Eigentlich ist sie nicht dazu prädestiniert, das höchste Amt in der Uno zu übernehmen. Erfahrung hat sie fast keine, bei den Vereinten Nationen arbeitet sie erst seit vier Jahren. Über eine Hausmacht verfügt sie nicht. Am UN-Hauptsitz kennt sie kaum jemand.
So staunten denn viele, als sie im Februar dieses Jahres offiziell ihr Bewerbungsschreiben einreichte. „I am Arora Akanksha. I am 34 years old and I am running for Secretary-General of the United Nations“, schreibt sie auf Twitter. Würde sie gewählt, wäre sie die erste Frau an der Spitze der Weltorganisation. Alle bisherigen neun Uno-Chefs waren Männer. Der Jetzige ist mehr als doppelt so alt wie sie.
Guterres’ Wahl gilt als sicher
Auf ihrer Webseite schreibt die in Indien geborene Kanadierin Arora Akanksha: „Ich will den Portugiesen António Guterres ablösen.“ Doch der will nicht abgelöst werden.
Der jetzt 71-jährige Guterres, ein früherer portugiesischer Ministerpräsident, steht der Weltorganisation seit dem 1. Januar 2017 vor. Seine Wiederwahl im kommenden Frühjahr gilt fast schon als sicher.
Als ob ein 34-Jähriger Papst werden möchte
In der Uno macht niemand Karriere, der nicht über ein riesiges Beziehungsnetz und über eine Hausmacht verfügt. Vieles, was am East River, dem Hauptsitz der Vereinten Nationen in New York, geschieht, ist noch immer undurchsichtig. Einiges geschieht nach dem Prinzip: „Gibst du mir, so gebe ich dir“.
Wenn nun eine junge Frau da hereinplatzen möchte, ist das, wie wenn ein 34-jähriger unbedarfter Jüngling plötzlich im Vatikan sagen würde: Ich will im Frühjahr Papst werden.
Arora-Hype
Eigentlich wäre die Kandidatur von Arora Akanksha nur eine Randnotiz wert, denn Chancen werden ihr kaum eingeräumt. Doch plötzlich bricht ein eigentlicher Arora-Hype aus. Die „New York Times“ widmete ihr einen langen Artikel, ebenso „Al Jazeera“, die japanische Nachrichtenagentur Kyodo News, die amerikanischen Fernsehsender MSNBC und CNN, die Hindustan Times, die brasilianische Zeitung O Globo und viele, viele andere.
Der Grund für den Wirbel um sie war nicht in erster Linie ihre Kandidatur, sondern die Botschaft, die sie mit ihrer Kandidatur verknüpfte.
„Sklerotisch“
Und diese Botschaft ist bitter. Die Uno, dieser Koloss mit 44’000 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen, müsse dringend reformiert werden, sagt sie. Er sei „altersschwach, sklerotisch, aufgeblasen, ineffizient, verbürokratisiert“. „Wir werden unserer Aufgabe und unserem Versprechen nicht gerecht“, heisst es in dem Bewerbungsschreiben. „Wir lassen diejenigen im Stich, denen wir dienen sollten.“
Geld würde verschwendet, indem riesige Konferenzen abgehalten und Tausende Berichte verfasst würden, die niemand lese. Von den 56 Milliarden, die die Uno jedes Jahr einnehme, würden nur 29 Cents pro Dollar sinnvoll eingesetzt. Den Rest fresse der Uno-Apparat und die Verwaltung weg. „Wären die Vereinten Nationen ein privates Unternehmen“, sagt sie, „wären sie schon längst bankrott.“
„Verlorenes Vertrauen“
Das grösste Manko der Uno sei „die Unfähigkeit, zu liefern“. Die Entscheidungsfindung sei nicht das Problem. „Es ist die Umsetzung, an der wir scheitern. Das hat dazu geführt, dass das Vertrauen und die Glaubwürdigkeit der Institution verloren gegangen sind und die Menschen einfach nicht mehr erwarten, dass die Uno etwas tut.“
Gegenüber jüngeren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sei die Uno „paternalistisch und herablassend“. Arora Akanksha glaubt es zu wissen. Sie arbeitet seit 2017 als Wirtschaftsprüferin bei den Vereinten Nationen.
Leiterin der Wirtschaftsprüfung
Sie wohnt in Manhattan, wenige Häuserblocks vom East River entfernt. Sie lebe sehr bescheiden, schreibt die New York Times. In ihrer Freizeit lese sie auch mal ein Harry-Potter-Buch.
Arora wurde in Haryana, einem nordindischen Bundesstaat, geboren und verbrachte ihre jungen Jahre in Saudi-Arabien, wo ihre Eltern, beides Ärzte, tätig waren. Von ihrem 9. bis 18. Lebensjahr war sie zurück in Indien und besuchte dort ein Internat. Danach entschied sie sich, nach Kanada zu ziehen, wo sie ihr Studium an der York University mit Auszeichnung abschloss und für Pricewaterhouse Coopers Canada als Leiterin der Wirtschaftsprüfung arbeitete.
Unzufriedenheit demonstriert
Ihre Freunde und Freundinnen erklären, Arora wisse vermutlich genau, dass sie keine Chance habe. Bisher hat sich niemand, der einen Namen hat, für sie stark gemacht. Trotzdem kämpft sie weiter, allerdings mit bescheidenen Mitteln. Wahlkampf macht sie vor allem über Twitter und YouTube. Ihr Budget beträgt 30’000 Dollar, Geld aus ihrem Ersparten.
Edward Mortimer, ein ehemaliger Beamter der Vereinten Nationen und Redenschreiber des früheren Uno-Generalsekretärs Kofi Annan, wird von der New York Times mit folgenden Worten zitiert: Ihre Kandidatur „ist eine mutige Art und Weise, ihre Unzufriedenheit zu demonstrieren, die, da habe ich keinen Zweifel, von vielen ihrer Kollegen geteilt wird“.
Mit teuren Limousinen durch New York und Genf
Die Kritik an der Uno ist so alt wie die 75-jährige Organisation selbst. Reformbestrebungen liefen bisher fast alle ins Leere. Kritisiert wird der aufgeblähte Verwaltungsapparat. Jeder Staat, und sei er noch so unbedeutend, hat Anrecht auf ein Kontingent sehr gut bezahlter Stellen.
Zum Teil werden diese Posten dann besetzt von Diplomaten und Funktionären, denen ihr Volk ziemlich egal ist. Sie fahren mit den teuersten Limousinen durch New York, Genf oder Wien und steigen in den teuersten Luxusherbergen ab. Die Reise- und Übernachtungskosten der Uno-Diplomaten stehen in keinem Verhältnis zum Nutzen.
Veto gegen burmesische Massenmörder
Immer wird auch die Klüngelwirtschaft der Uno kritisiert. Einzelne Staatengruppen tun sich zusammen und verhindern so Resolutionen, die zum Beispiel ihre Menschenrechtsverletzungen anprangern würden. So werden oft westliche Staaten wegen Lappalien verurteilt, während die schlimmsten Menschenrechtsverletzer ungeschoren davonkommen.
Die fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates haben ein Veto-Recht. Das führt dazu, dass die Grossen, vor allem die USA, Russland und China, jede Resolution blockieren, die ihnen nicht passt. So schützen denn – jüngstes Beispiel – die Russen und Chinesen mit ihrem Veto die burmesischen Massenmörder vor einer Verurteilung. Bestrebungen, dieses Veto-Recht abzuschaffen, gab es immer wieder – vergebens. Die Grossen wollen ihre Macht nicht abgeben.
Zum Glück gibt es die Uno
Trotz aller Kritik an der Uno: Zum Glück gibt es sie. Sie ist eine der grossen Errungenschaften des 20. Jahrhunderts. Die Kritik an der Uno hat oft etwas Populistisches an sich: „Sie sollte doch! Weshalb tut sie nicht?“ Nicht die Uno tut nicht, sondern die einzelnen Staaten können sich nicht zusammenraufen, um zu tun.
Und wenn dann der Einwand kommt, die Uno werde ihrer Vermittlerrolle nicht gerecht, so sei daran erinnert, dass die Weltorganisation 193 Staaten zählt. Es ist eben nicht ganz so einfach, Länder aus allen Ecken der Welt mit völlig unterschiedlichen Interessen, Kulturen und historischen Hintergründen unter einen Hut zu bringen. Wie soll das 193 Ländern gelingen, wenn es schon 27 EU-Staaten nicht gelingt?
Viele Erfolge
Die Uno ist die einzige Organisation, deren Grundsätze und Ziele universell anerkannt werden. Sie ist ein Forum für Zusammenarbeit und Austausch. Wenn sie machtlos wirkt, ist das oft nicht der Fehler der Uno. Staatliche Eigeninteressen oder geostrategische, machtpolitische Überlegungen machen manche Uno-Initiativen zunichte. Immer wieder beharren Staaten auf ihren Souveränitätsrechten und verhindern einen von der Uno angestrebten Konsens.
Die Uno kann trotz ständiger Kritik viele Erfolge vorweisen. Sie und ihre Spezialorganisationen haben Kriege verhindert, Konflikte gelöst und ganzen Völkern geholfen. Für viele in der Dritten Welt ist sie die letzte Hoffnung. So hat zum Beispiel das Uno-Hochkommissariat für das Flüchtlingswesen (UNHCR) Millionen Menschen vor Elend und Gewalt geschützt.
Überschätzte Macht des Uno-Chefs
In Zeiten von Konflikten, Wirtschaftskrisen und Unterentwicklung bleibt die Uno unverzichtbar – ein Forum, in dem immerhin versucht wird, die Probleme zu lösen.
Das schliesst nicht aus, dass die Vereinten Nationen reformiert und entschlackt werden müssten. Vielleicht trägt die Kandidatur von Arora Akanksha dazu bei, die Organisation aufzurütteln. Doch selbst wenn Arora zur Generalsekretärin gewählt würde: Viel könnte sie nicht ausrichten. Die Macht des Uno-Chefs wird überschätzt. Die eigentlich Mächtigen sind die fünf Veto-Staaten.
Auch wenn die Uno oft hilflos wirkt und versagt: Sie ist heute nicht mehr wegzudenken. Selbst Donald Trump, ein Hasser aller internationalen Institutionen, schreckte davon zurück, seine Drohung wahrzumachen und die Uno zu verlassen.