Die Schweiz ist als neutrales Land keine weltpolitische Macht – aber sie ist häufig die Schutzmacht für zwei verfeindete Staaten mit zerrissenen diplomatischen Beziehungen. Dies ist seit 40 Jahren auch zwischen den USA und Iran der Fall. Eine Funktion, die aktueller ist denn je.
Der Konflikt zwischen den USA und Iran hätte bereits vor bald 17 Jahren ein Ende finden können. Im Mai 2003 übermittelte Tim Guldimann, Schweizer Botschafter in Iran, ein zweiseitiges Memorandum nach Washington. Der Anstoss war von Iran ausgegangen: Guldimanns Papier basierte auf Gesprächen zwischen ihm und Sadegh Kharazi, damals Irans Botschafter in Paris. Es wurde von der iranischen Führung unterstützt, sogar vom geistlichen Führer Ali Chamenei, dessen angeheirateter Verwandter Kharazi laut US-Quellen ist. Im Papier gab es Vorschläge, mit denen Iran Forderungen der USA und von El Baradei, Chef der Atomwaffen-Überwachungsorganisation, erfüllte. Sogar das Ende der Unterstützung von Hamas, Hizbollah und dem Islamischen Jihad durch Iran war postuliert.
Memorandum per Fax
Das Memorandum wurde laut Unterlagen durch Guldimann per Fax an das US-Aussenministerium übermittelt. Doch der damalige US-Präsident George W. Bush und seine Leute waren im Mai 2003 offenbar zu sehr mit dem im März begonnenen Irak-Krieg beschäftigt, um dem Papier Beachtung zu schenken und die Vorteile zu erkennen. «Ich konnte das Papier im Weissen Haus nicht verkaufen», soll US-Aussenminister Colin Powell gesagt haben. Vermutlich insistierte er nicht, denn er musste wohl immer noch verdauen, dass er mit falschen Informationen über Massenvernichtungswaffen in Irak über den Tisch und in einen Krieg gezogen worden war.
Die Bush-Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice behauptete später, sie könne sich nicht an ein solches Memorandum erinnern. Ausser in Medien wie der «Washington Post» und später in Thinktanks fand der Olivenzweig aus Teheran, übermittelt durch Botschafter Guldimann, keinen Niederschlag.
Währung der Diplomatie
Guldimann äussert sich auch heute nicht zu diesem Memorandum. Das Kapital des Vertreters der Schutzmacht Schweiz beruht auf Diskretion und Glaubwürdigkeit, sagt er zu «Tachles». Brechen zwei – oder mehrere – Staaten die diplomatischen Beziehungen ab, so wählen sie eine Schutzmacht, die ihre gegenseitigen Interessen wahrnimmt. Dieser Kommunikationskanal ist häufig die neutrale Schweiz. «Was wir tun, ist nicht Vermittlung, sondern Übermittlung», betont Guldimann. «Es geht um Interessenwahrung, niemals um Einmischung. Wir sind diskrete Briefträger.»
Philippe Welti, einer von Guldimanns Nachfolgern auf dem Botschafterposten in Teheran, warnte kürzlich im «Sonntagsblick» den Aussenminister Ignazio Cassis, sich auf keinen Fall in den gegenwärtigen Streit Iran-USA einzumischen. Es gibt keine Hinweise, dass Cassis dies tun möchte, und er ist gut beraten, sich nicht einmal für eine Deeskalation persönlich einzubringen. Das überlassen die Schweizer Aussenminister traditionell ihren diskreten Diplomaten. Wollen die Gegner einander etwas mitteilen, verwenden sie dazu den bewährten Schweizer «Briefträger», wie jetzt wieder in Teheran.
Guldimanns Erfahrungen
Zur Ausübung der Schutzmacht gehören auch konsularische Aufgaben. So gelang unter Schweizer Aufsicht kürzlich auf dem Flughafen Zürich ein Gefangenenaustausch zwischen Iran und den USA. Ein diplomatischer «Briefträger» werde mit Respekt behandelt, sagt Guldimann. Er habe sich den Botschafterposten in Teheran gewünscht, weil dazu die diplomatische Verbindung zwischen Iran und den USA gehöre. Er sprach bereits Arabisch und Hebräisch; im Lauf seiner Iran-Mission erlernte er auch die Landessprache Farsi. Anschliessend bekam er nicht seinen Wunschposten Tel Aviv, was kein Geheimnis ist, aber er wurde Botschafter in Berlin.
Die Verbindung zwischen Konfliktparteien ist ihm ohnehin nicht fremd, er besorgte dies auch mit mehreren anderen Staaten etwa in Tschetschenien. Weshalb kümmert sich die Schweiz, die in Genf so häufig Konferenzen verfeindeter Staaten ermöglicht, nicht mehr um den Konflikt zwischen Israel, den Palästinensern und seinen arabischen Nachbarn? «Es fehlt der politische Wille», bedauert Guldimann. «Premier Netanyahu hat in den letzten 20 Jahren nicht das geringste Interesse am Friedensprozess gezeigt, den es schon lange nicht mehr gibt.»
Interessen wahren
Die Interessenwahrung zwischen verfeindeten Staaten hat für die Schweizer Diplomatie Tradition. Im Zweiten Weltkrieg, erinnert alt Botschafter François Nordmann, vertrat die Schweiz 35 Staaten bei der NS-Regierung und umgekehrt. Dazu gehörte auch die «Hauswartung» der verlassenen Gesandtschaften in Berlin. Der Schweizer Gesandte hatte sich im Gefolge der nationalsozialistischen deutschen Regierung an den Starnberger See abgesetzt; die jungen Botschaftsräte wohnten ausserhalb und radelten nach jeder Bombennacht mit dem Velo ins Gesandtschaftsviertel, um nachzusehen, ob es Schäden gegeben hatte. Werner Rings schrieb in den sechziger Jahren ein Buch und eine TV-Dokumentation mit dem treffenden Titel «Advokaten des Feindes». Auch das Nato-Mitglied Norwegen sei sehr aktiv mit Interessenwahrung zwischen Konfliktparteien unterwegs, so Guldimann. Aber die Nato-Mitgliedschaft passt beispielsweise Russland nicht. Deshalb wurde die Schweiz im Krieg mit Georgien erwählt.
Blick in die Geschichte
Nicht nur in ausländischen Gesandtschaften und Botschaften, auch in Bern klopfte die Weltgeschichte an. Minister Walter Stucki war im August 1945 mit den Kapitulationspapieren Japans beschäftigt. Nicht als Vermittler, sondern als diskreter «Briefträger». Bis 2015 versah die Schweiz auch die Interessen der USA und Kubas in deren Beziehungen. Ihr oblag deshalb auch die Pflege des schönen US-Botschaftsgebäudes mitten in Havanna.
Dieser Text erschien am 17. Januar auch im Jüdischen Wochenmagazin Tachles.