So ist, nach Auszählung der Stimmen, den Bürgern wenigstens die ansonsten übliche Gesundrederei selbst bei Verlusten erspart geblieben. Zu laut war der Paukenschlag, den die Wähler an Rhein und Ruhr im politischen Konzert der Bundesrepublik gesetzt haben, als dass er mit irgendeinem Beschwichtigungs-Gefiedel in seiner Wirkung vermindert werden könnte.
Die Fakten sind eindeutig: Die CDU (seit 2005 stärkste Partei im Düsseldorfer Landtag) büsste 8,3 Prozent Stimmen ein und fiel von 34,6 auf 26,3 Prozent. Hier von einem Erdrutsch zu reden, ist schon fast untertrieben. Schliesslich handelt es sich um das schlechteste Abschneiden seit den ersten Wahlen hier 1947. Und das, obwohl die Christdemokraten 2005 einen überwältigenden Triumph feiern und mit den Freien Demokraten die Landesregierung stellen konnten. Bereits fünf Jahre später, freilich, verspielte eine skandalträchtige Funktionärs-Clique im Düsseldorfer Parteiapparat (trotz einer durchaus vorzeigbaren Leistungsbilanz der Regierung von Ministerpräsident Jürgen Rüttgers) diesen Erfolg. Ergebnis: Eine fragile Minderheitenregierung von SPD und Grünen, die sich vor allem auf die postkommunistische „Linke“ stützte. Und jetzt, nach nur eineinhalb Jahren die Neuwahlen.
Die „Landesmutter“
Fakt Nummer zwei: Die vor sieben Jahren in ihrem eigentlichen Stammland Nordrhein-Westfalen (NRW) gnadenlos abgestraften Sozialdemokraten gewannen am Sonntag noch einmal 4,6 Prozent dazu und liegen damit (39,1) wieder dort, wo sie in ihren guten Zeiten mit dem Ministerpräsidenten und späteren Bundespräsidenten Johannes Rau standen. Auffallend in diesem Zusammenhang ist eine Parallele zwischen heute und den „alten Zeiten“. So wie mit Rau in erster Linie der „Landesvater“ gewählt wurde, so flogen bei der jetzigen Wahl der „Landesmutter“ Hannelore Kraft die Stimmen zu. Damals wie aktuell standen und stehen die Personen an der Spitze weit über den auf die Partei entfallenden Zustimmungswerten. Ein Phänomen, das sich übrigens nicht nur für die SPD bereits eine Woche zuvor bei den schleswig-holsteinischen Landtagswahlen im deutschen Norden gezeigt hatte. Auch die von vielen kaum noch erwartete „Wiederauferstehung“ der Freien Demokraten ist (ausweislich der Zahlen) sowohl in Kiel als auch in Düsseldorf auf die jeweiligen Spitzenkandidaten Wolfgang Kubicki und Christian Lindner zurückzuführen.
Welche Auswirkungen werden die jüngsten Wahlen in Deutschland nun vermutlich auf den Bund haben? Wie sehr kann (oder wird sogar) die christlich-liberale Koalition von Angela Merkel in Berlin durch die Schockwellen aus Düsseldorf erschüttert? Klar, dass vor allem der „schwarze“ Teil des Regierungslagers sofort versucht, eine Brandmauer um die Kanzlerin zu ziehen. Landtagswahlen und Bundespolitik, wird eiligst verkündet, seien zwei völlig unterschiedliche Dinge. Die jüngsten Verluste ihrer Partei seien für die CDU-Vorsitzende gewiss „schmerzlich“, behinderten aber weder sie noch ihr Regierungsbündnis mit den (wieder erstarkten) Liberalen. Wer so argumentiert, lässt freilich – und das wohl bewusst – ausser acht, dass die Bundespolitik sehr wohl durch die Machtverhältnisse in den Ländern beeinflusst wird. Und zwar sowohl direkt über deren Vertretung beim Bund (dem Bundesrat) als auch psychologisch – je nachdem, ob dort Wahlen gewonnen oder verloren werden.
Das Gewicht von NRW
Das gilt natürlich in erster Linie für Nordrhein-Westfalen, trotz seiner gewaltigen Strukturprobleme immer noch eines der wichtigsten Industriezentren in Deutschland. Dort hatten sich die Genossen 2005 massenweise von ihrer politischen „Mutter“, der Sozialdemokratie, entfernt – aus Protest gegen die seinerzeit von Gerhard Schröder (SPD) durchgeboxten Sozialreformen, für die insbesondere der Begriff „Hartz IV“ als Negativ-Fanal stand. Dass letztlich mit diesen Reformen die Gesundung der deutschen Wirtschaft eingeleitet wurde, ist in der Partei bis heute noch nicht akzeptiert. Als 2005 im Düsseldorfer Landtag die SPD eine krachende Niederlage einfuhr, bedeutete das jedenfalls den Anfang vom Ende der rot-grünen Berliner Koalition. Schröder setzte damals Neuwahlen im Bund durch – und verlor.
Es war der Beginn der Ära Merkel. Wird es auch der Anfang vom Ende sein? Die nach wie vor grosse (und weit vor ihrer Partei rangierende) Popularität der Kanzlerin lässt einen direkten Vergleich zur Situation ihres damaligen Vorgängers nicht ohne Weiteres zu. Freilich nährt sich dieses Ansehen vor allem aus ihrem aussen- genauer: europapolitischen Wirken. Allerdings hat sich die einst von Bismarck vertretene Überzeugung längst gewandelt, wonach die Aussenpolitik das A und O des Staates sei. Für die Bürger (wahrscheinlich nicht nur in Deutschland) sind es die Vorgänge im Innern, ist es nicht zuletzt die Sozialpolitik, die im geradezu inflationär gebrauchten Begriff „Umverteilung“ ihren griffigen Ausdruck gefunden hat. Auf diesem Gebiet wird mit höchster Wahrscheinlichkeit 2013 entschieden, wer als Nächster ins Berliner Kanzleramt einziehen wird. Und hier könnten (vor allem) SPD und (etwas weniger) Grüne punkten.
Gespaltene CDU
Zumal sich Rot-Grün dabei einer gespaltenen CDU/CSU gegenübersieht. Sehr zum Ärger der den traditionellen, konservativen Werten anhängenden Parteimitglieder und –anhänger hat die Union unter Merkels Führung deutliche Schwenks hin zu einer Art „Sozialdemokratisierung“ vollzogen. Ein Anhänger dieser Richtung zur „Modernisierung“ (was immer damit gemeint sein mag) ist auch Norbert Röttgen, der 46-jährige am Sonntag so gnadenlos abgestrafte Spitzenkandidat in Nordrhein-Westfalen. Keine Frage, dass sein Debakel die Richtungsstreitigkeiten zwischen den Parteiflügeln anheizen wird.
Kommt noch hinzu die Euro-Krise. Erstaunlicherweise wird der von der Opposition gegenüber der Kanzlerin ständig vorgebrachte Vorwurf entweder der Zögerlichkeit oder gar falscher Vorgehensweise von den Bürgern bislang nicht geteilt. Aber die Stimmung kann sich schnell ändern. Meinungsumfragen in der deutschen Öffentlichkeit lassen einen sich immer weiter öffnenden Spalt erkennen. Es gibt zwar noch eine Mehrheit, die positiv zu „Europa“ und auch seine Währung sowie zur deutschen Führungsverantwortung steht. Aber kaum noch jemand will „für die wirtschaftlichen, finanziellen und sozialen die Sünden der Partner bezahlen“.
Und es steht zu erwarten, dass der freidemokratische Koalitionspartner diese Tendenz zunehmend aufgreifen wird. Die Berliner FDP-Führung konnte beobachten, dass die Wähler klare und deutliche Festlegungen, Positionen und notfalls auch Distanzierungen von den Bundes-Oberen honorieren. Beides haben in Düsseldorf und zuvor in Kiel die liberalen Spitzenkandidaten getan. Liegt da nicht die Versuchung nahe, im Regierungsbündnis mit der CDU den Partner mehr noch als bisher zu ärgern? Themen dafür gäbe es genug.
Ende der „Linken“ im Westen ?
Bleibt die Frage: Was wird aus der „Linken“ im Westen? Nach Schleswig-Holstein hat der westliche Ableger der mehrfach umgetauften einstigen DDR-Staatspartei SED nun auch in Nordrhein-Westfalen mit nur noch 2,5 Prozent eine ordentliche Klatsche bekommen und ist in beiden Landtagen vorerst nicht mehr vertreten. Es scheint so, als sei ein Grossteil der früheren und wegen der Schröder'schen Sozialreformen abgewanderten SPD-Anhänger nach den Schwenks von Gabriel und Co. wieder auf dem Weg zurück. Sollte sich diese Tendenz fortsetzen, so würden auch die SED-Nachfolger zu dem zurückkehren, von wo aus sie nach der deutschen Vereinigung gestartet waren – zu einer reinen Ost-Partei. Der Donnerschlag von NRW hat auf jeden Fall viele (Schall-)Wellen ausgelöst.