Wir befinden uns in einem herrschaftlichen Landgut in Cliveden. Das Herrenhaus im italienischen Stil gehört der britischen Linie des adligen Astor-Clans. Im Sommer 1961 findet hier eine Begegnung statt, die zu einer Staatsaffäre wird, wie sie die Welt nur selten erlebt.
Es geht um Sex, Spionage und schöne Frauen. Es geht um einen Selbstmord, um einen verheiraten Minister, um ballistische Raketen, um Geheimdienste und um die bösen Russen. Der amerikanische FBI-Direktor tobt, und der britische Premier wird bald gestürzt. Und der verheiratete Kriegsminister tritt am 5. Juni 1963 zurück – vor genau fünfzig Jahren.
Die junge Frau, die da am Pool lag, war ins Schloss in Cliveden eingeladen worden – wohl nicht, um über Shakespeare oder die politische Lage zu debattieren. Ältere adlige Herren erfreuten sich ihrer Präsenz. Ein Londoner Arzt, ein Osteopath namens Stephen Ward, der in der High Society verkehrt, unterhält mit Keeler ein „platonisches Verhältnis“. Er ist es, der sie ins Landgut der Astors geführt hat.
"Die Boulevard-Journalisten räkeln sich wie Schweine"
Alles ist enthalten in dieser Geschichte, was eine deftige Boulevard-Affäre ausmacht. „Die Boulevard-Journalisten sind so glücklich wie Schweine, die sich in der Scheisse räkeln," sagt Clive Irving, ein Journalist der „Sunday Times“, der in der Affäre damals recherchierte.
Da gibt es einen Brief an die inzwischen 21-Jährige: „Darling …ich schreibe dir in grosser Hast, da dein Telefon nicht antwortet. Um Himmels Willen, morgen Abend wird etwas auffliegen, ich bin nicht mehr in der Lage, dich bis zum nächsten September zu sehen. Verdammt nochmal. Take care of yourself. Renne nicht davon. Ich liebe dich. J."
„J“ steht für Jack. Jack Profumo, britischer Kriegsminister. Die Empfängerin des Briefes heisst Christine Keeler, ein Mannequin, die junge Frau vom Pool.
"Kein Unschicklichkeit whatever"
John Profumo, genannt Jack, ist Mitglied der Konservativen Partei, stets freundlich lächelnd, verheiratet mit der schönen britischen Schauspielerin Valery Hobson, die unter anderem 1935 mit Boris Karloff in „The Bridge of Frankenstein“ auftrat. Profumos Vorfahren sind Adlige und stammen aus Sardinien. Doch Sardinien ist weit, Profumo ist very, very British. Er gehört zum konservativen Klüngel der damals noch viktorianisch geprägten Konservativen Partei.
Nach ihrer Begegnung in Cliveden in Buckinghamshire sind sich Christine und Jack näher gekommen, ziemlich näher. Als erste Berichte auftauchen, leugnet der Minister die Affäre. Doch immer härtere Gerüchte kursieren. Vor dem altehrwürdigen Unterhaus erklärt Profumo: „Ich habe keine Unschicklichkeit getan, welcher Art auch immer (impropriety whatever)." Er sagt es, und neben ihm sitzen der Premierminister Harold Macmillan und das gesamte Kabinett.
Die britische Presse ist sich einig: Dass man einer jungen Frau wie dieser nicht widerstehen kann, ok, das kann es ja geben. Dass er versucht, das Ganze zu vertuschen, ok, das ist normal. Doch etwas ist gar nicht ok. Dass Profumo das Parlament, diese fast heilige Institution, belügt.
Ménage à trois
Zwar ist es die Zeit des Swinging London: die Mädchen laufen mit Mini-Jupes herum, der Mini-Cooper ist da. Die Beatles kommen, Freizügigkeit wird propagiert. London beginnt, das viktorianische Korsett abzulegen. Doch im Parlament herrscht noch viel Viktorianisches.
Doch die Affäre ist hochexplosiv – nicht aus moralischen Gründen. Es ist die Zeit des Kalten Krieges. In Ost und West wird spioniert. Und Christine Keeler, die damals berühmteste femme fatale, hat nicht nur ein Verhältnis mit John Profumo. Sie frequentiert auch den schönen Russen Eugene Ivanov. Er operiert als Schifffahrts-Attaché. Christine schwärmt von ihm: „Er ist ein Mann.“
Ivanov, ein klassischer Spion, weiss, dass seine Gespielin eine Affäre mit dem Kriegsminister hat. Der Russe – so behauptete man später - fordert Keeler auf, Profumo auszuhorchen. Vor allem interessieren ihn die amerikanischen ballistischen Raketen, die in Westdeutschland stationiert sind.
Der amerikanische Präsident explodiert
Christine interessiert sich wenig für ballistische Raketen. Und Profumo plaudert nichts aus. Doch das weiss man erst später. Als die Affäre bekannt wird, hat der amerikanische FBI-Direktor Edgar Hoover fast einen Tobsuchtsanfall. Er sieht die Sicherheit gefährdet und wittert einen spionierenden Call-Girl Ring. Da Christine einmal mit einer Freundin in New York auftauchte, glaubte er zu wissen, die Frauen würden auch auf New Yorker UNO-Beamte angesetzt. Er vermutet, dass sogar die Kennedy-Brüder involviert sind. Nichts davon ist wahr.
Nach dem Rücktritt von Jack Profumo ist die Affäre noch längst nicht zu Ende. Stephen Ward wird der Prozess gemacht. Er wird zum Sündenbock für alles. Ihm wird vorgeworfen, einen Prostituierten-Ring aufgezogen zu haben. Der Richter, Sir Archie Pellow Marshall, ist parteiisch. In einem abgehörten Telefongespräch vor dem Prozess sagt er: „Macht euch keine Sorgen, ich werde ihn schon kriegen.“ Zwei Prostituierte werden als Zeuginnen aufgeboten. Eine von ihnen sagt später, die Polizei habe ihr gedroht, ihr Kind wegzunehmen, wenn sie Stephen Ward nicht belaste.
Wie Marilyn Monroe
Christine Keeler erscheint am Prozess in aufgeräumter Stimmung. Sie trägt ein Glitzerkleid und präsentiert sich den Fotografen. Ruhig gibt sie Antwort. Nur einmal wird sie laut: „Ich möchte sagen, ich bin keine Prostituierte und war auch nie eine“.
Später auch wird klar, dass Ward mehrmals versucht hat, den Premierminister über die Affäre Keeler-Profumo-Ivanov zu informieren. Macmillan wollte nicht informiert werden.
Am 31. Juli 1963 lässt Stephen Ward das Taxi vor dem Kaufhaus Harrods in Knightsbridge anhalten. Er ist auf dem Weg zu den Prozessverhandlungen und geht noch schnell in die Apotheke. Am Abend schluckt er 35 Nembutal-Pillen. Die gleichen Pillen, mit denen sich ein Jahr zuvor Marilyn Monroe das Leben nahm. Stephen Ward stirbt drei Tage später im Spital.
"Supermac"
Und der Premierminister? Wusste der wirklich nichts? Spätestens seit Januar wusste er alles. Der amerikanische Botschafter in London, David Bruce, hatte ihn informiert. Doch nie hat Macmillan seinen Kriegsminister zur Rede gestellt. Warum nicht?
Der konservative Macmillan ist ein seltsamer Mensch. Er sieht sich als Staatsmann, dem es gelang, Nikita Chruschtow Konzessionen abzuringen – mehr als dies Kennedy gelang. Macmillan kann sich auf die Brust schreiben, dass er die Sowjets zu einem Vertrag zur Reduktion der Atomwaffentests bewegen konnte. „Supermac“ nennen ihn die Karikaturisten. Er glaubt, als grosse Figur in die Geschichte einzugehen.
Er, der grosse Staatsmann, mischt sich doch nicht in eine Sex-Affäre ein. Solche Affären sind ihm zuwider. Auch deshalb, weil seine Frau, Lady Dorothy, während 30 Jahren eine Affäre mit dem Bisexuellen Robert Boothby hat. Aus der Beziehung ist eine Tochter hervorgegangen.
Profumo ist kein schlechter Mensch
Christine Keeler versucht er zu verdrängen. „Diese Nutte wird mich nicht stürzen“, sagte er. Doch Keeler trägt wesentlich zu seinem Sturz bei. Macmillan wird krank. Die Keeler-Affäre schlägt im beginnenden Wahlkampf hohe Wellen. Seine angebliche Ignoranz wird zum Thema. Im Oktober 1963 tritt Macmillan zurück. Sein Nachfolger wird Alec Douglas-Home.
Jack Profumo ist kein schlechter Mensch. Nach seinem Sturz engagiert er sich für gemeinnützige Zwecke. Er hilft den Armen im Londoner East End. 1975 wird er gar zum Commander of the British Empire ernannt. Seine Frau Valeri bleibt ihm treu und unterstützt ihn bei seiner gemeinnützigen Arbeit. Einmal wird er sogar zu einem Bankett mit Premierministerin Thatcher eingeladen.
Später zeigt er sich kaum noch und ist auf den Rollstuhl angewiesen. Zum letzten Mal sieht man ihn 2005 an der Beerdigung von Edward Heath. Profumo stirbt 2006 nach einem Schlaganfall.
Glücklicher Stuhl
Und Christine Keeler? Sie hatte mit dem Fotografen Lewis Morley einen Vertrag geschlossen. Sie verpflichtete sich, nackt zu posieren, um einen Film zu promoten. Doch nach dem Wirbel um all die Enthüllungen war es wohl nicht angezeigt, weiter zu provozieren. So setzte sie sich auf einen Stuhl, nackt zwar, aber von der Stuhllehne bedeckt. So hat sie den Vertrag erfüllt, ohne sich zu entblössen. Das Foto geht noch heute um die Welt.
Und der dänische Designer Arne Jacobson jubelte. Er hatte den Stuhl „Modell 3107“ entworfen. Als die nackte Keeler auf ihm fotografiert wird, sagt ein Foto-Assistent „Glücklicher Stuhl“.
Und die Pointe: Der Stuhl war kein Arne Jacobson-Stuhl, sondern eine Kopie. Das störte den Designer nicht. Seine Kreation wurde hunderttausendemal verkauft. Glücklicher Stuhl, glücklicher Arne Jacobson.