Wenn er da draußen steht, ein gesundes Glas Grüntee in den Fingern, den Blick auf die Lichtchen und Bötchen des Zürcherischen Wassers gerichtet, fällt ihm, er weiss nicht wieso, immer das Fragment eines Gedichts ein: “Es lächelt der See, er ladet zum Bade.”
Das ist Rogers Blick geradeaus, denn seine Terrasse ist selbstverständlich “ufergerichtet”, wie es der Makler nannte, als Rightwing und Marie-Lou das Anwesen besichtigten: Villa, erbaut 1913, drei Stockwerke, acht Zimmer, drei Bäder etcetera etcetera.
Der Blick nach links richtet sich jedoch auf den verwilderten Garten eines Nachbarn, von dem Roger Rightwing nicht weiss: Gibt es den überhaupt? Wird das Anwesen verkauft? Streiten Erben?
Bis eines Abend, als der See wieder lächelte und zum Bade lud, Roger Rightwing von seiner Terrasse aus zunächst etwas roch: so einen Grillgeruch, aber nicht nach Bratwurst oder Cervelat, auch nicht nach Rindssteaks - eher so ein Geruch nach Straussenfleisch? Oder nach Kudu? Antilopenfleisch? Südafrikanischer Geruch, wie Roger kombinierte, denn da war er früher mal gewesen, noch als Journalist, als die Weissen darüber abstimmten, ob auch die Schwarzen abstimmen durften - lange her, Roger schrieb da einen Artikel, der unter dem Titel erschien: WARUM DIE APARTHEIT DEN SCHWARZEN NÜTZT UND DEN WEISSEN SCHADET, und da hatte er in einem Zulurestaurant, zum Teufel, er erinnerte sich nicht mehr, aber der Geruch.
Nun blickte er genauer und entdeckte ein Flämmchen in Nachbars Garten, ein kleines Lagerfeuer, wie ihm schien, und richtig: Da sassen auch Gestalten um dieses Feuer herum, da war ein Zelt, eines dieser Igluzelte, die Gestalten waren schiwarz, doch das besagte nichts, weil auch Weisse in der Nacht schwarz sind. Aber Weisse - grillieren die Antilopensteaks? Oder Krokodil? Er hatte in Südafrika, eingeladen von einer Burenvereinigung namens “Africa must stay white”, an einer Gartenparty auch grillierten Krokodilschwanz probiert… “Du, Marie-Lou, komm mal bitte?”, schrie er von der Terrasse aus in den Salon, da bemerkte er, die Figuren am Feuer blickten sich nach ihm um, und nun war es klar, weil die Gesichter von den Flammen beschienen wurden: Das sind Schwarze. Campieren in dem Garten. Illegale am Zürichberg? Vertamminomal! Unglaublich!
Marie-Lou stand jetzt neben Rightwing, sie ist ja nicht so vernünftig wie er, daher das Glas Rotwein.
“Ja, Schatz?”
“Schau mal da rüber. Ich glaube, da campieren… da sind Neger im Nachbargarten.”
Marie-Lou lachte auf.
“Das ist die Familie N’kotho, Roger. Und Neger sagt man nicht mehr.” “Familie N’ was, bitte?”
“Das sind Mary und Nelson mit ihrem Jungen John. Ein Prachtskid, Roger, toller Trübel. Du warst ja gestern wieder am Rapport bei Dark Vader auf Schloss Grätsch, ich habe sie zu einem Fondue eingeladen, sie haben CDs mit Zulugesängen und eine Flasche Rum mitgebracht. Der kleine John hat wunderbar mit Lisa gespielt, sie waren ein richtig süsses Paar, die Kleinen.” Ein süsses Paar? Lisa und … John? Zulus? Gut, ein Teil der Zulus war ja für die Apartheit gewesen. Aber wie kommen die überhaupt hierher, an den Zürichberg?
Es war eine schöne laue Nacht, der See lächelte und lud zum Bade, und Marie-Lou wollte schlafen gehen.
“Nein, Roger, die sind nicht illegal hier. Der Nachbar, dieser komische Philosoph, der meist auf Gomera wohnt, hat ihnen die Schlüssel gegeben. Aber sie wollen lieber im Garten bleiben.”
Roger Rightwing ist kein Spiesser, das nicht. Und solange sie keine Steine in seine Verandafenster schmissen, konnten ihm die Zulus egal sein. Das war nun mal Globalisierung, und er konnte eventuell, wenn ihm Marie-Lou am Frühstückstisch mehr erzählte, die Zulus in seinem Editorial willkommen heissen. Die Schweiz ist ja ein befreundetes Land: Waffenlieferungen, Investitionen, Geldtransfer …
“Gehen wir schlafen Marie-Lou. Und schalte dann gleich auch die Alarmanlage ein, das vergessen wir in letzter Zeit viel zu oft. Und, na ja… Ein Paar müssen unsere Lisa und dieser sympathische Zulugoof ja nicht werden. Oder, Marie-Lou?”
Doch Roger Rightwings Frau war bereits im Bad verschwunden.
“Willst du, Lisa Rightwing, den hier anwesenden John N’kotho zum Gatten nehmen und ihm treu sein…”
Der Rest ging im Gebrabbel der bunten Menge unter. Im hinteren Teil des Saals grölten die von der Alternativen Liste und zum Fenster herein hörte man Lautsprecher kreischen: “Kommt alle zur Hochzeit der Rightwingtochter mit dem Sohn des Zuluhäuptlings…”
Roger Rightwing wurde nun zugemutet, John N’kotho zu umarmen. Marie-Lou hatte es bereits getan.
“Rightwing! Rightwing!”, skandierten die ungebeten Gäste.
Roger rann der Schweiss in die Armanisocken.
Fotoapparate blitzten.
John N’kotho streckte seine Arme nach Rightwing aus.
“Schwiegervater!”
Roger Rightwing fiel in Ohnmacht und erwachte erst nach einer langen kalten Dusche.
“Schatz, du siehst schrecklich bleich aus. Kaffee?”
“Ich hatte einen grauenhaften Alptraum.”
“Was denn, Schatz?”
“Ach nichts. Ich war im Dschungel, und Tiger, und Schlangen, und… Brrrr!” Es klingelt.
Es klingelt erneut.
Die kleine Lisa rennt jauchzend die Treppe herunter.
Rightwing verschluckt sich am Gipfeli. Schliesslich stottert er: “Ich will es gar nicht wissen. Sag nichts, ich will es nicht wissen. Diese gelben Tigeraugen, weisst du. Und das Gezirpe und Geheul im Dschungel. Die Eingeborenen in Kriegsbemalung.”
“War doch nur ein Traum, Roger.”
“Wer weiss, Marie-Lou. Wer weiss.”