Dieses „bedingungslose Grundeinkommen“ kann durch die Ausübung bezahlter Arbeit aufgebessert werden. Jedem steht es also frei, soviel dazu zu verdienen, wie er möchte und wie es ihm möglich ist. Dadurch verliert er nicht seinen Anspruch auf das „Bürgergeld“, wie das bedingungslose Grundeinkommen auch genannt wird. Befreit von den Sorgen der Existenzsicherung kann jeder aus freien Stücken das tun, was ihm am entspricht.
Aufgrund des einfachen Prinzips der Mittelzuteilung verzichtet der Staat auf jene überbordende Bürokratie, die bislang der Prüfung der Bedürftigkeit und dem Aufspüren von Missbrauch diente. Einhergehend mit dem bedingungslosen Grundeinkommen können die Steuern radikal vereinfacht werden. Ein Vorschlag geht so weit, nur noch den Konsum zu besteuern, also Mehrwertsteuer zu erheben, und auf alle anderen Steuern zu verzichten.
Mit dem Wegfall aller Sozialleistungen zugunsten des einheitlichen Grundeinkommens und der radikalen Vereinfachung des Steuersystems wird die menschliche Arbeit für die Unternehmen wesentlich billiger. Damit vergrössert sich der unternehmerische Handlungsspielraum. Die Wirtschaft könnte entsprechend wachsen.
Liberale Wurzeln
Diese Idee des bedingungslosen Grundeinkommens bzw. des Bürgergeldes klingt zu schön, um wahr zu sein. Sie wird aber auch von gestandenen Managern und Ökonomen vertreten. Das konnte man am vergangenen Samstag (19. März 2011) im voll besetzten Kongresszentrum in Zürich erleben. Dort sprachen so prominente Vertreter der Wirtschaft wie der Gründer und Chef von dm-drogerie markt Götz W. Werner und der ehemalige UBS-Chefökonom und jetzige Unternehmensberater Klaus W. Wellershoff. Mit Oswald Sigg kam zudem ein versierter Journalist und Politiker zu Wort. Immer wieder wurde betont, dass die Idee des Bürgergeldes bereits von liberalen Theoretikern wie Friedrich August von Hayek und Milton Friedman ins Gespräch gebracht worden sei. (www.bedingungslos.ch)
Wer sich ob der Utopie des bedingungslosen Grundeinkommens verwundert die Augen reibt, wird von den Verfechtern mit einigen Tatsachen konfrontiert, die mindestens ebenso erstaunlich wären, wenn man sich nicht im Laufe der Jahrzehnte Stück für Stück daran gewöhnt hätte: Schon jetzt ist der Staat der grösste Umverteiler. Mit seinen Sozialleistungen, Beamtenpensionen und Subventionen alimentiert er etwa die Hälfte der Einwohnerschaft. Nur knapp fünfzig Prozent der Menschen leben noch von der direkten Entlohnung ihrer Arbeit. Das hängt auch mit den enormen Produktivitätsfortschritten zusammen. Man braucht immer weniger Menschen, um immer mehr zu produzieren.
Aufgrund der strengen Koppelung von Einkommen an Arbeit bzw. an nachweisbare Bedürftigkeit sind aber mehr Menschen vom Genuss der steigenden Produktivität ausgeschlossen, als bei einem anderen Verteilungsprinzip möglich wäre. Finanzexperten wie Wolfgang Eichhorn und Benediktus Hardorp (1) betonen dabei immer wieder, dass ein Grundeinkommen die Gemeinschaft finanziell nicht überfordern würde, sondern insgesamt sogar zu Einsparungen führte. Kurz: Wir könnten uns einen bescheidenen Wohlstand für alle leisten. Es wäre an der Zeit.
Roger Köppels Einspruch
Wie um die Akturalität des Themas zusätzlich zu unterstreichen, wurde am Vorabend des Kongresses in Zürich von 3sat ein Feature zum Thema bedingungsloses Grundeinkommen ausgestrahlt. Befürworter wie der ehemalige thüringische Ministerpräsident Dieter Althaus (CDU) und Skeptiker wie der ehemalige Kulturstaatsminister (Kabinett Schröder) und Philosoph Julian Nida-Rümelin (SPD) gaben ihre Statements ab. Und man konnte einen Blick auf alternative Gruppen werfen, die auf ihre Weise dem Leerlauf unseres Ökonomismus zu entgehen trachten.
Auf dem Kongress in Zürich wurde davon gesprochen, dass es 2012 in der Schweiz möglicherweise zu einem Referendum über das Thema Bürgergeld kommt. Einen Vorgeschmack auf die dann anstehenden Debatten gab eine Diskussion zwischen Roger Köppel (Weltwoche) und Klaus W. Wellershof. Prompt war Köppel mit dem Argument zur Hand, die Idee des Grundeinkommens sei sozialistisch, denn die untergegangen Staaten im Osten hätten genau nach diesem Muster ihre Bürger alimentiert. Als hätte das Publikum von Köppel etwas anderes erwartet, ertönten Buh-Rufe.
Dabei wäre eine gründlichere Diskussion nicht nur zu wünschen, sondern geradezu notwendig. Köppels Schuss, der beeindruckend geknallt hatte, ging nämlich weit am Ziel vorbei. Der Vorwurf, die Idee des Grundeinkommens sei im Kern kommunistisch, trifft deshalb nicht, weil der Kommunismus die Produktionsmittel „vergesellschaften“, also in die Verfügungsgewalt der kommunistischen Partei bzw. der staatlichen Bürokratie bringen wollte. Das haben die Vertreter des Bürgergeldes ganz gewiss nicht vor.
Warnendes Beispiel Schwedens
Dafür droht ein anderes Problem, wie das Beispiel Schwedens zeigt. Der schwedische Wohlfahrtsstaat mit seiner Idee des „Volksheims“ hatte die Absicherung aller Bürger zum Ziel. Das Resultat waren nicht nur die als zu hoch empfundenen Steuern, sondern auch ein Gefühl des Überdrusses an zu viel Absicherung. Auch deswegen hat sich Schweden mit Unterstützung der Sozialdemokraten seit den 80er Jahren konsequent neu orientiert. Man kann also an Schweden lernen, dass dem Menschen in der Sicherheit auf Dauer nicht wohl ist. Die Lehren aus Schweden müssten aber erst noch zum Thema der Verfechter des Bürgergeldes werden.
In der Sendung auf 3sat sprach Julian Nida-Rümelin zudem davon, dass die Bedingungslosigkeit des Grundeinkommens gerade für junge Leute eine „gefährliche Botschaft“ enthalte und zumindest zeitweise zum Schlendrian einladen könne. Der Leiter der Heinrich-Böll-Stiftung, Ralf Füchs (Bündnis90/Die Grünen), sprach davon, dass eine Leistung, für die keine Gegenleistung verlangt werde, ausgesprochen problematisch sei.
Demgegenüber betonen Götz W. Werner und seine Mitstreiter ihr positives Menschenbild. Der Mensch sei aus sich heraus zur Leistung bereit – am besten ganz ohne Druck. In der Sendung auf 3sat wurde dafür ein fabelhaftes Argument ins Feld geführt: die Wikipedia. Tausende von Freiwilligen hätten dieses Projekt auf den Weg gebracht und würden es Tag für Tag erweitern, ohne die geringste materielle Entschädigung. Das ist richtig, und man könnte noch Open-Source-Programme wie Linux oder Joomla! ins Feld führen. Der Haken liegt aber darin, dass hier eine Schar überdurchschnittlich ausgebildeter, kreativer und motivierter Menschen am Werk ist. Dazu gehören auch die Vertreter des Bürgergeldes. Aber die Annahme, alle Menschen würden so ticken wie sie, ist eine Projektion.
Grundeinkommen für Kriminelle?
Zwei weitere Eckpfeiler des Bürgergeldes dürften grösseren Belastungen kaum Stand halten: die Bedingungslosigkeit und die Abschaffung bzw. radikale Verschlankung der Bürokratie:
Für das Bürgergeld kann es keine Bedingungslosigkeit gegen, die nicht doch an Bedingungen geknüpft wäre. So muss man fragen, ob der Anspruch an die Staatsbürgerschaft geknüpft sein soll. Oder genügt ein blosser Aufenthalt? Wie lange? Mit festem Wohnsitz oder ohne?
Dann: Auch Babys haben Anspruch auf das Bürgergeld. In gleicher Höhe wie Erwachsene? Götz W. Werner meldet hier Zweifel an (2). Und könnte das Bürgergeld zum Anreiz werden, möglichst viele Kinder zu zeugen oder aus dem Ausland zu adoptieren? Und sollen auch Schwerstkriminelle das Grundeinkommen beziehen können? Wird es auch während eines Gefängnisaufenthaltes gezahlt?
Auch die Verschlankung bzw. Abschaffung der Bürokratie wird es kaum gegen. Denn auch Götz W. Werner schreibt, dass ein Schwerstbehinderte mehr Geld benötige als ein agiler Mensch. Wer prüft diese Ansprüche und entscheidet? Und wer prüft, ob nicht findige Leute sich das Bürgergeld mittels verschiedener Adressen oder anderer Tricks gleich mehrfach auszahlen lassen?
Eine unverzichtbare Diskussion
Zudem muss man kein Prophet sein, um vorher zu sehen, dass die Auszahlung des Bürgergeldes auch an Millionäre – Bedingungslosigkeit! - in kürzester Zeit von lautstarken Gruppen als „ungerecht“ denunziert werden wird. Da muss dann Abhilfe geschaffen werden. Dafür braucht es Regeln, deren Einhaltung wiederum gewährleistet werden muss. Und St. Bürokratius lacht sich ins Fäustchen.
Woran die Grundidee der Bedingungslosigkeit und Gleichheit des Bürgergeldes leiden wird, ist die Notwendigkeit, Grenzen zu ziehen und Ausnahmen zuzulassen. Ist damit die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens aber schon desavouiert? Das zu behaupten, wäre kurzschlüssig. Denn damit würde eine Chance vergeben. Diese Chance liegt darin, dass in unserer ideenlosen Zeit des blossen Durchwurstelns so etwas wie eine Utopie zum Thema wird. Endlich wird einmal grundsätzlich gefragt, wie und wofür zu leben sich lohnt. Diese Frage bringt die politische Dimension unseres Zusammenlebens ins Blickfeld, nachdem die Politik zur schlechten Ökonomie verkommen ist, indem sie sich nur noch als Verteiler schwindender ökonomischer Ressourcen versteht.
Die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens mag in ihren letzten Konsequenzen fatal sein, als Anstoss für politische Diskussionen ist sie geradezu unverzichtbar. Am Ende der Diskussionen könnte etwas stehen, was wir jetzt noch nicht sehen.
(1) Götz W. Werner, Ein Grund für die Zukunft: Grundeinkommen,. Interviews und Reaktionen, Stuttgart 2006
(2) Götz W. Werner, Einkommen für alle, Köln 2007