So dachten in den 1860er-Jahren die „Volksmänner der Arbeit“ , als sie den Eindruck hatten, es sässen zu viele „Wirtschaftsleute des Kapitals“ in der schweizerischen Regierung. Am Ende des 19.Jahrhunderts wollten die Demokraten, zu denen auch die jungen Sozialdemokraten gehörten, mehr Demokraten im liberal dominierten Bundesrat.
Blochers Kalkül
In den 1930 er Jahren war aus den jungen Sozialdemokraten die grösste Partei des Landes geworden und immer noch waren sie nicht im Bundesrat vertreten. In den 1950er Jahren ging es dann dem „Landesring der Unabhängigen“ so, in den 1990er Jahren den Grünen. Und Ende der 1990er der Zürcher SVP von Blochers-Gnaden.
Christoph Blocher wollte schon immer in den Bundesrat und kam 1997 zur Überzeugung, dies durch die Bundesversammlung nie werden zu können. Also tat er, was all die genannten Gruppen und Parteien seit den 1860er Jahren schon vor ihm getan hatten: Er liess eine Volksinitiative zur Wahl des Bundesrates durch das Volk ausarbeiten und diskutieren. Dabei waren nie systemische Einsichten oder Überlegungen ausschlaggebend. Immer ging es bloss um Protest und Wege wie man eher in den Bundesrat kommen könnte. Der eigene Machtwillen war entscheidend, keine Überlegungen, wie die demokratischen Institutionen so miteinander verknüpft und aufeinander abgestimmt werden können, dass sie der Gesellschaft am besten dienen .
Erst nach der Abwahl kam die Volkswahl wieder aufs Tapet
Nationalrat Blocher hatte sich freilich wie schon so oft im Detail getäuscht. Nachdem seine SVP 1999 und 2003 bei den Parlamentswahlen mächtig zulegen konnte und zur stärksten Partei der Schweiz wurde, überliess ihm im Dezember 2003 die Mehrheit der Bundesversammlung einen der beiden CVP-Bundesratssitze und hob ihn in den Bundesrat. Sofort war in der SVP von der Lancierung einer neuen Volksinitiative zur Volkswahl des Bundesrates nicht mehr die Rede.
Doch Blocher täuschte sich ein zweites Mal. 2007 widerfuhr ihm, was er sich nie hätte vorstellen können. Die Bundesversammlung wählte ihn wieder ab. Und so kam auch die Volksinitiative zur Volkswahl wieder zum Zug. Als Racheakt gegenüber einem Parlament, das sich gleichsam die Freiheit nahm, „Gott“ aus dem „Paradies“ zu werfen.
Der Kern der direkten Demokratie
Mit dem Ausbau oder gar der „Krönung der Direkten Demokratie“ hat dies gar nichts zu tun. Denn der Kern der Direkten Demokratie ist die Abstimmung über Sachfragen in Form von Verfassungs- oder Gesetzesänderungen. Diese wurden in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts gerade auch deswegen erkämpft, weil die Wahl von Personen in die Parlamente als zu unzureichend für die Wahrung der Interessen der nichtprivilegierten Mehrheit der Gesellschaft erwiesen hatte.
Vielmehr würde die Wahl des Bundesrates durch das Volk das „böse“ Parlament treffen und schwächen. Erfahrungen aus der Geschichte und im Ausland illustrieren, dass wenn immer Legislative und Exekutive die gleiche Legitimität haben, das Parlament geschwächt, die weniger privilegierten Teile der Gesellschaft marginalisiert und die autoritäre Herrschaftlichkeit des politischen Systems erhöht würden. Die Volkswahl würde zu einer effektiven Abwertung des Parlamentes, das in der Schweiz eh schon schwach ist, führen. Doch nur weil es Herrn Blocher einige Male widersprach, darf das Parlament nicht noch mehr an Gewicht verlieren. Das würde die Pluralität der Schweizer Demokratie weiter abbauen zugunsten des Mainstreams, der Plutokratie und der mächtigen Interessengruppen.
Ende von Konkordanz und Kollegialität
Auch eine Direkte Demokratie braucht ein starkes Parlament. Denn mehr als die Hälfte der Vorlagen, über welche die Stimmberechtigten entscheiden, kommen aus dem Parlament (Referendumsvorlagen sowie direkte und indirekte Gegenvorschläge zu Volksinitiativen.) Auch die Direkte Demokratie ist schlecht verträglich mit einem Bundesrat, der versucht sein könnte, sich über das Parlament hinwegzusetzen. Das würde all jene Bürgerinnen und Bürger marginalisieren, die nicht über Medien-,Geld-oder Verbandsmacht verfügen können. Eine Volkswahl des Bundesrates verdünnt die Demokratie, schwächt ihre Substanz und vermehrt ihren Schein, Oberflächlichkeit, Personalisierung und Unterhaltungswert. Sie wäre das Ende von Konkordanz und Kollegialität.
Ihr Nein am 9.Juni 2013 verhindert einen Rückschritt der schweizerischen Demokratie. Obwohl doch die Schweiz derzeit so manche echte Fortschritte zur Demokratisierung und Stärkung der Demokratie nötig hätte.
Andi Gross ist zusammen mit Martin Stohler, Dani Schönmann und Fredi Krebs Herausgeber des Büchleins „Nur scheinbar demokratisch, die Volkswahl des Bundesrates als Rückschritt der Demokratie“ mit 29 Beiträgen von 25 AutorInnen. (220 S., Editions le Doubs, St.Ursanne, 19 Fr.80) – in französisch: „Simulacre de démocratie, l’élection du Conseil Federal comme regression de la démocratie“ (220 p., 19.80) – Bestellungen bei [email protected]