Zuletzt drohte die Abstimmung am europäischen Winter zu scheitern: Die in Grossbritannien gedruckten Stimmzettel steckten auf eingeschneiten Flughäfen fest. Erst kurz vor dem Jahreswechsel gelangten die Kisten nach Juba – der Hauptstadt des Südsudans – und von dort mittels Lastwagen und Helikoptern in die Wahllokale eines Gebiets, das fast doppelt so gross ist wie Deutschland.
Die mehrheitlich des Lesens unkundigen Menschen müssen auf den Stimmzetteln eines von zwei Symbolen ankreuzen: eine Hand bedeutet Unabhängigkeit, zwei Hände stehen für den Verbleib in der Republik Sudan. Die UNO hat 58 Millionen Dollar zur Finanzierung der Abstimmung zugeschossen. Das Entwicklungsprogramm der UNO (UNDP) und die 10.600 Mann der UN-Militärmission in Sudan gründeten eine „Integrierte Referendums- und Wahlabteilung“ (Unired). Diese versuchte in jahrelanger Arbeit, halbwegs korrekte Wählerlisten aufzustellen. „Ich bin glücklich zu sagen, dass alles Material rechtzeitig an der richtigen Stelle ist“, meldete Unired-Vizedirektor Eamon O’Mordha.
Die Kolonialmächte hinterliessen einen künstlichen Staat
Nach 22 Jahren Bürgerkrieg und fünf Jahren brüchigem Frieden fanden es auch die Grossmächte an der Zeit, für Stabilität in dem Gebiet zu sorgen, über das bis 1956 die Briten herrschten. Die Kolonialmacht hinterliess einen künstlichen Staat, den ein Band von mehreren hundert Kilometer Wüste in zwei Teile trennt: einen arabisch-muslimischen Norden und einen von Schwarzafrikanern bewohnten Süden.
Seit Jahrzehnten überziehen Missionare begüterter evangelikaler Freikirchen aus den USA den Südsudan. Ihre Erfolge bei der angeblichen Bekehrung der animistischen Bevölkerung haben die Haltung Washingtons beeinflusst. Der grosse Rebellenführer und erste Präsident der Region Südsudan, John Garang, führte seinen Kampf für die Unabhängigkeit mit Hilfe der USA. Garang kam 2005 bei einem Helikopterabsturz ums Leben. Auch sein Nachfolger Salva Kiir ist ein frommer Christ und kann auf die Unterstützung der USA zählen. In seinen letzten fünf Amtsjahren pumpte George W. Bush rund sechs Milliarden Dollar in das Land, vor allem für die Ausrüstung der Streitkräfte. Auch unter Obama fliesst noch viel Geld nach Südsudan – mehr, als die schwachen Infrastrukturen verdauen können. Von einem Kredit der Weltbank in der Höhe von 526 Millionen Dollar fanden 309 Millionen bisher keine Verwendung.
Drei Viertel des Erdöls befindet sich im Süden
Der Reichtum und der Zankapfel des Sudans ist das Erdöl. Drei Viertel der Vorkommen befinden sich im Süden. Die zwei bestehenden Pipelines führen aber durch den Norden ans Rote Meer. Für den Bau einer neuen Leitung durch Äthiopien oder Kenia müssten die Rohre über Gebirge verlegt werden. Solche Pläne existierten erst auf dem Papier. Wenn der Nord- und der Südsudan von ihren Bodenschätzen profitieren wollen, zu denen auch Gold und Kupfer gehört, werden sie einen Ausgleich finden müssen. Die Teilung der Ölerträge wurde bereits in dem 2005 unterzeichneten „Umfassenden Friedensabkommen“ zwischen dem Norden und dem Süden festgelegt. Die Regierung in Khartum deckt damit 60 Prozent ihres Haushalts.
Nach allen Voraussagen wird die Bevölkerung des Südsudans für die Unabhängigkeit stimmen, die im Juli in Kraft treten würde. Komplexer ist die Lage im ölreichen Grenzgebiet Abyei. Dessen Einwohner – miteinander verfeindete Nomaden- und Bauernstämme - müssen zwischen dem Norden und dem Süden wählen. Die Lage ist gespannt. Es ist keineswegs sicher, dass die Abhaltung eines halbwegs regulären Referendums in Abyei derzeit möglich ist.
Bis ein richtiger Staat entsteht dauert es Jahre
Niemand gibt sich der Illusion hin, dass die Schaffung eines souveränen Staates Südsudan und seine Aufnahme als 193. Mitglied der Vereinten Nationen die zahlreichen Probleme lösen würde. Unter anderem geht es um die Teilung der Schuldenlast, die Zusammensetzung der nationalen Armee, die Nutzungsrechte des Weissen Nils sowie der Weide- und Ackerländer. Nach Ansicht des Regionalkoordinators der UNO in Juba, David Gressly, wird es mindestens eine Generation dauern, bis ein richtiges Staatswesen entsteht.
Auf Weltmassstab zeichnet sich eine neue Achse ab: Die USA und China haben In den UNO-Gremien das Sudan-Dossier an sich gerissen. Washington geht es um die Globalpolitik, Peking um die Rohstoffe.