Am Wochenende ging Kardinal Tarcisio Bertone zum Gegenangriff über. Nein, er lebe nicht im Luxus, über zwei Dutzend andere Kardinäle wohnten in noch grösseren Wohnungen als er.
Er selbst lebt nahe des vatikanischen Gästehauses Santa Marta – dort, wo Papst Franziskus residiert. Bertone wohnt in einer Attikawohnung von 300 Quadratmetern. Sie wurde jetzt für 422'000 Euro renoviert, und zwar mit Geld der „Fondazione Bambino Gesù“ – Geld, das eigentlich für kranke Kinder bestimmt gewesen wäre.
"Ich bin das Opfer von Schlangen im Vatikan"
Wieder einmal ist jetzt der 82-jährige Bertone in die Kritik geraten. Er, einstiger Kardinalsstaatssekretär und Kammerdiener, war unter Papst Benedikt XVI. der einflussreichste Würdenträger im Vatikan.
Schon lange ziehen sich schwarze Wolken über ihm zusammen. Einen Sturm der Entrüstung hatte er ausgelöst, als er erklärt hatte, es gebe einen Zusammenhang zwischen Homosexualität und Kindsmissbrauch. Dies wurde als Versuch gewertet, die jahrzehntelange Vertuschung des sexuellen Missbrauchs in der Kirche zu rechtfertigen. Später schien er nicht exzessiv daran interessiert gewesen zu sein, Licht in die Vatileaks-Affäre zu bringen. Bertone wies immer alle Kritik von sich. Er sei „das Opfer von Schlangen im Vatikan“ gewesen, sagt er. Im August 2013 trat er zurück.
"Wenigstens nicht Bertone"
Obwohl er auch in Italien umstritten ist, galt er als aussichtsreicher Kandidat für die Nachfolge von Papst Benedikt. Doch dann trat an jenem kalten Abend des 13. März 2013 der Argentinier Jorge Mario Bergoglio auf die Loggia des Petersdoms. Ein alter gläubiger Italiener auf dem Petersplatz seufzte erleichtert: „Ich kenne diesen Neuen nicht, aber wenigstens ist es nicht Bertone“.
Und jetzt also die Geschichte um seine Wohnung. Dass er in einer 300 Quadratmeter-Behausung wohnt, ist schon seit letztem Jahr bekannt. Bertone rechtfertigt sich, dass er dort nicht allein lebe, sondern mit drei Nonnen, die ihm den Haushalt besorgen und einer Sekretärin, die ihn beim Abfassen seiner Papst-Biografie unterstütze. Doch mit dieser Erklärung verstummte die Kritik keineswegs. Vor allem deshalb nicht, weil bekannt wurde, dass Bertones Ruhesitz aufwendig renoviert wird.
Ermittlungen der vatikanischen Staatsanwaltschaft
Am vergangenen Donnerstag hat nun die vatikanische Justiz Ermittlungen eingeleitet. Die Staatsanwaltschaft will wissen, wie Bertones Wohnung finanziert wurde. Wurden da Gelder, die an die Bambino Gesù-Stiftung gingen, zweckentfremdet?
Die Ermittlungen richten sich nicht primär gegen den Piemonteser Bertone, sondern gegen den früheren Präsidenten der Stiftung und ihren Quästor.
Bertone selbst sagte, er habe für die Wohnungsrenovation 300'000 Euro aus seinem Ersparten bezahlt. Er beteuerte, dass er nie die Stiftung um Geld angegangen sei. Allerdings schloss er nicht aus, dass Geld aus der Stiftung in seine Wohnung geflossen sei. Doch davon hätte er nicht die geringste Kenntnis gehabt. Sollte das zutreffen, würde er sofort handeln.
Ein Geschenk
Inzwischen hat das linksliberale italienische Magazin „L’Espresso“ am Freitag ein Dokument veröffentlicht, das darauf hinweisen könnte, dass Bertone nicht die ganze Wahrheit gesagt hat - oder zumindest geahnt hatte, dass Stiftungsgelder in die Renovationsarbeiten flossen.
Bertone antwortet, er habe klar gesagt, dass die Stiftung Dritte zur Finanzierung suchen dürfe, dass sie aber selbst nichts bezahlen dürfe. Nach Bekanntwerden der Vorwürfe überwies Bertone der Stiftung 150'000 Euro. Dies sei ein Geschenk und keineswegs ein Schuldeingeständnis.
"30 Kardinäle wohnen in noch grösseren Wohnungen"
All diese Beteuerungen lassen die Kritik an Bertones Lebensstil nicht verstummen. Die Zeitung „La Nazione“ spricht am Samstag von einer „Fünf-Sterne-Wohnung“ mit teurem Marmor, luxuriöser Ausstattung und einer Panorama-Terrasse“.
Ziemlich genervt über die Vorwürfe ging Bertone jetzt in die Offensive. „Ich gehe nicht“. Er werde die Wohnung nicht verlassen und damit jenen rechtgeben, die ihn attackierten. Zudem wohnen „rund 30 Kardinäle in Wohnungen, die noch grösser sind als meine“.
Wasser gepredigt, Champagner getrunken
Und schon veröffentlicht die Presse eine Liste mit den Quadratmeterzahlen der Wohnungen anderer Kardinäle. So wohnt Kardinal William Joseph Levada in einer 524,75 qm grossen Wohnung. Die Behausung des Vizekämmeres Pier Luigi Celata ist 370,80 qm gross, jene von Kardinal Gianfranco Ravasi 366,39 qm. Die Wohnung des deutschen Kardinals Walter Kasper zählt 297,85 qm und jene des Kurienkardinals und Präfekten der Kongregation für die Glaubenslehre Gerhard Ludwig Müller 297,03 qm.
In die Schlagzeilen war Bertone auch geraten, weil er per Helikopter zur Eröffnung eines Regionalzentrums der Bambino-Gesù-Stiftung in die süditalienische Region Basilicata geflogen war. Der Flug soll 24'000 Euro gekostet haben. Bertone sagte, er wisse nicht, wer den Helikopter zur Verfügung gestellt habe.
Dass Kardinäle eben auch Menschen sind und einige von ihnen im Luxus schwelgen, ist nicht neu. Mehrere Enthüllungsbücher haben in jüngster Zeit darauf hingewiesen. Da ist oft nur das Teuerste gut genug. Auf Terrassen mit Blick auf die vatikanischen Gärten finden riesige Partys statt. Die einflussreichsten Leute sind geladen. Da wird Wasser gepredigt und Champagner getrunken.
Natürlich verlangt niemand, dass Kardinäle mit zerrissenen Kleidern und Sandalen durch die Gegend schlurfen. Doch es geht um das Ausmass. Da predigt der Papst Bescheidenheit und Verzicht, und er lebt danach. Er wohnt in einer kleinen Bleibe und speist mit seinen Mitarbeitern in der Kantine. Und wenige Schritte davon entfernt wird geschwelgt und geprotzt. „La Nazione“ spricht von „Super-Nachtessen“ und vom „Dolce vita romana dei Cardinali“.