Am 24. Oktober erlitt die ägyptische Armee im Sinai den tödlichsten Anschlag seit Jahren. 30 Soldaten verloren durch eine Selbstmordautobombe ihr Leben, 29 weitere wurden verletzt. Der Anschlag war an einer Armeesperre nordwestlich von al-Arisch erfolgt. Er kam eine Woche, nachdem ein ägyptisches Militärgericht 7 gefangene Terroristen zum Tode verurteilt hatte.
Die "Pufferzone"
Der ägyptische Staat nahm den Vorfall zum Anlass, um die Gefahren zu unterstreichen, die dem Land durch - angeblich "ausländische" - Terroristen drohen. Der ägyptische Verteidigungsrat trat zusammen. Er ist aus den Spitzen der Militärs und jenen der Regierung zusammengesetzt. Eine dreitägige Staatstrauer wurde angeordnet. Der Notstand für drei Monate in Nord- und Zentralsinai wurde ausgerufen.
Der Verteidigungsrat beschloss, eine "Pufferzone" entlang der Gaza-Grenze zu errichten. Sie soll 500 Meter breit und etwa 14 Kilometer lang werden. Alle Häuser in diesem Gebiet werden zerstört. Auch Wassergräben werden trockengelegt und eingeebnet, um den Bau von Tunneln unmöglich zu machen. Die Besitzer von Häusern, die in der Zone liegen, wurden bereits aufgefordert, ihre Häuser zu räumen, damit diese gesprengt werden könnten.
Rückkehr der Militärgerichte
Präsident Abdel Fatah al-Sisi hielt mehrere Ansprachen. In einer davon bezeichnete er den Krieg mit den Terroristen als "Überlebenskampf Ägyptens". Eine Woche nach dem Anschlag erliess der Präsident ein Gesetz, nach dem die Polizei und die Armee für die nächsten zwei Jahre gemeinsam die Verantwortung für die Sicherheit "vitaler" Institutionen des Staates zu gewährleisten haben.
Als Beispiele wurden gegeben: Strassen, Brücken, Gas- und Elektrizitätswerke. Ministerpräsident Ibrahim Melheb erklärte, auch die Universitäten gehörten dazu. Das neue Gesetz legt fest, dass, wer diese "vitalen" Institutionen angreift oder schädigt, vor ein Militärgericht gestellt wird.
Die Rolle der Mlitärgerichte
Die Militärgerichte sind der Kern der neuen Regelung. Sie waren unter Mubarak in "Sicherheitsfragen" zuständig. Sie fällen Urteile auf Befehl oder Weisung von oben. Die Gefängnisse der Militärgerichtsbarkeit waren berüchtigt für besonders sadistische Foltermassnahmen und die absolute Straffreiheit des Personals.
Die Verfassung Ägyptens, die unter al-Sisi ausgearbeitet und am 16. Januar durch Plebiszit angenommen wurde, schränkt die Zuständigkeit der militärischen Gerichtsbarkeit auf Belange ein, die das Militär betreffen. Wobei die Militärjustiz allerdings auch zuständig bleibt für alle Fälle, in denen Zivile mit Militärs in Streit geraten.
Das neue Gesetz jedoch weitete die Zuständigkeit der Militärgerichte "für die nächsten zwei Jahre" wieder weit aus. Wenn sie nun auch für Ruhe und Ordnung an den Universitäten zuständig wird, werden die Militärs zum Instrument, um die studentischen Unruhen und Proteste niederzuschlagen, die seit der Zeit der Absetzung Mursis im Juli 2013 bis heute andauern. Auch die "Absicherung" von Strassen und Brücken kann und wird dazu dienen, die Militärs und ihre Gerichte gegen alle Demonstrationsversuche einzusetzen - nicht anders, als es unter Mubarak gewesen war. Nur möglicherweise noch strenger und blutiger, weil es ja nun um "Niederhaltung des Terrorismus" geht.
Resultate der Revolution annulliert
Die Beschneidung der Zuständigkeit der Militärgerichte war eine der letzten Errungenschaften des ägyptischen Frühlings von 2011 gewesen. Sie schien sogar durch die gegenwärtig gültige Verfassung garantiert. Doch nun wird der Vorwand der Terrorismusbekämpfung ergriffen, um diese Einschränkungen für die kommenden zwei Jahre praktisch ungeschehen zu machen.
"Selbstbeschränkung" der Medien
Vergleichbares droht der Meinungsfreiheit. Die Chefredakteure von 17 staatlichen und privaten Zeitungen Ägyptens sind zusammengetreten und haben erklärt, im Namen des Kampfes gegen den Terrorismus würden sie sich künftig jeder Kritik an der Armee und am Staate enthalten. Unter den 17 Blättern sind auch einige, die bekannt für ihre Kritik an freiheitsbeschränkenden Massnahmen des Staates sind, oder mindestens bisher waren. Fernsehstationen, staatliche und private, haben sich den Loyalitäts- und Blindheitsversprechen der Zeitungen angeschlossen. Man muss annehmen, dass diese Zeitungs- und Fernsehdirektoren von staatlicher Seite dazu "angeregt" worden waren, sich selbst als unkritisch zu erklären.
NGOs an die Leine des Staates
Nach einem schon früher erschienen Gesetz über NGOs müssen sich alle in Ägypten wirkenden NGOs bis zum 11. November bei der Regierung registrieren. Sie dürfen ohne Zustimmung der Regierung kein Geld aus dem Ausland annehmen und sie müssen ihre Aktionsprogramme den zuständigen Behörden vorlegen. Diese müssen die Programme billigen, und sie werden kontrollieren, ob die Organisationen sich an ihre eigenen Programme halten. Wer die ägyptische Bürokratie kennt, wird nicht daran zweifeln, dass diese Kontrollen ausgesprochen erstickend ausfallen werden.
Aktivisten in die Gefängnisse
Es ergibt sich ein Gesamtbild, das dem politischen Gesetz entspricht, nach dem die Extreme einander in die Hände arbeiten und sich aneinander hochschaukeln. Der Terrorismus bringt Freiheitseinschränken für die gesamte Gesellschaft durch die Armee, und Teile dieser Gesellschaft werden dadurch getrieben, sich den Terrorgruppen zuzuwenden. Ihr Wachstum provoziert dann neue Vollmachten für die Repressionsorgane, und die Schraube dreht sich.
Politische Aktivisten, die sich zur Zeit in den ägyptischen Gefängnissen befinden, sind nach den Angaben der Regierung 16´000, nach den Einschätzungen der Aktivsten 40´000. Viele dieser Gefangenen sind Muslimbrüder, doch die Zahl der gefangenen säkularen Regimekritiker steigt .
17 Jahre Haft
Ein besonders beachtetes Vorgehen gegen den im In- und Ausland bekannten Blogger aus der Zeit der Agitation gegen Mubarak und in den folgenden Jahren, Alaa Abdul Fattah, und seine Mitkämpfer, hat bis jetzt die folgenden Phasen durchgemacht: Der Aktivst und einige Gefärten demonstrierten gegen das Demonstrationsgesetz, das kurz nach der Machtübernahme al-Sisis erlassen wurde und das das Demonstrationsrecht stark einengt. Gegen sie ergingen Haftbefehle.
Abdul Fattah erklärte, er werde sich freiwillig stellen, wurde jedoch in seiner Wohnung verhaftet, bevor er dies tun konnte. Seine 20-jährige Schwester gab bekannt, sie sei bei dieser Gelegenheit von den Polizisten geschlagen worden. Der Blogger erhielt in einem ersten Prozess bei dem er nicht anwesend war, eine Haftstrafe von 17 Jahren wegen Vergehens gegen das neue Demonstrationsgesetz.
Ohne Prozess im Gefängnis
Dieser Pozess wurde in Gegenwart des Angeklagten neu aufgerollt. Der zweite Prozess endete damit, dass der Richter den Prozess niederlegte. Der Blogger kam gegen Kaution frei. Doch er wurde nun zusammen mit 20 Gefährten auf Anordnung eines neuen Richters, der den Prozess noch einmal neu aufrollt, neu festgenommen. Seine 20-jährige Schwester ist inzwischen wegen unerlaubter Kundgebungen zu drei Jahren Haftstrafe verurteilt worden.
Für weniger bekannte Personen gibt sich die Gerichtsbarkeit nicht soviel Mühe. Sie verschwinden wie viele Tausende von anderen in den Gefängnissen mit oder ohne Prozess. Diese Zustände, die schon unter den zivilen Richtern bestanden, werden nun allem Erwarten nach bedeutend weiter und brutaler um sich greifen, wenn die Militärgerichte ihres Amtes walten.