritten und stellt keine politische Kraft dar. Die etwa 5000 Mann starke „Freie Syrische Armee“ verzeichnet nur im Süden des Landes um die Hauptstadt einige Erfolge gegen die Regierungstruppen. Ihre Mitglieder sind nicht motiviert, gegen die Dschihadisten zu kämpfen, sondern sehen ihren einzigen Feind im Assad-Regime. Auch die kürzlich vom US-Kongress bewilligte Militärhilfe im Wert von 500 Millionen Dollar wird keinen Umschwung in der „Freien Syrischen Armee“ bewirken.
Auf der anderen Seite verfügen auch die Streitkräfte der Regierung über zu wenig Soldaten und Waffen, um sich landesweit durchzusetzen. Derzeit beherrschen sie höchstens ein Drittel des Staates. Dieser Umstand könnte zu einer Drei- oder Vierteilung Syriens führen, was weder im Interesse der USA noch Russlands zu liegen scheint.
Die Idee einer Vielfalt lokaler Waffenstillstandsabkommen birgt die Gefahr einer dauerhaften Zersplitterung des syrischen Staates. Der Weltsicherheitsrat quittierte den Vortrag de Misturas mit Schweigen. Doch der verdiente Diplomat mit zwei Pässen will an „Tropfen der Hoffnung“ glauben, „die Flüsse und Meere hervorbringen können“.