„Lieber Jean Ziegler“, schrieb die Regierungschefin des österreichischen Bundeslandes Salzburg, Gabi Burgstaller, an den Genfer Soziologieprofessor, Politiker und Bestsellerautor: „Es wäre mir und – ich darf ohne Übertreibung sagen: es wäre für Salzburg – eine ganz besondere Freude und Ehre, dich heuer als Festspielredner begrüssen zu dürfen!“
Das war am 21. Februar. Nachdem Ziegler das Angebot mit Dank angenommen hatte, erhielt er am 24. März neue Post aus Salzburg. Die sozialdemokratische „Landeshauptfrau“ Burgstaller teilte dem lieben Jean darin mit: „Ich bedauere sehr, dir mitteilen zu müssen, dass ich die Einladung zur Eröffnungsrede für die Salzburger Festspiele 2011 nicht aussprechen kann.“
Die NGO "UN Watch" jubelt
In Genf brach eine Nicht-Regierungs-Organisation (NGO) mit dem nichtsagenden Namen UN Watch in Jubel aus. „Sieg“ verkündet ein Communiqué der NGO am Freitag: „Nach der jüngsten Kampagne von UN Watch mit Reden, Artikeln und TV-Auftritten, die Jean Zieglers Verbindungen mit dem Gaddafi-Regime offen legen, hat das Land Salzburg die geplante Ansprache des Menschenrechtsfunktionärs der UNO abgesagt.“ Der Exekutivdirektor von UN Watch, Hillel Neuer, „gratulierte“ den Salzburger Festspielen, „dem Chefverteidiger des Gaddafi-Regimes bei der UNO diese prestigeträchtige Plattform entzogen zu haben“. Neuer drückt seine Hoffnung aus, dass dieser Ausladung bald andere folgen würden.
Ziegler weist die Vorwürfe von UN Watch als „gezielte Lügen“ zurück. Was steckt hinter der Kabale?
UN Watch ist eine Filiale des „American Jewish Committee“, das 1906 gegründet wurde, um jüdische Einwanderer in den USA gegen Vorurteile und Diskriminierung zu verteidigen. Jetzt unterstützt das AJC die israelische Regierungspolitik. Seine 1993 geschaffene Aussenstelle UN Watch vertritt die vermeintlichen Interessen Israels hinter den Kulissen der UNO und steuert internationale Kampagnen. Für den Kampf gegen Ziegler vereinigt sie nach eigenen Angaben „45 Menschenrechtsgruppen“. Zuletzt forderten das American Jewish Committee und UN Watch erfolglos die Abberufung Zieglers als Mitglied des Beratenden Ausschusses des Menschenrechtsrats der UNO.
Vom Liebling zum Abtrünnigen
Ziegler war einst in jüdischen Kreisen wohlgelitten, nachdem er sein Buch „Die Schweiz, das Gold und die Toten“ veröffentlichte, in dem es um die unauffindbaren Bankguthaben jüdischer Naziopfer ging. Er wurde sogar vom Jüdischen Weltkongress eingeladen. Die Freundschaft schlug aber in Hass um, als Ziegler als Berichterstatter der damaligen UNO-Menschenrechtskommission nach einem Besuch in den besetzten Palästinensergebieten schweres Geschütz gegen die israelische Regierung auffuhr. Er warf den Israelis vor, die Palästinenser auszuhungern und ihr Land in „Bantustans“ zu zerstückeln.
Der streitbare Genfer sollte im Juli zur Eröffnung der Salzburger Festspiele eine halbe lang Stunde über den „Aufstand des Gewissens“ reden - live übertragen vom Österreichischen Rundfunk. 2010 war Stardirigent Daniel Barenboim dran gewesen; in früheren Jahren traten unter anderen Eugène Ionesco, Léopold Senghor, Vaclav Havel, Jeanne Hersch und Karl Friedrich von Weizsäcker auf. Landeshauptfrau Burgstaller erläuterte Ziegler brieflich den Grund ihres Sinneswandels: „Es wäre schade, wenn deine mit Sicherheit bedeutende Rede nicht inhaltlich diskutiert wird, sondern ein parteipolitisch motivierter Streit auf deinem und meinem Rücken stattfindet.“
Bei Erkundigungen sei die Festspielleitung auf „kritische Artikel zu deinem Verhältnis zu Mohammed (!) Gaddafi gestossen“, schrieb Burgstaller ihrem Freund. „Obwohl ich deine (aktuelle) Meinung zu ihm kenne, halte ich es für sehr problematisch, wenn anlässlich deiner Eröffnungsrede nicht über den Inhalt, sondern über deine (ehemalige) Beziehung zu Libyen diskutiert wird.“ Ziegler antwortete: „Ich bin betrübt, dass sich das Land Salzburg einer so absurden persönlichen Verleumdungskampagne beugt.“ Mit dem erwähnten Gaddafi-Menschenrechtspreis habe er „absolut nichts zu tun“.
Wer zog noch an den Strippen?
Ziegler vermutet, dass auch die „Geldsäcke von der Bahnhofstrasse“ und Konzerne wie Nestlé, die die Salzburger Festspiele sponsern, hinter seiner Ausbootung stecken. Doch Festspielpräsidentin Helga Rabl-Stadler von der konservativen Österreichischen Volkspartei (ÖVP) beteuert, die Sponsoren hätten von der Sache gar nichts gewusst. Ein Trost bleibt Ziegler, der gerade an einem neuen Buch über den Hunger in der Welt schreibt: Man redet über ihn.