Alessandro P. ist Schreiner in einem Städtchen nahe von Siena. Er ist ein guter Schreiner. Knapp 50 Jahre alt, ein ehrenwerter Mann. Über Arbeit kann er sich nicht beklagen. Zusammen mit seiner Tante führt er eine Schreinerwerkstatt. Oft arbeitet er sechs Tage die Woche.
Jetzt fährt er mit seiner Frau in die Ferien ans Meer. Drei Tage. Ein Hotel kann er sich nicht leisten. „Hotels sind nur noch für Ausländer,“ sagt er. Die Hotelpreise seien „unbezahlbar“.
Die Touristen und die Reichen sind in Forte dei Marmi, in Sestri Levante, in Viareggio, in Taormina. "95 Prozent der Italiener können sich nicht leisten, dort nur einen Fuss hinzusetzen. Das ist nicht Italien.“
Alessandro und seine Frau fahren nach Marina di Grosseto am tyrrhenischen Meer, nicht eben ein mondäner Ort. Seit Jahren besitzen sie einen winzigen Wohnwagen, „einen Joghurt-Becher auf Rädern“.
Auch die Campings sind teuer geworden. „35 Euro pro Tag, das ist zu viel,“ sagt er. So campieren die beiden eben wild, neben den offiziellen Campings. Die meisten Italiener tun das.
„Das ist Italien,“ sagt Alessandro.
Ein Liegebett am Strand mit Sonnenschirm leisten sich nur wenige. 20 Euro pro Tag und Person – zu viel. In Forte dei Marmi und in Viareggio, erzählt Alessandro, würden bis zu 40 Euro verlangt.
Gut die Hälfte der Italiener (30 Millionen) fahren in diesem Sommer nicht in die Ferien. Das zeigen offizielle Statistiken. Und jene 28 Millionen, die verreisen, tun dies meist nur für wenige Tage. Statistisch gesehen gehören Alessandro und seine Frau zu den glücklichen Ferienmachern.
Es ist erniedrigend
Alessandro geht es besser als vielen andern. Er hat Arbeit. Doch viel Geld hat er nicht. Denn oft wird die Arbeit nicht bezahlt. „Ich arbeite tagelang, dann sagt man, man könne nicht bezahlen, ich solle eben warten.“ Meistens wartet er vergebens. Mindestens die Hälfte seiner Arbeit wird nicht voll bezahlt. „Manchmal erhalte ich – viel später – zwei Drittel oder einen Drittel.“ Manchmal erhält er gar nichts.
Verlangt er Vorauszahlung, kommen die Leute erst gar nicht. „Ich muss bitten und betteln, es ist erniedrigend.“
„Das ist Italien.“
Einmal kam ein Inspektor in seine Werkstatt. Er sah, dass das Sägemehl nicht ausserhalb des Hauses gelagert wurde. So schreibt es ein neues Gesetz vor. Dass es dieses neue Gesetz gibt, wusste niemand. Italien produziert Gesetze, wie Hühner Eier legen. Alessandro wurde gebüsst. 2‘000 Euro. Netto verdient er pro Monat 1'200 Euro. Auch die Polizei kannte das neue Gesetz nicht. Der Inspektor kannte es.
Jeder pickt dem andern ein Auge aus
Alessandro erzählt von einem Freund, der einen grossen Landwirtschaftsbetrieb hat. Der Freund hat einen Juristen angestellt. Seine einzige Aufgabe ist es zu prüfen, welche neuen Gesetze es gibt.
Und Renzi? Wird jetzt nicht alles besser? „Ach, das bringt nichts. Italien ist nicht fähig, sich zu reformieren. Die Politik ist ein Hühnerhof, jeder pickt dem andern die Augen aus.“
Vielleicht nimmt Alessandro nach Weihnachten nochmals drei Tage Ferien. „Wenn ich es mir leisten kann.“
Die jetzigen dreitägigen Ferien in Marina di Grosseto waren wenig erfolgreich. Es hat geregnet.