Der SMI stieg in den letzten gut zweieinhalb Jahren von rund 5800 auf über 9200 Punkte. Und liegt wieder über 8500 Punkten, hat in gut zwei Wochen fast die Hälfte des Einbruchs nach der Aufhebung des Euromindestkurses kompensiert. Aber die Schweiz steht offenbar unter Schock.
Unter Schock
Eine Schweizer Privatbank verkündet einen Rekordgewinn für 2014 und will nun Leute entlassen. Der Chef des grössten Schweizer Uhrenkonzerns spricht von einem Tsunami, den der Entscheid der Schweizerischen Nationalbank (SNB) ausgelöst habe, derweil die Branche ein weiteres Rekordjahr hinter sich hat und die aktuellsten Prognosen für 2015 gut sind. Ein Medtech-Unternehmen bittet seine Mitarbeitenden auf Lohnverzicht, ein Detailhandelsriese verkündet einen Personalstopp, Wachstumsprognosen werden nach unten revidiert, Medien haben das Thema „Frankenschock“ als Serie eingeführt.
Die Schweiz steht offenbar unter Schock. Dabei hat die SNB nichts anderes getan, als sie ganz zu Beginn der Verteidigung eines Euro-Mindestkurses von 1.20 angekündigt hatte. Sie hat diese vorübergehende Massnahme beendet. Denn es war von Beginn weg eine vorübergehende Massnahme. Vorüber-gehend. Und wer die Entwicklung in der Euro-Zone in letzter Zeit ein wenig verfolgt hat, der musste auch ohne grosse Fachkenntnisse feststellen: Hier bewegt sich ein Lift mit einer Kraft abwärts, den niemand aufhalten kann.
Der SMI hat fast 50% des Einbruchs wettgemacht
Gut zwei Wochen später hat der SMI fast die Hälfte des Kursverlustes kompensiert. Der Euro liegt bei fast 1.06 (Stand 4.2., nachmittags). Kein Vergleich zu 2011, als der Kurs von 1.30 am 11. April bis auf unter 1.03 am 10. August fiel. Ab dem 6. September 2011 erfolgte dann der Eingriff der SNB. Bitte beachten: Der Kurs lag vorher bei 1.30 und höher. Die SNB verteidigte eine Untergrenze von 1.20, also bedeutend tiefer als der Kurs zuerst war. 2010 lag er sogar bei über 1.40. Der SMI aber stieg und stieg seither, und wir hätten wohl schon bald das Durchbrechen der magischen und «psychologisch wichtigen» 10’000er Grenze gefeiert.
Was die Ereignisse der letzten Wochen aufzeigen, ist die offensichtliche Vergesslichkeit und Skrupellosigkeit gewisser Manager, die nun – öffentlich – die Entwicklung vor zwei Wochen als Anlass nehmen, Änderungskündigungen zu verschicken, um Löhne zu senken, Arbeitsplätze ins Ausland verlegen wollen, dramatische Sparmassnahmen verkünden, umgehend nach – erneuter – staatlicher Unterstützung schreien, energisch Massnahmenpakete präsentieren und über für jede «bad news» dankbare Medien Angst und Schrecken verbreiten. Wer die Zeitungen liest, hat den Eindruck, dass unser Land einmal mehr kurz vor dem Ende steht.
Qualität und Zuverlässigkeit
Noch schlimmer sind die Ignoranz und Arroganz dieser so genannten «Führungskräfte» und «Wirtschaftskapitäne». Denn sie haben ganz offensichtlich ignoriert, dass die SNB von Beginn weg gesagt hat, die Massnahme sei vorübergehend. Und sie waren offensichtlich der Meinung, sie würden über den Ereignissen stehen. Nicht erwähnt bleiben freilich all die Unternehmerinnen und Unternehmer, die vorsichtig agiert und Reserven gebildet haben, um auch mal eine Baisse durchstehen zu können. Denn jeder Unternehmer weiss aus Erfahrung, dass es nicht immer nur aufwärts gehen kann. Und wer in der Schweiz tätig ist, weiss auch, dass die Qualität der Arbeit und der Mitarbeitenden der Schlüssel zu nachhaltigem Erfolg ist. Unser einziger Rohstoff ist unsere Zuverlässigkeit qualitativ hervorragender Arbeit.
Kein seriöses Unternehmen kann innert zwei Wochen wissen, wie sich das Geschäftsjahr entwickeln wird, wenn allein in diesen zwei Wochen beim SMI-Index und Eurokurs erlittene Einbrüche dermassen signifikant kompensiert worden sind. Das kann sich wieder ändern, zeigt aber vor allem auf, wie dynamisch die Entwicklung ist, zumal die SNB ja nicht einfach zuschaut. Im Auftrag der SNB lautet wörtlich: «Sie muss sich gemäss Verfassung und Gesetz vom Gesamtinteresse des Landes leiten lassen, als vorrangiges Ziel die Preisstabilität gewährleisten und dabei die Konjunktur berücksichtigen. Sie setzt damit eine grundlegende Rahmenbedingung für die Entwicklung der Wirtschaft.»
Schweizer Unternehmen sind die schlimmsten Einkaufstouristen
In der Schweiz kommt noch etwas Stossendes dazu, und ich nenne hier bewusst keine Namen: Unternehmen, die auf Swissness pochen, den Standort Schweiz lobpreisen, höhere Preise mit den hohen Lohn- und Infrastrukturkosten hierzulande rechtfertigen, den Einkaufstourismus im Ausland anprangern und dabei selber Dienstleistungen im Ausland einkaufen, weil das dort billiger ist. Ich meine dabei nicht Maschinen, Rohstoffe oder Halbfabrikate, sondern zum Beispiel Werbung oder Drucksachen. Werbeagenturen in der Schweiz erleben immer öfter, dass Kampagnen im Ausland realisiert werden, weil das dort billiger sei. Dieselben Unternehmen, die ihre Preise mit den Lohn- und Infrastrukturkosten in unserem Land begründen, rechnen Werbern vor, dass ihre Dienstleistungen hierzulande zu teuer sind. Und wenn ein Auftrag dann doch in der Schweiz vergeben wird, dann zu internationalen Konditionen. Soll die Agentur selber schauen, wie sie ihre Löhne bezahlen kann.
Ich rede von Unternehmen, die in der Schweiz tätig sind und hier ihr Geld verdienen. Dasselbe gilt für Drucksachen. Für 1,7 Mrd. Franken wurden laut Viscom, dem Schweizerischen Verband der grafischen Industrie, 2013 Drucksachen in die Schweiz importiert. Von Schweizer Unternehmen, die hier ihr Geld verdienen und ihre hohen Preise damit begründen, dass in der Schweiz eben alles ein bisschen teurer ist. Websites werden in der Karibik oder in Indien programmiert, obwohl das heute aufgrund neuer Software auch bei uns genau so günstig erledigt werden könnte. Prozesse sind grotesk umständlich, zeit- und kostenintensiv, Drucksachen werden tonnenweise aus dem Ausland in die Schweiz gekarrt. Gleichzeitig wird in Imagebroschüren auf die Verbundenheit mit unserem Land hingewiesen und darauf, dass, wo immer möglich, Ressourcenverschwendung verhindert wird.
2015 ist auch ein Wahljahr
Bis etwa 2008 grassierte in gewissen Branchen in den Chefetagen das «Double Digit Growth»-Prinzip. Nur ein Wachstum innert Jahresfrist im zweistelligen Prozentbereich war ein akzeptables Wachstum. Analysten erwarteten das, Aktionäre erwarteten das mit Blick auf eine möglichst fette Dividende. Dem wurde alles untergeordnet. Dass das nicht immer so weitergehen konnte, war zwar klar. Aber jeder Abteilungsleiter hoffte mit Blick auf Bonus und allenfalls Beförderung, er schaffe nochmals eine Quote von mindestens 10%. Heute brauchen wir offenbar ein Double Digit Growth in ganz anderen Bereichen: im Rückgrat von Führungskräften beispielsweise.
Jeder Freizeitkapitän weiss, dass er gerade in stürmischen Zeiten die besten Leute um sich herum braucht, um das Schiff heil in den sicheren Hafen zu bringen. Die besten Leute sind aber selten die billigsten. Das lernen wir ausgerechnet von jenen Wirtschaftskapitänen, die nicht müde werden zu begründen, warum sie soviel mehr verdienen müssen. Wir brauchen Entscheider in der Privatwirtschaft, aber auch in der Verwaltung und in der Politik, die intelligent und vernünftig agieren. Nicht hysterisch und vor allem weniger selbstgerecht und Profit- oder Publicity-gierig.
Es ist aus heutiger Sicht anzunehmen, dass 2015 in den meisten Branchen kein Rekordjahr wird. Das ist nicht weiter schlimm, wenn nun nicht die Gier nach weiterer Profitmaximierung obsiegt, sondern die Zeit genutzt wird, die Effizienz in den Prozessen, Innovation und Engagement weiter zu steigern, wenn intelligente und weitgehend ehrliche Menschen auf der Brücke stehen und all die, welche nun gleich nach Abbau und Kürzungen schreien, bis auf weiteres unter Deck geschickt werden. Und es wird letztlich vielleicht sogar doch noch ein sehr gutes Jahr, wenn Weitsicht, Aufmerksamkeit und echtes unternehmerisches Denken an Bedeutung zunehmen. Vorzugsweise in einem zweistelligen Prozentbereich. Potenzial scheint vorhanden zu sein. Und da 2015 ja ein Wahljahr ist, könnten wir zumindest bei den Politikern die eine oder andere Weiche stellen. Wenn wir wollen.