Die Waffenruhe in Syrien, die am 29. Dezember um Mitternacht begann, ist ein Teilwaffenstillstand. Ein Teil der Rebellen, die sich gegen die Regierung von Damaskus erhoben haben, ist von ihm ausgeschlossen. So mit Sicherheit der IS; darin stimmen alle Beteiligten überein. Doch bereits in der Frage, ob auch die frühere Nusra Front, die heute „Siegesfront von Syrien“ heisst, ebenfalls ausgeschlossen sei, gibt es unterschiedliche Aussagen und Auffassungen. Mehrere Sprecher von Widerstandsgruppen erklärten der Agentur Reuter, Ex-Nusra sei einbezogen. Manche sagten, ihre eigene Gruppe habe darauf bestanden, dass Ex-Nusra mit eingeschlossen werde, „nicht um die Front zu schonen“, wie einer sich äusserte, „sondern weil Ex-Nusra eng mit uns verflochten ist und nicht von uns getrennt werden kann!“
Doch die Sprecher der syrischen Armee erklären, für Ex-Nusra gelte die Waffenruhe nicht. Die Russen sagen ihrerseits, nur die sieben Gruppen, welche sie nennen, hätten den Waffenstillstand unterschrieben, und er gelte ausschliesslich für diese. Von den sieben sind die zwei gewichtigsten Ahrar asch-Scham und Dschaisch ul-Islam, dazu kommen fünf kleinere: Faylak asch-Scham, Thuwar Ahl asch-Scham, Dschaisch ul-Mudschahedin, Dschaisch Idlib und Dschubha Schamiya. Der russische Verteidigungsminister erklärte, insgesamt umfassten diese Gruppen 60‘000 Mann. Dies ist allerdings nur eine grobe Schätzung; die genauen Zahlen sind unbekannt.
Trennbar oder untrennbar von Ex-Nusra?
Im Kriegsgebiet von Idlib sind die meisten dieser Gruppen präsent. Sie haben dort bisher stets eng mit der Ex-Nusra Front zusammengearbeitet. Nun werden sie sich von ihr lösen müssen, so weit dies überhaupt möglich ist, wenn sie an dem Waffenstillstand beteiligt bleiben wollen. Dies wird wahrscheinlich zu Zerreissproben innerhalb dieser Gruppen führen. Manche ihrer Untergruppen werden weiter zu Ex-Nusra halten, entweder weil sie das wollen, oder weil sie nicht anders können, da Ex-Nusra als die stärkere Seite im Kampfgebiet sie dominiert.
Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass diese Zerreissproben zu Kampfhandlungen zwischen Ex-Nusra und Teilen ihrer bisherigen Verbündeten führen könnten. Dabei gibt es einen subtilen Unterschied zwischen „angeschlossen“ und „verbündet“. Ex-Nusra angeschlossen sind Gruppen, die sich dem Oberkommando von Nusra unterstellt haben; verbündet sind solche, die ihre eigene unabhängige Führung bewahrt haben und nur für einzelne Aktionen mit Nusra zusammenwirkten. Die „Angeschlossenen“ sind nach den Erklärungen der syrischen Armee ausdrücklich vom jetzigen Waffenstillstand ausgeschlossen.
Kurdenfrage? – Russische Konzession an die Türkei
Ebenfalls nicht in den Waffenstillstand einbezogen sind die syrischen Kurdenmilizen der YPG. Die Kurden beherrschen weite Gebiete an der türkisch-syrischen Grenze, und sie gehören zu den aktivsten Kämpfern gegen den IS in Syrien und im Irak. Sie werden dabei von den Amerikanern unterstützt, sowohl aus der Luft, wie auch mit Waffen und durch amerikanische Sondertruppen. Ihre Ausschliessung erfolgte zweifellos auf Wunsch der Türkei, die sie als „Terroristen“ einstuft und auf die gleiche Ebene stellt wie den IS.
Am Tag des Waffenstillstands haben russische Kampfflugzeuge zum ersten Mal die türkischen Truppen unterstützt, die in Nordsyrien stehen und – seit Wochen – die Stadt al-Bab einzunehmen versuchen. Die Stadt wird vom IS gehalten. Doch die türkische Aktion in Nordsyrien, „Euphrat-Schild“, richtet sich ausdrücklich gegen den IS und die kurdischen YPG. Ihr Hauptziel ist es, ein türkisch beherrschtes Gebiet in Nordsyrien zu schaffen, das verhindern soll, dass die syrischen Kurden ihre beiden Territorien an der syrischen Grenze miteinander verbinden.
Das Eingreifen der russischen Luftwaffe zugunsten der Türken bei al-Bab gegen den IS, aber auch zum Schaden der YPG, wirkt wie eine Quittung Moskaus dafür, dass die Türkei sich zum Waffenstillstands- und Friedensprojekt der Russen bereitfindet und führend dabei mitwirkt. Die Quittung bestätigt: Moskau arbeitet mit Ankara zusammen und opfert dieser Zusammenarbeit die Interessen der syrischen Kurden – dies umso lieber als diese Kurden ja mit den Amerikanern zusammenarbeiten, die der russisch-türkische Friedensprozess ausschliesst.
Trump als möglicher Verbündeter
Ausgeschlossen ist jedenfalls die Obama-Administration. Möglicherweise, so sagt Moskau, könnte Amerika unter Trump in den russisch-türkischen Friedensprozess mit einbezogen werden. Die Mitwirkung Irans wird jedenfalls angestrebt, und sie scheint auch schon festzustehen. Es ist auch davon die Rede, dass künftig Saudi-Arabien, Qatar und die VAE nach Astana eingeladen werden könnten, um am Friedensprozess mitzuwirken, der dort beginnen soll, nachdem der nun begonnene „Waffenstillstand“ – in Wirklichkeit Teilwaffenstillstand – einen Monat lang angedauert hat. Die Monatsfrist setzt ein späteres Anfangsdatum für Astana fest, als es bisher von Moskau angegeben wurde: nicht den 9. Januar wie bisher, sondern den 29. oder 30. Das heisst einen Zeitpunkt, in dem Trump, nicht mehr Obama, in Washington regieren wird.
Nach Putin „fragil“, aber erwünscht
Dass dieser Waffenstillstand zunächst fragil sei, hat Putin selbst unterstrichen, und er fügte hinzu: „Es braucht besondere Aufmerksamkeit und Geduld, eine professionale Haltung und beständigen Kontakt mit unseren Partnern.“ Was anzudeuten scheint, dass ihm daran liegt, das Abkommen durchzuführen.
Unübersehbar ist, dass dieser „Waffenstillstand“ wenn er andauert – und sogar, wenngleich in geringerem Masse, wenn er zusammenbricht – Putin und Asad nützt. Er spaltet die Gegner Asads in solche, mit denen verhandelt wird und andere, die bekämpft werden. Er führt zu Misstrauen und möglicherweise zu inneren Kämpfen zwischen diesen beiden Gruppen von Rebellen.
Der Umstand, dass die genauen Grenzen zwischen diesen beiden Gruppen verschwommen sind, gereicht den Russen und Asad ebenfalls zum Vorteil. Sie können je nach der taktischen Lage bestimmen, wieweit sie mit den Verhandlungsbereiten verhandeln und in wieweit sie Teile von ihnen zurückweisen und bekämpfen, mit der Begründung, sie stünden Ex-Nusra zu nahe. Sogar wenn der „Waffenstillstand“ noch vor Monatsfrist zusammenbricht – der IS und Ex-Nusra werden versuchen, dies zu erreichen – hat er dazu gedient, Misstrauen zwischen den verhandlungsbereiten und den von den Verhandlungen ausgeschlossenen Gruppen und Untergruppen zu sähen.