Es ging am 7. und 8. November mit 1.300 Teilnehmern im KKL um „Wege aus der Schuldenkrise“, und den Auftakt bildete die Rede von Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf. Sie zeichnete ein Bild der Schweiz, das, je weiter die Tagung voranschritt, desto heller erstrahlte. Dank der im Jahre 2001 von 85 Prozent der Bevölkerung beschlossenen Schuldenbremse, dem Föderalismus und der direkten Demokratie habe sich die Schweiz auch in diesen schwierigen Zeiten ein überdurchschnittliches Mass an Stabilität bewahrt.
Diese Stabilität hängt auch mit der Tatsache zusammen, dass die Schweiz im Gegensatz zu allen anderen umliegenden Ländern und ganz besonders der südlichen Peripherie in den vergangenen Jahren Schulden abgebaut, anstatt angehäuft hat. Auch ist die Schweizerischen Nationalbank finanziell weitaus besser ausgestattet als vergleichbare Institute.
Trümmer eines Geschäftsmodells
Das grösste Sorgenkind ist natürlich der Euro der umliegenden Länder. Mit Bert Rürup trat nun ein Redner auf, der als Professor für Finanz-und Wirtschaftspolitik und als hochrangiger politischer Berater in Deutschland und Österreich an zahlreichen Richtungsentscheidungen mitgewirkt hat. Er brachte das Kunststück fertig, einerseits ungeschminkt das Ausmass der gegenwärtigen Krise zu benennen, auf der anderen Seite aber einen Sonnenaufgang hinter den dunklen Horizont zu malen.
Trocken sagte er „Wir stehen vor den Trümmern des amerikanischen Geschäftsmodells.“ Gemeint ist damit die Niedrigszinspolitik mit allen negativen Konsequenzen, die darin bestehen, dass weltweit Schulden angehäuft wurden, die nach menschlichem und wohl auch ökonomischen Ermessen innerhalb eines vorstellbaren Zeitrahmens gar nicht mehr auf ein beherrschbares Mass zurück geführt werden können.
Der Dritte im Bunde
Dazu komme „der Geburtsfehler des Euro“. Der bestehe darin, dass der politisch gewollte, ökonomisch aber noch nicht konsolidierte Euro Institutionen braucht, die die Souveränität der Nationalstaaten beschneiden. Diese seien nötig, um die exorbitanten Staatsschulden zu bewältigen, die sich heute aufgrund der Fehler der Politiker zum ursprünglichem Problem der Bankenkrise von 2008, aus der „sich die Staaten bloss heraus gekauft haben“, hinzu gesellt hätten.
Trotz aller Schwierigkeiten sieht Rürup aber keine Alternative zum Euro, denn es sei sehr wichtig, dass sich Europa als dritte Kraft gegenüber der wachsenden ökonomischen Kraft der BRIC-Staaten, also Brasiliens, Russlands, Indiens und Chinas und einem an Gewicht verlierenden Amerika etabliert und behauptet. Die Zukunft Europas liegt also in der Rolle als Dritter im Bunde der ganz Grossen dieser Welt. Dazu aber seine Mahnung: „Einheitliche Währung und volle nationale Souveränität schliessen sich aus.“
Gang nach Asien
In der darauf folgenden lebhaften Paneldiskussion, an der unter anderem Gerold Bührer, Präsident von economiesuisse, und Thomas Jordan, Vizepräsident des Direktoriums der Schweizerischen Nationalbank, teilnahmen, wurde im Grunde nur deutlich, dass die Schweiz im Meer der europäischen Probleme ein Wohlstandsproblem hat. In Anbetracht der drohenden Abwertung des Dollar und des Euro wird der Franken als Fluchtwährung immer attraktiver. Auch sehen die Teilnehmer den Bankenplatz nicht als besonders gefährdet an, weil sie, wie schon die Bundesrätin Widmer-Schlumpf ausgeführt hatte, auf gütliche Einigungen mit den nahen und fernen Nachbarn bezüglich der Steuernachzahlungen setzen.
Gerold Bührer sieht trotz der Frankenstärke auf Dauer keine unlösbaren Probleme für die schweizerische Exportindustrie, weil diese sich zunehmend auf die stark expandierenden asiatischen Märkte einstelle. Man konnte den Eindruck gewinnen, dass die Schweiz gerade wegen ihres föderalen und plebiszitären Systems gegenüber einem sich immer stärker zentralisierenden und bürokratisierenden Europa einen unschlagbaren Vorteil hat.
Ein Paradigmenwechsel?
Mehr Kompagnon als Gegenspieler von Bert Rürup war Jürgen Stark, der noch im Direktorium der Europäischen Zentralbank sitzt, aber aufgrund seines Widerstandes gegen den weiteren Ankauf von Staatsanleihen seinen Rücktritt zum Jahresende eingereicht hat. Wie Rürup sieht er die Probleme, vor denen der Euro steht, aber er erkennt bei den Banken eine „Reduktion der Schuldentoleranz“ im Hinblick auf den Ankauf von Staatsanleihen und umgekehrt bei den Staaten die Bereitschaft zu einem „ Paradigmenwechsel in Richtung solider Staatsfinanzen“.
im Hinblick auf die Wirtschaftskrise von 1929 machte Stark zwei Unterschiede aus: Damals habe es den Goldstandard gegeben, der die Eingriffsmöglichkeiten der Finanzpolitik enorm beschränkt habe. Und die öffentlichen Haushalte hätten ein geringeres Gewicht gehabt. Dennoch zitierte er John Maynard Keynes, der schon damals konstatiert hatte, dass die Ökonomen und Politiker „einen riesigen Schlamassel angerichtet“ hätten, indem sie „in eine Maschine eingegriffen“ hätten, „die sie nicht verstehen“.
Teures Praktikum
Genau diesen Eindruck hatte man auch auf dem Europa Forum Luzern. Die Ökonomen waren in ihren Analysen so kritisch wie Theologen, denen der liebe Gott abhanden gekommen ist. Sie geisselten zum Beispiel die Tendenz, Schulden mit immer grösseren Schulden zu bekämpfen. Dabei merkten sie gar nicht, dass sie auf dem politischen Feld Ähnliches empfahlen, wenn sie die Aufgabe staatlicher Souveränitätsrechte forderten.
Denn die Aufgabe von Souveränitätsrechten bedeutet, dass eine höhere Instanz als die jeweilige Regierung „das Notwendige“ - man kann auch sagen: „das Alternativlose“ - durchsetzt. Wenn eine Regierung dem Volk bestimmte Sparmassnahmen also nicht mehr vermitteln kann, dann sollen das eben übernationale Gremien tun. Die Frage, welche Unruhen dadurch zusätzlich geschürt werden, welche Gewaltmassnahmen daraus unweigerlich folgen werden, wurde von den Ökonomen nicht gestellt. Ganz vorsichtig hatte der Chefredakteur der NZZ, Markus Spillmann, Bundesrätin Widmer-Schlumpf nach dem „gesellschaftlichen Zusammenhalt“ in Anbetracht der wachsenden ökonomischen Ungleichheiten gefragt. Immerhin.
Es wurde auch nicht gefragt,ob die Maschine, von der John Maynard Keynes gesprochen hatte, heute besser verstanden wird. Auffällig übereinstimmend betonten Rürup und Stark, wie viel die Ökonomen in den Jahren seit 2008 gelernt hätten. Als Laie fragt man sich aber, wo denn die überzeugenden Ergebnisse sind und ob nicht überhaupt das Lehrgeld etwas überhöht ist.