„Die Welt wurde von Narren gemacht, damit Weise darin leben“, konstatierte seinerzeit Oscar Wilde, der es ja wissen musste. Wilde zerbrach an der gesellschaftlichen Borniertheit seiner Zeit, welche gleichgeschlechtliche Beziehungen nicht zuliess. Zum Glück hat sich das inzwischen geändert, und unsere hetero-dominierte Gesellschaft ist meist bereit, mitzufühlen, ja sogar auch mitzulachen. Ob uns, wie es im Stück mal heisst, „ganz normale Homos“, ob Transgender, Dragqueens und Dragkings begegnen, wir können inzwischen endlich darauf verzichten, sie auszulachen, wie es nur allzu gerne geschah und immer noch geschieht. Zu diesem sich langsam ändernden Verständnis hat inzwischen eine Flut von Literatur, Filmen, Theater und Musik beigetragen.
„I am what I am“
Eines der herausragenden Beispiele dafür ist das 1983 in New York uraufgeführte Musical des erfolgreichen amerikanischen Komponisten und Texters Jerry Herman. Dieser, schon in den Sechzigerjahren unter anderem mit seinem Musical „Hello Dolly“ weltberühmt geworden, nahm sich des grossartigen Bühnenstücks von Jean Poiret (1926–1992) an und landete am Broadway prompt mit „I am what I am“ wieder einen Welthit. Das ganze Thema ist hitverdächtig, wurde doch das Bühnenstück von Poiret nach dessen Pariser Uraufführung von 1973 ganze 1’800 Mal aufgeführt – eine fast unvorstellbare Zahl, die dann ab 1978 durch gleich drei Verfilmungen gesteigert wurde.
Die Erfolgsträchtigkeit des Stoffes war für Jerry Herman also hundertprozentig gegeben. Und er wurde der Verpflichtung zum durchschlagenden Erfolg auch prompt gerecht. Bis heute.
Hochkarätige Besetzung
Am Theater Basel konnte man mit der Verpflichtung der beiden grossartigen Hauptdarsteller Stefan Kurt und Roland Koch, beide durch Bühne und Fernsehen bekannt, zwei hochkarätige (Schweizer) Zugpferde engagieren. Doch auch rings um sie, das homosexuelle Paar Albin, alias die Dragqueen Zaza, und den Besitzer der Bar „Cage aux folles“ Georges, schart sich ein enorm motiviertes Ensemble, das mit geradezu explodierender Spiellust die Handlung weitertreibt. Diese wird allerdings in dieser Inszenierung des jungen Berliners Martin G. Berger öfter mal unterbrochen, bewusst eingebremst, um Nachdenklichem und Philosophischem Platz zu machen.
Generell aber erscheint diese Basler Inszenierung wie ein Trabrennen auf der Rennbahn, dessen Rassepferde zwischendurch vom Trab in furiosen Galopp fallen, aber durch diese (bei Trabrennen) verbotene Gangart nicht nur nicht disqualifiziert, sondern sogar belohnt werden – belohnt mit wirksamen Einlagen des Stücks, Vaudevilles in der Manier von Couplets mit lokalen Anspielungen. Und wenn Albin, alias die Königin der Travestie, Dragqueen Zaza, auftritt, den Applaus des Publikums herausfordert und ihre Anfahrt von „Sissach, Liestal, Böckten nach Basel“ beschreibt, ist ihr/ihm tosendes Gelächter sicher.
Auf musikalischer Ebene überrascht das jazzige, auch mit Dissonanzen aufwartende Arrangement für 11 Musikerinnen und Musiker an 16 Instrumenten, das der amerikanische Pianist und Dirigenten Thomas Wise eingerichtet hat. Er treibt die diversen Ohrwürmer dieses viel zu selten aufgeführten Musicals voran und bringt sie wirkungsvoll zur Entfaltung.
Das Lachen steckt im Hals
Aber all das beschreibt nur die Machart des Stücks. Die ihm zugrunde liegende Problematik aber schimmert immer wieder durch all die Narreteien hindurch: eine unverbrüchliche Liebesbeziehung, die trotz aller Unterschiede durch viele Jahre hindurch in einem nicht alltäglichen Umfeld trägt auf der einen und die Angst vor dem Altwerden, dem Verlust von Attraktivität auch für den Partner auf der anderen Seite. „Das Lachen steckt im Hals und will nicht mehr heraus.“
Aktuell thematisiert wird in dieser Inszenierung auch die Ausgrenzung von Homosexualität und Travestie in einem rechtspopulistischen Milieu, welche die Existenz solcher Cages aux folles bedroht. Das wird mittels Einschüben von Szenen quasi aus einer Reality-Show deutlich, aber auch durch wie Gedankenblitze auftauchende Videosequenzen (Jonas Alsleben) und raffinierte Beleuchtungseffekte (Roland Edrich). Die fast durchgehend offene Bühne lässt problemlos alle Verwandlungen zu (Sarah-Katharina Karl). Auch jene, in der Albin und Georges endlich von ihrer Jugend-Besessenheit loskommen und statt des alten, sehnsüchtigen Zieles „jung und verliebt“ endlich lächelnd zu „alt und verliebt“ finden und Arm in Arm verschwinden.
Wenn der „lokale Weltstar“ Zaza auch verkündet: „Das ist meine Selbstbestimmungs-Initiative: meinen eigenen Applaus zu steuern“, braucht sie respektive er sich in Basel keine Sorgen zu machen. Am Schluss der Premiere sprang das Publikum geradezu von den Sitzen hoch: Standing ovations für „die Schmetterlinge im Garten der Lüste“.
Theater Basel: Ein Käfig voller Narren (La Cage aux folles). Nächste Vorstellungen: 21., 27., 31. Dezember