Von Armin Wertz
"Als ich dem Kollaps der Twin Towers zuschaute, hatte ich das Gefühl, schon einmal einen nahezu identischen Albtraum durchlebt zu haben. Durch einen Zufall, der das Blut in den Adern gerinnen lässt – historisches Karma –, trafen die gesteuerten Flugzeuge ihre US-Ziele an einem Dienstag, einem 11. September, dem exakt gleichen Tag der Woche und des Monats – und beinahe zur gleichen Morgenzeit – des Militärputsches in Chile 1973, eines Terroranschlags gegen eine Demokratie, der von der CIA orchestriert wurde. Die Bilder der brennenden Gebäude, des Rauchs, der Flammen und der Panik glichen sich an beiden Schauplätzen." (Isabel Allende, „Mi país inventado“)
Auf den Besucher wirkt Valparaíso, 1536 gegründet, wie eine sanierungsbedürftige Version von San Francisco: Eine hügelige Stadt, die sich beinahe 20 Kilometer weit von Playa Ancha bis Viña del Mar um eine Bucht erstreckt, mit einem Labyrinth steiler, gewundener Strassen, deren windschiefe Holzhäuser sich der Schwerkraft zu widersetzen scheinen. Hier ist das Hauptquartier der chilenischen Marine. Auf der Plaza Sotomayor im Zentrum der Stadt steht das "Monument der Helden von Iquique", das an den Pazifikkrieg erinnert, in dem die zahlenmässig unterlegenen aber disziplinierteren Streitkräfte Chiles 1879 den Sieg über ihre peruanischen und bolivianischen Gegner gewannen und feindliches Territorium, darunter Boliviens Zugang zum Meer, eroberten.
Chiles längster Tag
Chiles Streitkräfte können sich nicht nur ihrer Professionalität rühmen, sie wurden noch nie besiegt. Die chilenische Heeres-Akademie, wo General Augusto Pinochet einst studierte, war wenige Jahre nach diesem Krieg von dem preussischen Hauptmann Emil Körner gegründet worden. Körner war 1886 nach Chile gekommen und half, die Armee zu reorganisieren. Graue Uniformen, Stechschritt, eine strikte hierarchische Ordnung und politische Neutralität waren das preussische Vermächtnis, das er den Streitkräften hinterliess.
"Chile hat eine lange bürgerliche Geschichte mit wenigen Revolutionen und vielen beständigen Regierungen, konservativen und mittelmässigen", beschrieb Pablo Neruda in seinen Erinnerungen diese demokratische Tradition seines Landes. 1924 hatte das Militär zum letzten Mal geputscht, seither hielten sich die Offiziere an die Verfassung. Bis zum "längsten Tag", wie die Chilenen jenen 11. September des Jahres 1973 nennen, der für einige "die nationale Befreiung von drohender Tyrannei und fremdem Joch, für andere der Beginn faschistischer Herrschaft und das Ende eines wunderbaren Traums" war, wie der seinerzeitige US-Botschafter Nathaniel Davis scheinheilig beobachtete.
Streiks und Putschgerüchte
Präsident Salvador Allende Gossens beriet sich in der Nacht zu jenem "längsten Tag" immer noch mit einigen seiner engsten Berater in seiner Residenz in der Calle Tomás Moro über die andauernden Streiks der Lastwagen-, Bus- und Taxifahrer, der Ärzte, Krankenschwestern, Apotheker, Zahnärzte, Piloten, Ingenieure, Rechtsanwälte, Beamten oder Ladenbesitzer, über die galoppierende Inflation und über die anhaltenden Putschgerüchte, als ihn 28 Minuten nach Mitternacht ein beunruhigender Anruf erreichte. Nachtschichtarbeiter auf der Autobahn hätten Lastwagen mit Soldaten des Alten Wachregiments aus Los Andes und das Yungayregiment aus San Felipe auf dem Weg nach Süden in Richtung Santiago beobachtet, berichtete der Chef des Oficina de Información y Radio René Largo Farías.
Auf dem Luftwaffenstützpunkt Los Andes sei ebenfalls rege Tätigkeit beobachtet worden, zudem hätten Truppen verdächtige Positionen in Santiago eingenommen. Zur selben Zeit weihten die Carabinero-Generale Mendoza und Yovane die Unteroffiziersschule der Polizei, die die Wachen am Regierungspalast stellte, in die Putschpläne ein. In der Kriegsakademie in Valparaíso registrierte Admiral Merino unter seinen Matrosen eine Anspannung "wie kurz vor der Landung auf Guadalcanal im Zweiten Weltkrieg". General Augusto Pinochet ging um drei Uhr beruhigt zu Bett.
Zur selben Stunde kam Verteidigungsminister Orlando Letelier nach Hause, rauchte eine letzte Zigarette und berichtete seiner Frau von der Nachtsitzung in Tomás Moro: "Salvador wird morgen ein nationales Vertrauensvotum ankündigen, ich bin sicher, dass wir das gewinnen werden, und das wird die Putschgefahr erheblich reduzieren." Sie hätten täglich auf den Putsch gewartet, erzählte Leteliers Frau Isabel später. Nach dieser Nachricht aber seien sie "beide glücklich schlafen gegangen."
Um 04.00 Uhr wurde das gesamte Militärpersonal, das nicht schon in den Kasernen weilte, aufgerufen, sich bei seinen Dienststellen zu melden.
"Operacion Silencio"
Um 05.45 Uhr führte Kapitänleutnant Arturo Troncoso auf Befehl des Marinechefs, Admiral Merino, "Operación Silencio" durch. Seine 150 Männer besetzten die Telephongesellschaft und durchtrennten sämtliche Telephonlinien, Radiosender wurden besetzt oder ausser Betrieb gesetzt. Um sechs Uhr besetzten Seeleute, Marines und andere Truppen Valparaíso, weitere Marineverbände rückten gegen Santiago vor. Zwischen 06.10 und 06.20 Uhr erfuhr Allende vom Beginn des Putsches. Gegen 07.40 Uhr traf er in der Moneda, dem Regierungspalast, ein.
Immer wieder hatte Allende – im bürgerlichen Beruf Arzt – betont, er wolle "keinen Bürgerkrieg. Ich kann keine bewaffnete Konfrontation erlauben", hatte er seiner Schwester Laura noch tags zuvor gesagt. "Chile ist gespalten. Sogar unsere eigene Familie, unser eigener Neffe ist mit der Opposition. Denk doch an all die Arbeiter, die in einem Bürgerkrieg sterben könnten. Nein Laurita, ich bin nicht so verantwortungslos." Régis Debray, der noch im August ein langes Interview mit Allende geführt hatte, bestätigte Lauras Darstellung: "Er hatte eine tiefe Abneigung vor einem Bürgerkrieg, der angesichts der militärischen Überlegenheit der Gegenseite ohnehin nicht zu gewinnen war. Der Gedanke, dass andere Menschen ihr Blut vergiessen könnten, entsetzte ihn."
Zwanzig Minuten nachdem er sich gegen acht Uhr in einer ersten Rundfunkansprache an die Bevölkerung gerichtet hatte, erhielt er einen Anruf, der die Hoffnung zunichte machte, dass sich das Gros der Streitkräfte an die Verfassung halten würde. Ausgerechnet Oberst Roberto Sanchez, dem er als Freund vertraut hatte, rief ihn im Auftrag der Generale an und forderte ihn auf, zurückzutreten, ein Flugzeug stünde bereit, ihn auszufliegen. "Sag dem General, dass der Präsident nicht im Flugzeug flieht", antwortete Allende und murmelte: "Diese Verräter, diese Verräter... Sie haben nicht einmal die Courage, mir das direkt zu sagen."
Allendes letzte Radiobotschaft
Während Allende noch einmal seinem Volk via Radio versicherte, er "werde nicht zurücktreten", besetzten die Putschisten eine Rundfunkstation nach der andern. "Wir hörten Gewehrschüsse und Schreie; dann eine kurze Stille; dann die allgegenwärtige Militärmusik", erinnerte sich die Tochter des US-Botschafters. Um 08.28 Uhr sendete Radio Agricultura die Nationalhymne. Im Anschluss daran wurde das "Edikt Nr. 1" der Junta verlesen, in dem von Chiles schwerer sozialer und moralischer Krise, von der Unfähigkeit der Regierung, Chaos zu verhindern, und dem ständigen Anwachsen paramilitärischer Gruppen die Rede war, die das Land "unweigerlich in einen Bürgerkrieg" trieben. Der Erlass forderte den Rücktritt des Präsidenten und betonte die Entschlossenheit der Junta, das Land "von der marxistischen Knechtschaft" zu befreien, die Ordnung und die "Verfassungsmässigkeit" wiederherzustellen. Unterzeichnet war die Botschaft von den Chefs aller Teilstreitkräfte, den Generalen Augusto Pinochet (Armee), Gustavo Leigh (Luftwaffe), César Mendoza (Carabineros) sowie Admiral José Merino.
Der Präsident "war in seinem Büro, umgeben von ungefähr 20 Leuten", berichtete die Zeitung "Qué Pasa" Jahre später über Allendes Reaktion: "Er hatte sein Sakko abgelegt und einen olivgrünen Helm aufgesetzt. Er hatte seine Kalaschnikow gegen die sowjetische Maschinenpistole getauscht, die ihm (Kubas Fidel) Castro gegeben hat... Nach der Erklärung der Militärs sank seine Stimmung erheblich."
Stündlich wiederholten nun die Militärs ihren Aufruf über Rundfunk, Allende solle zurücktreten, seine Begleiter sollten die Moneda bis elf Uhr verlassen, andernfalls sie zu Luft und von Land angegriffen würden. Um 09.30 Uhr wandte sich Präsident Allende über die einzige noch verfügbare Radiostation, das mobile Radio Magallanes, zum letzten Mal an die Chilenen:
"Dies wird sicherlich meine letzte Gelegenheit sein, zu euch zu sprechen... Ich werde für meine Loyalität zum Volk mit meinem Leben bezahlen... Arbeiter meines Vaterlandes, ich möchte euch danken für die Treue, die ihr immer gezeigt habt, und für das Vertrauen, das ihr einem Mann gegeben habt, der nur der Interpret eurer tiefen Sehnsucht nach Gerechtigkeit war. Ich gab mein Wort, die Verfassung und das Recht zu respektieren, und das habe ich getan. In diesem letzten Augenblick, ehe meine Stimme zum Schweigen gebracht wird, wünsche ich, dass ihr diese Lektion lernt: Ausländisches Kapital und Imperialismus vereint mit Reaktion, schufen das Klima für den Bruch der Streitkräfte mit ihrer Tradition... Es lebe Chile! Es lebe das Volk! Es leben die Arbeiter! Das sind meine letzten Worte, ich habe die Gewissheit, dass mein Opfer nicht umsonst sein wird. Ich habe die Gewissheit, dass es zumindest eine moralische Lektion sein wird, die den Treuebruch, die Feigheit und den Verrat strafen wird."
Der Präsidentenpalast wird bombardiert
Eine Stunde später schwieg auch Radio Magallanes. Infanterie und Panzer eröffneten das Feuer auf die Moneda. Um 11.52 Uhr zogen sich die Bodentruppen zurück, die Luftwaffe setzte ihre Hawker Hunter ein. Nach einstündigem Bombardement rückte General Palacios über den Hof der Orangenbäume gegen die Moneda vor. "Um 13.30 Uhr, inmitten eines Flammenmeeres betraten die Angreifer das Erdgeschoss", berichtete "Qué Pasa": "Die GAP (Allendes Leibwache) verteidigte sich verbissen. Sie starben, erschossen oder im Feuer." Und während Salvador Allende, der erste gewählte marxistische Präsident Chiles, irgendwann zwischen 13.50 und 14.20 Uhr starb, bombardierte die Luftwaffe auch Tomás Moro, ehe sich die militärischen Leichenfledderer ans Plündern machten; seither ist die Kunstsammlung des grossbürgerlichen Marxisten mit den Siqueiros, Guayasimín und der Portraitgalerie spurlos verschwunden.
Kein organisierter Widerstand
Schon Wochen zuvor "wurden angesichts des drohenden Putsches Kader gesucht, die den Widerstand organisieren sollten", erinnert sich Alexander Schubert heute, der damals Allendes Sozialistischer Partei angehörte. Zwischen 1970 und Allendes Sturz arbeitete der Deutsch-Chilene, der an der Freien Universität Berlin (FUB) Volkswirtschaftslehre studiert hatte, in der "Corporación de Reforma Agraria", die im Rahmen des 1968 von der christdemokratischen Vorgängerregierung erlassenen Gesetzes zur Agrarreform "für die Landenteignungen zuständig" war. "Wir dachten, wir bekämen Waffen aus Kuba. Zudem hatten wir darauf gehofft, dass sich die Streitkräfte spalten. Ich war beauftragt, in San Fernando den Widerstand zu organisieren. Da wurde viel geredet, aber tatsächlich wurde nichts planmässig vorbereitet."
"Nach zwei Tagen beschlossen wir, die Gruppe aufzulösen, jeder sollte auf eigene Faust versuchen, durchzukommen. Zweien gelang die Flucht. Einer wurde zuhause festgenommen, einer wurde zum Verräter. Mit dem Fünften fuhr ich zu meiner Frau in die Berge. Aber dort lebte auch ein deutscher Ex-Nazi, der rief das Militär an, das eine Patrouille schickte und uns festnahm, mich, meine Frau und meinen zweijährigen Sohn. Meine Frau und mein Kind liessen sie nach einem Verhör nach zwei Tagen frei und nach Santiago.
Zwei Wochen lang wussten die Militärs nicht, wer ich war, was meine Funktion war. Aber dann hat mich wieder jemand verpfiffen. Und dann ging es los. Die übliche Behandlung, Elektroschocks und so. Alle wurden mit Elektroschocks behandelt. Zwei Monate hielten sie mich in Isolationshaft und folterten mich. Und unter Folter unterschreibst du alles, das sage ich dir. Nachdem wir durch die Mangel gedreht worden waren, diktierte ein fiscal militar (militärischer Staatsanwalt) unsere Aussagen: 'Also Schubert, wie wolltet ihr das organisieren, uns alle umzubringen?' Wenn Du sagtest, 'nein, nein, so ist das nicht', dann warnte er: 'Also Schubert, mach keine Schwierigkeiten, sonst schicke ich Dich wieder zurück.' Schliesslich wurden wir vor ein Militärtribunal in San Fernando gezerrt. Das war Juni/Juli 1974. Und da trat plötzlich Uwe Wesel auf." Der war "durch die Ministerien gerannt und sprach auch mit den Richtern", erinnert sich Wesel. Sie liessen ihn jedoch nicht als Verteidiger zu, so blieb er als Prozessbeobachter.
Der Terror der Putschisten und ihrer Vollstrecker
Und die Vollstrecker befleissigten sich, dem Befehl der Putschisten zu gehorchen: Bücher verbrannten auf riesigen Autodafés, die Geschichte wurde umgeschrieben, Strassen, Gebäude und Stadtviertel umbenannt, sämtliche Universitätsrektoren durch Offiziere ersetzt, 2000 Dozenten der Lehrkörper gefeuert, mehr als 20 000 Studenten von den Universitäten relegiert, ganze Studienfächer der Sozialwissenschaften verboten. Das Nationalstadion in Santiago verkam zu einer riesigen Leichenkammer, der Fluss Mapocho zu einem feuchten Massengrab, einsame Inseln in der Sturm gepeitschten Magellanstrasse wurden zu frostigen Konzentrationslagern, die Wüste zur Durst peinigenden Hölle.
Fünf Tage nach dem Putsch erfuhr Joan, die Frau des populären Sängers, Gitarristen, Theaterregisseurs und Universitätsdozenten Victor Jara, dass der Leichnam ihres Mannes im Leichenschauhaus gefunden und identifiziert worden sei. Sie könne ihn abholen und beerdigen. "Der Leichnam ... mit verstümmelten Händen und entstelltem Gesicht wies 44 Einschüsse auf", sollte der sogenannte "Rettig-Bericht" der Wahrheitsfindungskommission 20 Jahre später feststellen. Schon damals sang ihm Arlo Guthrie ein Denkmal:
Als sich die Nachricht von Victor Jaras Tod herumsprach, riskierte ein Unbekannter sein Leben, als er im militärisch kontrollierten Fernsehen einen Vers aus seinem Lied "Anrufung eines Bauern" in einen amerikanischen Film einblendete.
200 000 Chilenen im Exil
150 000 Chilenen wurden in die Gefängnisse und Konzentrationslager geworfen, wo Folter zur Routine gehörte. 15 000 von ihnen, so schätzte der schwedische Botschafter Harald Edelstam, wurden schon in den ersten 30 Tagen nach dem Putsch ermordet. 200 000 gingen ins Exil, 11000 von ihnen, weil sie wie Schubert des Landes verwiesen wurden. "Mein erster Lebensabschnitt endete an jenem 11. September 1973", beschrieb Isabel Allende das Ende ihrer Jugend. "Die Familie Allende – das heisst, jene, die nicht starben – wurde gefangen genommen, ging in den Untergrund oder verliess das Land. Meine Brüder, die im Ausland waren, kehrten nicht zurück. Meine Eltern, die an der Botschaft in Buenos Aires waren, blieben in Argentinien, bis sie Morddrohungen erhielten und fliehen mussten... Freunde und Bekannte verschwanden; manche kehrten nach Wochen der Abwesenheit zurück mit dem Wahnsinn in den Augen und Spuren der Folter. Viele suchten Zuflucht in anderen Ländern. Am Anfang in Mexiko, Deutschland, Frankreich, Kanada, Spanien und anderen Ländern, die sie aufnahmen, aber nach einer Weile ging dies nicht mehr, weil Tausende anderer lateinamerikanischer Exilanten zu den Wellen der Chilenen hinzukamen."
"Operation Condor"
Zwar war der Satz "einer unserer Kollegen ist im Ausland, weil er wie ein Condor fliegt" schon zu einem geflügelten Wort unter den Offizieren des Cono Sur geworden. Doch zwei Dekaden lang war ein Telegramm des Rechtsattachés an der US-Botschaft in Buenos Aires, Robert Scherrer vom FBI, das einzige bekannte Dokument, das einen klaren Hinweis auf die Existenz einer "Operation Condor" gab. Oppositionelle werden dort stets "Terroristen" genannt. Demnach tauschten die fünf Länder des Cono Sur sowie Brasilien nicht nur Informationen über "Terroristen oder Helfer einer terroristischen Organisation" aus und fütterten damit ihre Datenbanken. Sie führten auch "gemeinsame Operationen gegen terroristische Ziele" durch. Sie schickten "Sonderkommandos" in die ganze Welt, um "Terroristen" aufzuspüren, zu beobachten und zu "eliminieren". "Sanktionen" nennt dies der Autor des Telegramms vom 28. September 1976. Zu diesen "Sanktionen" zählten Hausdurchsuchungen und Plünderungen, das Verschwinden-lassen unbeliebter Personen, illegale Adoptionen der Kinder von Opfern, Morde oder Bombenanschläge.
Argentinien, wohin die grösste Zahl aller lateinamerikanischen Exilanten geflohen war, wurde das Hauptquartier für die gemeinsamen Operationen. "Unter den europäischen Ländern, die besonders für mögliche Operationen hervorgehoben wurden, waren Frankreich und Portugal", erklärte Scherrer seinen Vorgesetzten in Washington.
Washington gibt Dokumente frei
Der Erste, der sterben musste, war General Carlos Prats. Allendes ehemaliger Stabschef fiel gemeinsam mit seiner Frau nur zweieinhalb Wochen nach dem Staatsstreich in Buenos Aires einer Autobombe zum Opfer. 1974 wurde der ehemalige bolivianische Präsident Juan Jose Torres ebenfalls in Buenos Aires ermordet. Der chilenische Christdemokrat und Parlamentsabgeordnete Bernardo Leighton, wurde am 19. Oktober 1975 in Rom durch Schüsse schwer verletzt. Ein italienisches Gericht verurteilte DINA-Chef Contreras in Abwesenheit zu zwanzig Jahren Haft. Im Mai 1976 wurden die beiden uruguayischen Abgeordneten Zelmar Michelini und Héctor Gutierrez in Buenos Aires ermordet. Die Adoption des uruguayischen Mädchens Mariana Zaffaroni durch einen der Mörder seiner Eltern wurde zur Vorlage für Erich Heckls bewegende Erzählung "Sara und Simon". Tausende, Zigtausende starben von den Händen dieser staatlichen Todesschwadronen: 20 000 – 30 000 in Chile, 10 000 – 15 000 in Argentinien, 40 000 in Brasilien.
"Es sollte festgestellt werden, dass bisher keine Informationen vorliegen, wonach derartige Sanktionen in den USA geplant oder durchgeführt wurden. Es liegt jedoch nicht ausserhalb des Bereichs der Möglichkeiten, dass die kürzlich erfolgte Ermordung Orlando Leteliers eine Condor-Operation war", gab Scherrer in seinem Telex zu bedenken. Im November 2000 öffnete US-Präsident Bill Clinton mit seinem "Chile Declassification Project" eine "Büchse der Pandora voller Fragen über die Kenntnisse und die Rolle der USA in Operation Condor", ahnte Peter Kornbluh, der Direktor des "National Security Archives Chile Documentation Project". Unter den insgesamt 16 000 von CIA, Weissem Haus, Pentagon und Justizministerium freigegebenen Dokumenten, in denen allerdings lange Passagen eingeschwärzt sind, fand sich "ein weiteres wichtiges Beweisstück, das darauf hindeutet, dass Offiziere des US-Militärs und der US-Nachrichtendienste Condor als geheime Partner und Sponsoren unterstützten und mit dem Netzwerk kollaborierten", erklärte Professor J. Patrice McSherry von der Long Island University gegenüber der "New York Times".
Auf die Entscheidungsträger am Potomac hatte der Sozialist Salvador Allende schon seit Jahren wie das sprichwörtliche rote Tuch gewirkt. Während der sechziger Jahre, in der heissesten Phase des Kalten Krieges, sah sich Washington in Südamerika mit einer Reihe nationalistischer und reformistischer Regierungen konfrontiert, die mehr Kontrolle über ihre eigenen Ressourcen und eine Umverteilung der Einkommen anstrebten. Als Brasiliens Präsident João Goulart begann, reinvestierte Profite als "nationales Kapital" abzubuchen und die Minenkonzessionen zu überprüfen, überzeugte der Militärattaché an der US-Botschaft in Rio de Janeiro, General Vernon A. Walters (der seit seiner Zeit während des II. Weltkrieges als Verbindungsoffizier zum brasilianischen Expeditionskorps in Italien über exzellente Kontakte zum brasilianischen Militär verfügte), seinen brasilianischen Kameraden General Humberto Castelo Blanco von der Notwendigkeit eines Putsches.
In Britisch Guyana gelang es Washington unter Einsatz seines "American Institute for Free Labor Development" – einer von der CIA finanzierten Gruppe, die Gewerkschaftsführer in die USA brachte, um sie auszubilden und zu indoktrinieren – die Regierung Jeddi Jagan zu stürzen, deren nationalistische Politik amerikanischen Profitinteressen zuwiderlief. Als in der Dominikanischen Republik der unabhängige Sozialist Juan Bosch gewählt wurde, traf aus den USA eine 23 000 Mann starke Invasionsarmee ein, um die von Washington gewünschte Ordnung wiederherzustellen. In Bolivien stürzte der General René Barrientos mit Hilfe der CIA den gewählten Präsidenten Victor Paz Estenssoro. Und in Uruguay lehrte der amerikanische Polizist Dan Mitrione Militärs und Polizisten effektive Foltertechniken: „Der richtige Schmerz an der richtigen Stelle im richtigen Umfang, um den erwünschten Effekt zu erzielen.“
Allendes knapper Wahlsieg
Schon 1964 unterstützten die USA aus diesen Gründen den Wahlkampf des von Senator Allende herausgeforderten christdemokratischen Präsidentschaftskandidaten Eduardo Frei mit über sechs Millionen Dollar. Aus den nächsten Wahlen im September 1970, ging Allende wider Erwarten mit 36 Prozent als knapper Sieger über seine Rivalen hervor. Nach der chilenischen Verfassung musste die Entscheidung bei den Kongresswahlen sieben Wochen später, am 24. Oktober, durch die Abgeordneten getroffen werden. Eine linke Regierung in Chile neben Fidel Castros Kuba mache aus Lateinamerika ein "rotes Sandwich", befürchtete Richard Nixon und befahl: Wenn es auch nur "eine zehn-prozentige Chance gibt, aber rettet Chile!"
Zwar war Nixons Sicherheitsberater "nicht interessiert an, noch wusste (er) irgendetwas über den südlichen Teil der Welt von den Pyrenäen abwärts", wie er selbst zugab. Doch keine andere Person sollte eine grössere Verantwortung für die kriminellen Ereignisse in Chile tragen, als Henry Kissinger. Er wurde Vorsitzender des interministeriellen "Komitees der Vierzig", das alle verdeckten Geheimdienstoperationen der USA überwacht, sowie der "Washington Special Action Group" des Nationalen Sicherheitsrats (NSC), die das "oberste Operationszentrum für plötzlich auftretende Krisen und Notfälle" ist. Die Special Group schlug vor, Abgeordnete des chilenischen Kongresses zu bestechen, so dass sie gegen Allende stimmten – ein Vorgehen, das im Washingtoner Jargon "Track I" genannt wurde.
Die Ermordung von General Schneider
Amerikanische Firmen wie die Telephongesellschaft ITT oder die Bergwerksunternehmen Kennecott und Anaconda, die über Jahre hinweg hohe Investitionen und noch höhere Profite in Chile gemacht hatten, setzten auf wirtschaftliche Destabilisierung. Zu diesem Zweck "unterhielten wir täglich, beinahe stündlich Kontakt mit dem Aussenministerium", schrieb ITT Vizepräsident Edward Gerrity.
Zwar hatte der damalige US-Botschafter und Davis-Vorgänger Edward Korry sein Personal aufgefordert, Kontakte zu einer faschistischen Gruppe namens "Patria y Libertad" zu vermeiden und auch seine Vorgesetzten in Washington davor gewarnt, sich mit dieser Gruppierung einzulassen. Doch als der aus dem Amt scheidende Christdemokrat Eduardo Frei verkündete, er sei gegen jede Art amerikanischer Intervention und stimme dafür, den legal gewählten Präsidenten Allende im Kongress zu bestätigen, wandte sich Kissinger genau an diese Gruppe.
Am 15. September 1970 erfuhr Kissinger von einem rechtsextremen General Roberto Viaux, der Kontakte zu "Patria y Libertad" hatte und bereit war, gegen entsprechende Bezahlung General Schneider auszuschalten. Es setzte ein reger Telegrammverkehr zwischen den vier speziell für diese Mission nach Santiago entsandten CIA-Undercover-Agenten und Helms sowie Karamessines ein.
Da Nixon wiederholt deutlich machte, dass es "absolut notwendig ist, die Wahl von Mr. Allende zu vereiteln", besannen sich die Verschwörer im Weissen Haus auf den ebenfalls willfährigen General Camilo Valenzuela, der respektabler schien. Der erste Entführungsversuch der Gruppe Valenzuelas am 19. Oktober, scheiterte – weil General Schneider nach einem offiziellen Dinner in einem Privatwagen und nicht wie erwartet im Dienstfahrzeug davonfuhr. Nun genehmigte das Weisse Haus eine Zahlung von 100 000 Dollar an Valenzuela und seinen engsten Verbündeten unter der Bedingung, dass er mit seinen Leuten einen weiteren Versuch unternahm. Doch auch dieser zweite Versuch am Abend des 20. Oktober scheiterte. Zwei Tage später bewies die Bande um General Viaux allen Zweiflern, dass sie ihren Auftrag auszuführen durchaus in der Lage war und ermordete General Schneider bei einem dritten Entführungsversuch.
Untersuchung im US-Senat
Zwar wurden sowohl Viaux als auch Valenzuela von einem chilenischen Militärgericht wegen Kidnappings und der Verschwörung zur Herbeiführung eines Putsches verurteilt. Zwar widersprach Karamessines vor dem Geheimdienstausschuss des US-Senats Kissinger, der behauptet hatte, schon nach dem Treffen am 15. Oktober die Operation "abgeblasen" zu haben. "Uns wurde gesagt, wir sollten weitermachen", erklärte Karamessines, "ich glaube nicht, dass es korrekt wäre, zu sagen, Track II sei abgeschlossen." Zwar bezahlte die CIA den Attentätern nach dem Mord 35 000 Dollar Schweigegelder, so dass sie den US-Geheimdienst vor Gericht nicht erwähnten. Zwar eilte der US-Militärattaché in Santiago sofort nach dem Mord zur Gruppe Valenzuela, um die 100 000 Dollar und die drei "sauberen" Maschinenpistolen zurückzufordern.
Dennoch kam die Senatsuntersuchung des Mordfalles zu dem Schluss, dass es "keinen Beweis für einen Plan gab, Schneider zu ermorden, oder dafür, dass offizielle Stellen der Vereinigten Staaten ausdrücklich davon ausgingen, dass Schneider bei der Entführung erschossen würde", da die Maschinenpistolen, die Valenzuela übergeben worden waren, bei dem Mord tatsächlich nicht verwendet worden wären und die CIA General Viaux wenige Tage vor dem Mord offiziell davon abgeraten hätte. Eine recht eigenartige Rechtsauffassung. Denn in jedem Rechtsstaat kommt ein Verbrechen, das im Verlauf einer Entführung begangen wird, erschwerend und nicht mildernd hinzu. Botschafter Korry wies später darauf hin, dass Kissinger versucht hätte, sich für den Fall des Scheiterns der Gruppe Viaux ein "papierenes Alibi" zurechtzulegen. "Er interessierte sich nicht für Chile, sondern nur dafür, wem was zur Last gelegt werden könnte. Er wollte, dass ich alle Schuld auf mich nehmen sollte. Henry wollte dem Aussenministerium die Schuld zuweisen."
Die Rolle von ITT
Aber weder der Anschlag noch die von den US-Unternehmen zur Verfügung gestellten Millionen zur Bestechung der Kongressabgeordneten hatten die gewünschte Wirkung. Das Militär putschte nicht, und der Kongress bestätigte Allende als Regierungschef. Doch kaum hatte Allende im November sein Amt angetreten, besann sich Washington wieder auf die Empfehlungen der ITT. Dieses Unternehmen "hat seine Fangarme tief in mein Land geschlagen, es hat vorgehabt, unser politisches Leben zu dirigieren. Ich beschuldige die ITT des Versuchs, einen Bürgerkrieg herbeizuführen", klagte Allende im Dezember 1972 vor der UN-Vollversammlung in New York unter dem Beifall der Delegierten. Anfang April 1973 kam der Church-Untersuchungsausschuss zum gleichen Ergebnis, dass kein Zweifel daran bestehen könne, dass "die Initiative, die CIA aufzufordern, sich in die chilenische Politik einzumischen, von ITT ausgegangen war." Eine Woche später erhielt ITT die Quittung: Der Präsident der Overseas Private Investment Corporation (OPIC) – vergleichbar der deutschen Hermesversicherung – gab bekannt, dass die ITT-Forderung von 92 Millionen Dollar als Entschädigung für den durch die chilenische Verstaatlichung erlittenen Verlust nicht anerkannt würde, weil ITT "rechtserhebliche Auskünfte" nicht erteilt habe und "OPICs Verlustrisiko erhöht hat, weil sie versäumte, Abhilfe im Verwaltungsweg zu erlangen."
Die Task Force der CIA hielt ihre Stellung in Santiago auch weiterhin und gab Millionen aus, insgesamt 7,5 Millionen Dollar. So sorgte der Chef dieser Task Force Dave Phillips, der in früheren Jahren für die populäre rechtsgerichtete Tageszeitung "El Mercurio" gearbeitet hatte, dass sich die Zuwendungen an das Blatt vervierfachten. Erst nach September 1971 "begannen nennenswerte Geldbeträge über die CIA an anti-UP-Parteien und Presseorgane zu fliessen", sagte Ex-Botschafter Edward Korry etliche Jahre später vor einem Senatsausschuss aus." Die CIA finanzierte Streiks und Demonstrationen und griff gnadenlos ins Räderwerk der Wirtschaft ein.
Einstellung der US-Wirtschaftshilfe
"Make the economy scream", hatte Präsident Nixon angeordnet. "Die USA können es sich leisten, die Lateinamerikaner grob zu behandeln", erklärte sein Finanzminister Connally in einem Interview mit der "Business Week" das schamlose Vorgehen, "weil wir dort ohnehin keine Freunde mehr haben." Und die Ausführungsorgane wurden grob. Zwischen den Jahren 1964 und 1970 hatte Chile noch eine Milliarde Dollar Wirtschaftshilfe erhalten, nun wurde jede Unterstützung eingestellt. Im gleichen Zeitraum hatten Chile jederzeit 200 bis 300 Millionen Dollar für kurzfristige Kredite zur Verfügung gestanden. Nun wurde diese Kreditlinie auf 30 Millionen reduziert, langfristige Kredite erhielt Chile ohnehin keine mehr, während gleichzeitig der Druck zur Tilgung alter Schulden erhöht wurde. Kupferexporte aus Chile wurden durch die amerikanischen Bergwerksunternehmen in ausländischen Häfen beschlagnahmt. Die Vereinigten Staaten verhängten ein Embargo für Ersatzteile.
All diese Massnahmen "beeinträchtigten Chiles Möglichkeit, die für das tägliche Funktionieren einer Gesellschaft erforderlichen lebenswichtigen Waren in ausreichenden Mengen zu importieren, was im Laufe der Zeit zu einer Verringerung des Lebensstandards und der ökonomischen Produktivität des Landes führte", beschrieben die Wirtschaftswissenschaftler James Petras und Morris Morley in einer Untersuchung die ökonomischen Folgen solcher Politik.
Chaos in Chile
Streiks, Mangelwirtschaft, hohe Inflation waren die Folge. In Chile herrschte Chaos. Bauernräte übernahmen Haziendas, Arbeiter besetzten Fabriken. "Die Regierung hatte überhaupt keine Kontrolle mehr. Das war eine Massenbewegung, die sich verselbständigt hatte", erzählt Alexander Schubert. "Ich wurde immer radikaler, weil ich diese schlimmen Ausbeutungsmethoden sah. In Patagonien" etwa sah er, wie "die indianischen Hirten der riesigen Schafzuchtgesellschaften in Höhlen oder in den Ställen mit den Tieren lebten, ohne jede medizinische Versorgung. Frauen war es untersagt, diese Region zu besuchen. Die hüteten wahrscheinlich die am häufigsten vergewaltigten Schafe der Welt. Und die Verwalter und Aktionäre lebten in Palästen." Die Rechnung der Kissinger, Helms, Karamessines schien aufzugehen.
"Für mich war klar, dass wir uns einer Bürgerkriegssituation näherten, weil das Land extrem polarisiert war", sagt Schubert. "Das hast Du überall gespürt. Du konntest beim Krämer einkaufen oder in einer Kneipe etwas trinken, sofort kam das Gespräch auf die politische Situation." Wie eine Ironie all dieser Entwicklungen wirkten da die Zugewinne der Unidad Popular bei den Parlamentswahlen im März 1973: 43,3 Prozent der Stimmen vereinigten die Koalitionsparteien auf sich, was acht Sitze mehr im Kongress bedeutete.
Gerüchte über kommunistischen Staatsstreich
Während Chiles Wirtschaft ruiniert wurde, erhöhte Washington gleichzeitig die Mittel für Chiles Militär und griff der Speerspitze der Ultrarechten finanziell kräftig unter die Arme: "Patria y Libertad", die für die Ermordung General Schneiders verantwortlich zeichnete, die Öltanks in Brand setzte, Bomben in den Städten legte und Allendes Marineadjudant ermordete. Die CIA verbreitete Gerüchte, wonach Allende einen kommunistischen Staatsstreich plane, wofür es einen "Plan Z" gäbe. "Damals tauchten an Chiles Wänden und Mauern Graffiti 'Jakarta' auf", berichtet Schubert. Dort hatten die Militärs 1965 unter Führung General Suhartos und mit Unterstützung Washingtons den Staatsgründer und Präsidenten Indonesiens, Sukarno, gestürzt, um eine langjährige Diktatur zu errichten. Den anschliessenden Kommunistenverfolgungen waren in Indonesien über eine Million Menschen zum Opfer gefallen. "So etwas wird in Chile nicht passieren", hoffte Schubert damals.
Nach dem Putsch richtete die Junta auf Kabinettsebene ein "Regierungsgeneralsekretariat" ein, das zuständig für Propaganda und Ideologie sein sollte. Eine der ersten Aufgaben, die der Chef der Abteilung, Oberst Pedro Ewing, durchführte, war die Herausgabe eines "Libro Blanco" (Weissbuch), eine plumpe Rechtfertigung für den Coup – finanziert von der CIA. Das Buch nannte den 19. September für den angeblich geplanten Staatsstreich Allendes und erwähnte wieder den "Plan Z", eine vorgebliche linke Verschwörung zur Ermordung der politischen Opposition und aller höheren Offiziere. Es sei von "fundamentaler Bedeutung, das Oberkommando sowie die Offiziere, die militärischen Regionalkommandeure der feindlichen Kräfte zu eliminieren", hiess es dort. Zwar standen hochrangige Offiziere dem Machwerk skeptisch gegenüber, unter den niedrigeren Rängen aber, unter jenen, die verhörten und folterten, die ihren Gefangenen Informationen über den Plan Z abpressen wollten, fanden die Anschuldigungen viel Glauben. "In den Verhören ging es immer um Plan Z", bestätigt auch Schubert. Vor zwei Jahren schliesslich gab die CIA zu, dass "Plan Z eine Erfindung der Geheimdienste" war.
Investitionen fliessen wieder ins Land
Und Washington spielte nicht nur durch seine wirtschaftlichen Massnahmen eine entscheidende Rolle bei der Vorbereitung der politischen und sozialen Bedingungen für den Coup, es spielte auch seine Rolle beim Putsch selbst. Nicht nur, dass "dem chilenischen Militär ausreichend klar gemacht wurde, dass die Freundschaft zu den Vereinigten Staaten nicht für die Unterstützung einer verfassungsmässigen Regierung zu haben ist", schrieb John Prados in seiner Untersuchung der geheimen Kriege der Vereinigten Staaten. Amerikanisches Militärpersonal war im direkten Einsatz.
Die internationale Geschäftswelt atmete nach dem Putsch erleichtert auf. "Putsch in Chile ist für Banken positiv", "In Südamerika kann wieder investiert werden", "Kupferpreise nach Putsch in die Höhe geschossen", so und ähnlich lauteten die Schlagzeilen in der Weltpresse nur kurze Zeit nach dem Staatsstreich. "Vertreter des Internationalen Währungsfonds, der Weltbank und der Interamerikanischen Entwicklungsbank drängen sich jetzt in den Foyers der Hotels von Santiago und geben sich in den Ministerien die Klinken in die Hand", beobachtete die "Financial Times".
Ein näherer Blick auf die wirtschaftliche Entwicklung in Chile zeigt jedoch Erstaunliches. Zwar pumpten die USA und die internationalen Finanzinstitutionen zwischen 1974 und 1977 über eine Milliarde Dollar Wirtschaftshilfe nach Chile, und zwischen 1977 und 1982 flossen sage und schreibe zusätzliche 14 Milliarden Dollar ins Land (mehr als sechs Millionen am Tag), Kredite der wichtigsten internationalen Banken. Zwar verscherbelten die Militärs nahezu alle 507 vormals staatlich kontrollierten Industrie- und Finanzunternehmen (allerdings weit unter Marktwert), 1981 befanden sich nur noch zwölf Firmen in Staatsbesitz. Doch in all diesen Jahren blieb die Investitionsrate eine der niedrigsten in allen Entwicklungsländern und weit unter dem lateinamerikanischen Durchschnitt. Und die Lage der Bevölkerung verbesserte sich nicht im Geringsten, im Gegenteil.
Pinochet wird schliesslich ein einsamer Mann
Zwar "lernten Chilenen, nichts zu sagen, nichts zu hören und nichts zu sehen", wie Isabel Allende schrieb, dennoch regte sich Anfang der achtziger Jahre erster Widerstand. Es kam zu Demonstrationen, zu schweren Unruhen, im März 1983, beinahe zehn Jahre nach dem Staatsstreich, beteiligten sich bis zu 70 Prozent der Bevölkerung an Demonstrationen und Streiks. Pinochet konnte sich nur noch auf die Armee und seinen Repressionsapparat verlassen, sogar die Unternehmer, die einst mit ihren Streiks den Sturz Allendes vorbereitet hatten, wandten sich nun gegen ihn. Er "wird langsam ein einsamer Mann", meinte der Speditionsunternehmer León Vilarin, jener León Vilarin, der 1972/73 die Streiks der Lastwagenfahrer gegen die UP angeführt hatte.
"Um zu begreifen, was in jenen Jahren geschah, muss man sich einmal vorstellen, wie sich die Bürger der USA oder Grossbritanniens fühlten, wenn ihre Armee in voller Kampfausrüstung zum Angriff auf das Weisse Haus oder den Buckingham Palast ausrückte, in dessen Verlauf Tausende Bürger stürben darunter der Präsident der Vereinigten Staaten oder der Ministerpräsident Grossbritanniens, dann auf unbegrenzte Zeit den Kongress oder das Parlament auflöste, die Obersten Richter feuerte, alle Freiheiten aufhöbe, eine vollständige Zensur erklärte und dann im Laufe der Zeit alles unternähme, gnadenlos jede abweichende Meinung zu vernichten. Und nun stelle man sich vor, dass eben diese Militärs, besessen von einem messianischen Fanatismus, sich auf Jahre an der Macht hielten, jederzeit bereit, auch den letzten ideologischen Gegner zu vernichten", schrieb Isabel Allende 30 Jahre nach jenem "längsten Tag": "Das ist es, was in Chile geschah."
Verwendete Literatur:
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