In China gibt es Dutzende von Dörfern und Städten mit dem Namen Yulin. Zu Weltruhm, wenn auch zweifelhaftem, brachte es aber nur Yulin (Chinesisch: Jade-Wald) in der an Vietnam angrenzenden Süd-Provinz Guangxi. Der Grund: das Hundefleisch- und Litischi-Fest.
Brutale Schlachtmethoden
Seit Jahren geht jeweils zur Sommersonnenwende ein missbiligendes Raunen durch die internationalen Medien. Tausende von Chinesinnen und Chinesen nämlich lassen es sich in Yulin gut sein beim Verspeisen von Hunden. Herunter gespült wird das ganze mit frischen Litschis und Likör. In unzähligen Lokalen bereiten die besten Köche Hundefleisch zu. Gegrillt, geschmort, als Hunde-Krabben-Spiesschen, Hund im Krebsfleischsud, als Hundeintopf, Hunde-Geschnetzeltes, als Hunde-Schulterstück, als Schulterfilet in Tomaten-Litschi-Sauce, ja sogar als Hunde-Hamburger oder als Würste mit Hundeinnereien.
Am Yulin-Festival sind aber nicht nur Hunde-Gourmets und Gourmands zugegen, sondern - behördlich meist unbehelligt - auch Tierschützer. Sie wehren sich vor allem gegen die brutalen Schlachtmethoden. Oft werden die Hunde kurz vor dem Schlachten geprügelt – soll besseres Fleisch geben – und danach mit Messern, Elektroschocks oder Würgen getötet, nicht selten halblebendig gehäutet und an Haken aufgehängt und dem hungrigen Publikum präsentiert. Wüste Schlachtbilder finden auf den sozialen Medien millionenfach Beachtung. Während des zwei Tage dauernden Festes werden rund 10‘000 Hunde verzehrt. Meist sind es streunende, oft gestohlene Hunde aller Rassen: von der Pudel- und Dackelmischung über Wolfshund-Welpen bis hin zu niedlichen Pekinesen. Viele Hunde sind nach dem Urteil von Veterinären krank oder leiden gar an Tollwut.
Teure Rettungsaktionen
Die Tierschützer wehren sich auch gegen die nicht artgerechten Transportmethoden. In winzigen Käfigen werden die Vierbeiner eng aneinander gepresst angeliefert. Vor fünf Jahren entdeckte beispielsweise ein Tierschützer auf der Dritten Ringstrasse in Peking einen mit 580 Hunden beladenen Lastwagen. Auf Sina Weibo alarmierte er seine Mitstreiter. Kurz danach umringten Hunderte von Tierschützern den Laster. Nach einem Tag Verhandlungen kauften sie dem Chauffeur die Hunde für 150‘000 Yuan (umgerechnet fast 20‘000 Franken) ab. Auch in den letzten zwei Jahren kam es zu diversen Rettungsaktionen. Herausragend ist die vermögende Tierschützerin Yang Xiaoyun, die 460 Hunde vor den Metzgern rettete. Kostenpunkt: 160‘000 Yuan. Das war nicht nur internationalen, sondern auch chinesischen Medien Schlagzeilen wert.
Der internationale Aufschrei auf das Yulin-Hundefleischfest ist enorm. In London wurde an die chinesischen Behörden eine Protestschrift mit elf Millionen Unterschriften übergeben, unter anderem auch mit Tausenden von Signaturen von Chinesinnen und Chinesen. Die Liste internationaler Prominenz, die sich gegen den Yuliner Hundeschmaus richtet, ist ellenlang. Der chinesische Künstler Ai Weiwei ist ebenso dabei wie etwa Brigitte Bardot, Clint Eastwood oder Papst Franziskus.
Öffentliches Schlachtverbot
In Yulin selbst versteht man die ganze Aufregung nicht so recht, denn seit Jahrhunderten, so die meisten Bewohner, werde hier Hundefleisch gegessen. „Warum“, fragen sich viele, „dürfen wir Schweine, Rinder, Kälber, Lämmchen oder Hühner essen, nicht aber Hunde?“. Die Behörden von Yulin geben sich neutral. „Nein“, sagt der KP-Sekretär, „wir veranstalten kein Hundefleisch-Fest und unterstützen es auch nicht offiziell“. Die Kneipen und Restaurants böten ganz einfach zur Sommersonnenwende Hundespeisen an. Immerhin, die Lokalregierung hat dieses Jahr erstmals öffentliches Schlachten verboten. Wenn die Volksrepublik auch kein Tierschutzgesetz hat, gibt es dennoch Vorschriften punkto Lebensmittelhygiene und Tiertransporten. An der Überwachung solcher Regelungen freilich happert es.
Alte Vorurteile
Wegen der Aufregung um Yulin werden im Westen auch alte Vorurteile zementiert: China, die Hundefresser. Doch der Chinese und die Chinesin essen im Durchschnitt ungefähr soviel Hundefleisch wie der Durchschnitts-Appenzeller. Nach einer Umfrage des chinesischen Staatsfernsehens CCTV sind rund zwei Drittel aller Befragten für ein Verbot des Hundefleisch-Festes in Yulin. In China ist Hundefleisch allenfalls noch im Nordosten an der Grenze zu Korea und im tiefen Süden an der Grenze zu Vietnam eine Delikatesse. Dazu natürlich in Vietnam und Korea. Wahr ist allerdings auch, dass Ärzte der chinesischen Medizin überzeugt sind, dass Hundefleisch den Körper wärme, Magen und Nieren stärke und als Potenzmittel höchst wirksam sei. Bereits im 4. Jahrhundert vor unserer Zeit empfiehlt der brühmte chinesische Philosoph Mengzi (Menzius) den Verzehr von Hundefleisch.
Europa
Die Westler sollten sich nichts vormachen. Bereits in der Steinzeit assen Europäer mit Genuss Hundefleisch. In Notzeiten und Extremsitutationen zumal wurde der beste Freund des Menschen immer wieder geschlachtet, so während vieler Hungesnöte - im 17. Jahrundert während des 30-jährigen Krieges oder in Paris während der Kommunistischen Kommune 1871. Noch heute ist der Verzehr von Hundefleisch in einigen Regionen Europas wenn nicht üblich, so doch nicht die absolute Ausnahme. In Deutschlang wurde das Schlachten von Hunden erst vor dreissig Jahren verboten. Kein Grund also, als Amerikaner oder Europäer mit dem moralischen Zeigefinger auf Yulin zu zeigen. Schliesslich setzen sich heute auch viele Chinesinnen und Chinesen für Tierschutz ein. Es geht also letztlich nicht um ein absolutes Hunde-Essen-Verbot, sondern, wie der Fall Yulin jetzt wieder exemplarische zeigt, um Tierschutz, um Hygiene und generell gegen Tierquälerei. Im übrigen: Im Durchschnitt essen Chinesen nur halb soviel Fleisch wie Amerikaner oder Europäer....
Lämmchen und Bernhardiner
Selbst für die Tageszeitung „Renmin Ribao“ (Volkszeitung), das Sprachrohr der allmächtigen Kommunistischen Partei, sind die Zustände am Hundefestival in Yulin nicht tragbar. Aus patriotischen Gründen. Betroffen nämlich seien die „Interessen des Staates“, denn was sich in Yulin abspiele, werfe ein schiefes Licht auf ganz China. Die „Global Times“, ein Ableger des Parteiblattes wiederum macht durchaus zurecht auf etwas anderes aufmerksam: „Westler verlangen nun von Nicht-Westlern, ihre Essgewohnheiten zu ändern, weil sie der Ansicht sind, ihre Kultur und ihre Gefühle verdienten mehr Respekt als andere“. Bei Essgewohnheiten spielen denn tatsächlich Kulturunterschiede eine grosse Rolle. Schweine sind bekanntlich für Moslems und Juden, Kühe und Rinder dagegen für Hindus in weiten Teilen Indiens tabu.
In einem Hunderestaurant in der Südkoreanischen Hauptstadt Soeul sagte einst ein Küchenchef zu Ihrem Korrespondenten: „Ihr im Westen esst ja auch die lieben, feinen kleinen Lämmchen, warum sollen wir bei uns wie seit langen Jahrhunderten nicht Hunde essen?“. Das besagte Restaurant verarbeitete Zuchthunde. Freilich würgte Ihr Korrespondent mit grosser Mühe am delikat zubereiteten Hundespiesschen. Grund: das Restaurant war auf Bernhardiner spezialisiert. Das war – obwohl der kulturellen Vielfalt durchaus zugetan – eindeutig zu viel.
Hansi in der Pfanne
Aber wer wirft den ersten Stein? Ihr Korrespondent hat schon Meerschweinchen in Peru, Zuchtratten in Südchina, Zuchthunde und Schlangen in Vietnam, Katzen in einem militärischen Wiederholungskurs oder Uccelli in Bergamo zu sich genommen. Ja selbst der weisse Hase Hansi landete während des II. Weltkrieges schliesslich in Mutters Pfanne. Aber ein Genuss war es, um ehrlich zu sein, nie. „Abstraktes“ Fleisch, also von Tieren die man nie zu Gesicht bekommt, ist bekömmlicher. Doch auch hier gilt es zu differenzieren. Ihr Korrespondent kennt Bauern, die ein durchaus liebvolles Verhältnis zu ihren Kälbchen oder Lämmchen haben und dennoch beim Fleischessen ohne Wimperzucken kräftig und mit Gusto zulangen.
MeiMei
Aber beim Hund, dem ersten vom Menschen domestizierten Tier, verhält es sich vielleicht doch etwas anders. Aus der Perspektive des Hundebesitzers jedenfalls. Im maoistischen China war das Halten von Hunden in Städten aus hygienischen Gründen lange Zeit verboten und als „bourgeois“ verschrien. In der Zwischenzeit gibt es viele, vor allem ältere „Bourgeois“, die sich wieder ganz legal einen Vierbeiner halten. Ihr Korrespondent mit seiner Dackeldame MeiMei hat jahrlang beim Gassi-Gehen täglich anregende Gespräche mit den „Bourgeois“ über Gott, die Welt, Politik oder das Wetter, vor allem über Hunde. Über Yulin herrschte alle Jahre wieder grosse Entrüstung. Hunde zu essen, konnte sich keiner der „bourgeoisen“ Chinesinnen und Chinesen auch nur im entferntesten vorstellen. Gewarnt wurde immer wieder vor Hunde-Dieben. Der MeiMei jedoch ist – Buddha sei Dank – während ihres langen Lebens nie jemand ans Fell gegangen.